Anästhesiologie und Reanimation: «Patient blood management» ist heute Standard
Anästhesiologie und Reanimation

Anästhesiologie und Reanimation: «Patient blood management» ist heute Standard

Schlaglichter
Ausgabe
2017/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03154
Schweiz Med Forum 2017;17(5152):1145-1147

Affiliations
Institut für Anästhesiologie, Universität und UniversitätsSpital, Zürich

Publiziert am 20.12.2017

«Patient blood management» umfasst die Behandlung von präoperativer Anämie und Eisenmangel, eine blutungsarme Operationstechnik, ein individualisiertes Gerinnungsmanagement und restriktive Fremdblut-Transfusionen. Dieses Konzept vermindert die Häufigkeit von Infekten, Bluttransfusionen und schweren Komplikationen, verkürzt den Spitalaufenthalt und senkt die Mortalität.

Hintergrund

20–40% aller Patienten weisen vor einer Operation eine Anämie oder einen isolierten Eisenmangel auf [1]. Eine besondere Häufung ist zu finden bei Patienten mit ­Tumorleiden, Blutverlusten, einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung, einer Nieren- oder Herzinsuffizienz oder einem komplexen entzündlichen Geschehen. Eine präoperative Anämie führt zu vermehrten Bluttransfusionen, häufigerer Intensivpflegebedürftigkeit, vermehrten Komplikationen, längeren Spitalaufenthalten und einer erhöhten Mortalität [2].
Um den Outcome der Patienten zu verbessern, fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 2010 ihre Mitgliedstaaten auf, das «Patient blood management»-Konzept umzusetzen [3]. Dieses beruht auf drei Säulen:
1. der präoperativen Detektion und Behandlung von Anämie und Eisenmangel;
2. der Minimierung des perioperativen Blutverlusts;
3. der Förderung der Anämie-Toleranz.

Das 3-Säulen-Prinzip

Präoperativ definieren wir einen Hämoglobinwert von <130 g/l als Anämie für Männer und Frauen, einen Eisenmangel als ein Ferritin <100 µg/l oder einer Transferrin-Sättigung von <20% [1].

1. Säule: Präoperative Behandlung einer Anämie und eines Eisenmangels

Die Patienten werden möglichst frühzeitig, idealerweise 3–4 Wochen vor dem geplanten Eingriff in der Anästhesie-Sprechstunde abgeklärt. Nebst den allgemeinen Abklärungen werden bei Patienten, bei welchen eine Operation mit einer Transfusionswahrscheinlichkeit von ≥10% oder einem Blutverlust von ≥500 ml ­geplant ist, auch eine Anämie und ein Eisenmangel ­gesucht. Dazu werden Hämoglobin, Kreatinin, C-reaktive Protein, Ferritin und die Transferrin-Sättigung (TSAT) bestimmt. Daraus kann die Art der Anämie und die Behandlung abgeleitet werden (Abb. 1). Eine unerwartete, schwere Anämie mit einem Hämoglobin <100 g/l soll bereits vom Zuweiser abgeklärt werden.
Abbildung 1: Abklärung und Behandlung einer präoperativen Anämie oder eines Eisenmangels des Instituts für Anästhesio­logie des UniversitätsSpitals Zürich mit Therapieempfehlungen. Diese Therapien werden so frühzeitig wie möglich vor ­einer ­geplanten Operation durchgeführt, sei es durch den zuweisenden (Haus-)Arzt oder im Spital, je nach Absprache. 
Hb = Hämoglobin; TSAT = Transferrin-Sättigung; CRP = C-reaktives Protein; EPO α  = ­Erythropoetin-alpha.
Ein isolierter Eisenmangel (Hämoglobin ≥130 g/l und Ferritin <100 µg/l oder TSAT <20%) wird mit einer ­intravenösen Eisengabe (z.B. Eisen-Carboxymaltose 20 mg/kg [max. 1000 mg]) behandelt.

