Zielblutdruck: vorerst keine Änderung der geltenden Empfehlungen
SPRINT-Studie: Stellungnahme der Schweizerischen Hypertonie-Gesellschaft (SHG)

Zielblutdruck: vorerst keine Änderung der geltenden Empfehlungen

Seite der Fachgesellschaften
Ausgabe
2016/4950
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2016.02838
Schweiz Med Forum 2016;16(4950):1080-1081

Affiliations
* Yves Allemann, Bulle, Roman Brenner, St. Gallen, Michel Burnier, Lausanne, Thomas Dieterle, Basel, Paul Erne, Luzern, Dominique Evéquoz, Brig, Daniel Hayoz, Fribourg, Franco Muggli, Vezia, Georg Noll, Zürich, Antoinette Pechère, Genève, Andreas Schönenberger, Bern, Giacomo Simonetti, Bellinzona, Isabella Sudano, Zürich, Paolo Suter, Zürich, Grégoire Wuerzner, Lausanne

Publiziert am 06.12.2016

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Einleitung

Die Richtlinien der Schweizerischen Hypertonie-Gesellschaft für die Diagnostik und Therapie des hohen Blutdruckes empfehlen derzeit für die meisten Patienten einen Zielblutdruck von <140/90 mm Hg. Bei Diabetikern wird eine etwas strengere Kontrolle empfohlen (Zielblutdruck <140/85 mm Hg), bei vor allem (hoch-)betagten Patienten mit isolierter systolischer Hypertonie da­gegen ein Zielblutdruck <150 mm Hg systolisch [1]. Allerdings ist die Frage, wie weit der Blutdruck im Sinne ­einer optimalen Risikoreduktion gesenkt werden soll, nach wie vor nicht abschliessend beantwortet.
Wichtige Erkenntnisse zu dieser Frage wurden von der durch das National Institute of Health, USA, also der ­öffentlichen Hand, finanzierten SPRINT-Studie (Systolic blood Pressure Intervention Trial, [2, 3]) erwartet, ­deren erste Ergebnisse im November 2015 publiziert wurden [3].

SPRINT-Studie

SPRINT schloss 9361 Patienten ein, welche die folgenden Kriterien erfüllten:
– Alter ≥50 Jahre (ohne Obergrenze);
– systolischer Blutdruck 130–180 mm Hg;
– mindestens ein weiterer Risikofaktor [bekannte ­kardiovaskuläre Erkrankung, bekannte chronische Nierenerkrankung (eGFR <60 ml/min/1,73 m2), kardiovaskuläres 10-Jahres-Risiko nach Framingham ≥15%, Alter ≥75 Jahre].
Ausschlusskriterien umfassten u.a.:
– Diabetes mellitus;
– Stroke in der Anamnese;
– Bestimmte Nierenerkrankungen (polyzystische Nierenerkrankung, immunsuppressiv behandelte Glomerulonephritis), schwer eingeschränkte Nierenfunktion, terminale Niereninsuffizienz;
– kardiovaskuläre Ereignisse oder Eingriffe während der letzten 3 Monate;
– symptomatische Herzinsuffizienz während der letzten 6 Monate, LVEF <35%;
– Erkrankungen mit einer Lebenserwartung unter 3 Jahren, Krebserkrankungen während der letzten 2 Jahre;
– Faktoren, welche die Adherence negativ beeinflussen können, z.B. Demenz, Unterbringung im Pflegeheim.
Die Patienten wurden randomisiert jeweils einer Therapiegruppe mit systolischem Zielblutdruck <140 mm Hg oder <120 mm Hg zugeteilt. Der primäre Endpunkt war das erste Auftreten eines Herzinfarktes, akuten Ko­ro­narsyndroms, Schlaganfalls, einer Herzinsuffizienz oder Tod infolge einer kardiovaskulären Erkrankung. Sekundäre Endpunkte waren Gesamtsterblichkeit, ­Abnahme der Nierenfunktion, Dialysepflichtigkeit, Auftreten von Demenz, Verschlechterung der kognitiven Funktion und das Auftreten einer ischämischen Kleingefässerkrankung des zentralen Nervensystems.
Die Messung des Blutdruckes in SPRINT erfolgte in ­einem ruhigen Raum ohne Anwesenheit eines Arztes oder einer Pflegeperson mit einem Blutdruckmess­gerät, welches auf eine fünfminütige Wartezeit vor der ersten Messung programmiert war. Es wurden drei konsekutive automatisierte Messungen durchgeführt [4]. Patienten in der Gruppe mit Zielblutdruck <120 mm Hg wurden nach einem standardisierten Verfahren behandelt, wobei mit wenigen Ausnahmen bereits initial Kombinationen von zwei oder drei verschiedenen Blutdrucksenkern (ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker, Calciumantagonist und Diuretikum) verordnet wurden, die dann mit weiteren Antihypertensiva ergänzt werden konnten.