2. Säule: Minimierung des perioperativen Blutverlusts

Verbesserte chirurgische Techniken bei der Blutstillung, Cell Salvage und insbesondere ein individualisiertes, zielgerichtetes Gerinnungsmanagement ermöglichen heute grosse Operationen ohne Verwendung von Fremdblut und Fremdblutprodukten in der Herz- und Transplantations-Chirurgie wie auch in der Versorgung von Schwerverletzten.
Ein moderner Gerinnungsalgorithmus basiert auf ­patientennaher («point-of-care») Gerinnungsdiagnostik mittels Rotations-Thromboelastometrie (ROTEM®, TEM International, München) und Multiplate® (Roche Diagnostics, Rotkreuz) und der gezielten Verabreichung von Gerinnungsfaktoren gemäss eines klinik-internen Algorithmus. Aufgrund eines solchen Gerinnungs­algorithmus [4] ist es möglich, selbst bei schwerverletzten und blutenden Patienten die Verwendung von Fremdbluttransfusionen drastisch zu reduzieren und den Outcome einschliesslich des Überlebens zu verbessern [5]. Ein sehr ähnlicher Algorithmus zur Transfusion von Blutprodukten und zur Gerinnungstherapie bei schwerer Blutung wurde kürzlich von der Schweizerischen Gesellschaft für Anästhesie und Reanimation (SGAR) als Empfehlung veröffentlicht [6].
Die zunehmende Behandlung mit Antikoagulanzien (Vitamin-K-Antagonisten oder direkte Antikoagulanzien (DOAC) wie Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban oder Dabigatran) stellt eine weitere Herausforderung in der Vorbereitung von Patienten auf eine Operation dar. Kann die Operation nicht unter Weiterführung der Antikogulation durchgeführt werden, müssen die Antikoagulanzien zum richtigen Zeitpunkt gestoppt werden. Bei Vitamin-K-Antagonisten reicht in der ­Regel deren Absetzen ohne Überbrückung mit niedermolekularen Heparinen. Zum perioperativen Management der DOAC hat die SGAR detaillierte Guidelines erarbeitet und aktualisiert diese regelmässig. Wichtig ist, dass auch bei den DOAC die Zeit zwischen Absetzen und der Operation nicht mit niedermolekularen Heparinen überbrückt wird [7]. Bestehen vor einer Operation Zweifel, ob die Wirkung eines DOACs abgeklungen ist, empfiehlt sich eine Plasmaspiegelbestimmung des DOACs, insbesondere bei Patienten im Alter von über 80 Jahren, bei Vorliegen einer Niereninsuffizienz (errechnete Kreatinin-Clearance <50 ml/min) und einem Körpergewicht von unter 60 kg.

3. Säule: Förderung der Anämie-Toleranz

Die ausreichende Versorgung des Körpers mit Sauerstoff ist immer das oberste Ziel, um den Geweben ­einen oxydativen Stoffwechsel zu ermöglichen. Das ­Sauerstoffangebot des Körpers ist das Produkt aus Herzminutenvolumen und Sauerstoffgehalt des Blutes, welcher vom Hämoglobin und seiner Oxygenierung bestimmt ist. Die supportiven Massnahmen bei einem tiefen Hämoglobin zielen daher auf die ­Förderung der Pumpleistung des Herzens und einer möglichst guten Oxygenierung. Über diese Kompensa­tionsmechanismen können auch relativ tiefe Hämoglobinwerte gut toleriert werden, was restriktive Transfusionstrigger auch bei Risikopatienten ermöglicht [8]. Die Grundidee des «patient blood managements» ist allerdings, das Hämoglobin vor der Operation zu normalisieren und den Blutverlust während der Operation minimal zu halten, damit der Patient gar nie in eine Situation kommt, in welcher eine Transfusion diskutiert werden müsste.