Bessere Prognose, mehr Nebenwirkungen

SPRINT wurde im September 2015 vorzeitig abgebrochen, da der primäre Endpunkt in der Gruppe mit Zielblutdruck <120 mm Hg gegenüber der Gruppe mit Zielblutdruck <140 mm Hg um 25% reduziert wurde [1]. Auch die sekundären Endpunkte Herzinsuffizienz (–38%), kardiovaskulärer Tod (–43%), Gesamtsterblichkeit (–27%) traten in der Therapiegruppe mit Zielblutdruck <120 mm Hg signifikant seltener auf. Insgesamt legen die Ergebnisse von SPRINT nahe, dass – entgegen der Vorgaben der aktuellen Leitlinien – durch eine strikte Blutdruckeinstellung mit einem Zielwert von <120 mm Hg systolisch bei den meisten Hypertonikern eine deutliche Verbesserung der Prognose erreicht werden kann. Allerdings war die intensive Blutdrucksenkung auch mit mehr, zum Teil schwerwiegenden, Nebenwirkungen assoziiert. So traten in der inten­siven Therapiegruppe Hypotonien, Synkopen und Elek­trolytstörungen, akute Nierenschädigungen bzw. ein akutes Nierenversagen zwar insgesamt selten, aber doch signifikant häufiger auf als in der Standardtherapiegruppe.

Wegen offener Fragen keine Änderung der bestehenden SHG-Empfehlungen

Trotz der in SPRINT beobachteten signifikanten ­Reduktion des primären Endpunktes, insbesondere der Mortalität, hat sich die Schweizerische Hypertonie-Gesellschaft entschlossen, ihre Empfehlungen zum Zielblutdruck vorerst nicht zu ändern, da wichtige ­offene Fragen mit den bisher publizierten Daten noch nicht beantwortet werden können [5], so z.B.:
– Inwieweit sind die in SPRINT durchgeführten Blutdruckmessungen auf Praxisverhältnisse übertragbar und wie beeinflussen sie die Umsetzung tieferer Blutdruckzielwerte in die Praxis?
– Profitieren alle Patientengruppen, z.B. auch Patienten mit chronischen kardiovaskulären bzw. renalen Erkrankungen, Diabetes mellitus oder ältere Patienten, gleichermassen von einer strikten Blutdruckeinstellung?
– Warum wurde in SPRINT im Gegensatz zu früheren Studien keine Reduktion von Schlaganfällen beobachtet?
– Haben bestimmte Patientengruppen möglicherweise keinen Effekt oder erhöht sich das kardiovaskuläre Risiko durch eine strikte Blutdruckeinstellung sogar?
– Welchen Einfluss hat die gleichzeitige Senkung des diastolischen Blutdruckes?
– Wie ist die Verträglichkeit einer strikten Blutdruckeinstellung? Welche Nebenwirkungen sind zu er­warten? Wie beeinflussen diese Nebenwirkungen die Blutdruckeinstellung in der Praxis?
– Wie ist das Kosten-/Nutzen-Verhältnis einer strikten Blutdruckeinstellung zu bewerten?
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Sekretariat der
Schweizerischen
Hypertonie-Gesellschaft
Schwarztorstrasse 18
CH-3007 Bern
info[at]swisshypertension.ch
1
2 Ambrosius WT et al., The design and rationale of a multicenter clinical trial comparing two strategies for control of systolic blood pressure: the Systolic Blood Pressure Intervention Trial (SPRINT). Clin Trials. 2014;11:532–46.
3 The SPRINT Research Group. A Randomized Trial of Intensive versus Standard Blood-Pressure Control. N Engl J Med. 2015;373: 2103–16. DOI: 10.1056/NEJMoa1511939.
4 Kjeldsen SE et al. Unattended blood pressure measurement in the Systolic Blood Pressure Intervention Trial. Implications for entry and achieved blood pressure values compared with other trials. Hypertension. 2016;67:808–12.
5 Burnier M et al. Die SPRINT-Studie. Neue Ziele für die Behandlung von Bluthochdruck? Swiss Medical Forum. 2016;16:263–65.