Erfolg des «patient blood managements»

Der Erfolg des «patient blood managements» ist vielfach nachgewiesen in Studien mit bis zu 605 000 Pa­tienten [9]. Alle Untersuchungen wiesen nicht nur eine deutliche Reduktion der Transfusionen nach, sondern auch eine Senkung von Komplikationen, Infektionen, Hospitalistationsdauer, Behandlungskosten und Mortalität (Abb. 2), bei gleichzeitiger und bedeutsamer Reduktion der Behandlungskosten [9]. Bereits ein mittelgrosses Spital darf mit jährlichen Einsparungen in Millionenhöhe rechnen. Aus diesem Grund ist «pa­tient blood management» zum heutigen Standard geworden.
Abbildung 2: Erfolge des «patient blood management». Schlüsselergebnisse der Implementierung des «patient blood managements» [9]. Die abgebildeten Erfolge wurden seit der Einführung des PBM-Konzepts progressiv erzielt und spiegeln den aktuellen Stand wieder.

Diskussion

Die zuweisenden (Haus-)Ärzte klären die Patienten mit einer geplanten Operation mit einer Transfusionswahrscheinlichkeit von ≥10% oder einem Blutverlust von ≥500 ml möglichst frühzeitig ab. Dies schliesst die Bestimmung von Hämoglobin, Kreatinin, C-reaktivem Protein, Ferritin und Transferrin-Sättigung ein. Dann werden die Patienten möglichst frühzeitig gemäss Abbildung 1 behandelt. Die Behandlung soll so frühzeitig wie möglich vor einer geplanten Operation durchgeführt werden, sei es durch den zuweisenden (Haus-)Arzt oder im Spital, je nach Absprache.
Die Chirurgen informieren die Zuweisenden und die Anästhesisten zum Zeitpunkt der Indikationsstellung über den geplanten Operationstermin. Dieser wird so gewählt, dass eine vorbestehende Anämie und ein Eisen­mangel präoperativ behandelt werden kann.
Jedes Spital schafft einen modernen Gerinnungsalgorithmus, basierend auf patientennaher («point-of-care») Gerinnungsdiagnostik und der gezielten Verabreichung von Gerinnungsfaktoren. Das Management von antikoagulierten Patienten ist Teil eines solchen Algorithmus. Bewährte Vorlagen könne gerne beim ­Institut für Anästhesiologie des Universitätsspitals ­Zürich bezogen werden (anaesthesiologie[at]usz.ch).
D. R. Spahn und P. Stein haben Interessenskonflikte deklariert, die vollständige Auflistung ist als Anhang in der Online-Version des Artikels zu finden unter www.medicalforum.ch. A. Kaserer und G. H. Spahn haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Professor Dr. med. Donat R. Spahn, F.R.C.A.
Direktor Institut für ­Anästhesiologie
Universität und ­UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
donat.spah[at]usz.ch
 1 Cappellini MD, et al. Iron deficiency across chronic inflammatory conditions: International expert opinion on definition, diagnosis and management. Am J Hematol. 2017;92(10:1068–78.
 2 Musallam KM, et al. Preoperative anaemia and postoperative outcomes in non-cardiac surgery: a retrospective cohort study. Lancet. 2011;378(9800):1396–407.
 3 Spahn DR, Goodnough LT. Alternatives to blood transfusion. Lancet. 2013;381(9880):1855–65.
 4 Stein P, et al. Point-of-care coagulation monitoring in trauma patients. Semin Thromb Hemost. 2017;43(4):367–74.
 5 Stein P, et al. Change of transfusion and treatment paradigm in major trauma patients. Anaesthesia. 2017;72(11):1317–26.
 7 Raval AN, et al. Management of patients on non-vitamin K antagonist oral anticoagulants in the acute care and periprocedural setting: a scientific statement from the American Heart Association. Circulation. 2017;135(10):604–33.
 8 Klein HG, Spahn DR, Carson JL. Red blood cell transfusion in clinical practice. Lancet. 2007;370(9585):415–26.
 9 Leahy MF, et al. Improved outcomes and reduced costs associated with a health-system-wide patient blood management program: a retrospective observational study in four major adult tertiary-care hospitals. Transfusion. 2017;57:1347–58.