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Publiziert am 28.03.2018
In der ambulanten Versorgung erhält schätzungsweise jeder 20. Patient eine Fehldiagnose und ca. 30% der gerichtlichen Klagen im medizinischen Bereich gehen auf das Konto von Fehldiagnosen.
Tabelle 1: Fehler erfahrener Ärzte beim hypothetisch-deduktiven Reasoning (angepasst nach [17]). | |
Clinical Reasoning | Unorganisierte oder unvollständige Datensammlung und Hypothesenbildung* (67%) |
Anamnese | Übereilte Konsultationen, bei denen dem Patienten nicht ausreichend zugehört wird (43%), unvollständige Anamnese (90%) |
Körperliche Untersuchung | Unvollständige körperliche Untersuchung (33%) |
Management | Fehlen sinnvoller Strategien (97%) |
Führung der Patientenakte | Fehlen wichtiger Aspekte (93%) |
* Zwischen diesen beiden Faktoren besteht ein starker Zusammenhang: Denn häufig richten sich die untersuchten oder bei der Anamnese bzw. der körperlichen Untersuchung am stärksten gewichteten klinischen Parameter nach der jeweiligen Hypothese. |
Tabelle 2: Situationen, die durch kognitive Verzerrungen zu Fehldiagnosen beitragen (angepasst nach [20]). | |
Verlegung/Übergabe | Schichtwechsel |
Verlegung in eine andere Abteilung | |
Zeitdruck | Volle Sprechstunden |
Häufige Störungen/Unterbrechungen | |
Ärztliche Faktoren | Müdigkeit, Schlafmangel |
Überlastung, Stress | |
Patientenbezogene Faktoren | Klinisch komplexe Fälle |
Auf der Beziehungsebene komplexe Fälle | |
Gegenübertragung | |
Umfeld-/Arbeitsteambedingungen | Betreuung |
Fach- vs. allgemeinärztliche Abteilung | |
Abteilungskultur («Groupthink») |
Tabelle 3: Häufige kognitive Verzerrungen bei Ärzten (angepasst nach [11]). | |
Anker-Effekt | Die diagnostische Ausgangshypothese wird nicht revidiert, selbst wenn neue Informationen vorliegen. |
Bestätigungsfehler | Es werden lediglich die Aspekte berücksichtigt, welche die Hypothese bestätigen, ohne nach Widersprüchen zu suchen. |
Momentum-Effekt | Der Patient erhält einen «Diagnosestempel», der von Arzt zu Arzt übernommen wird. |
Verfügbarkeitsfehler | Der Arzt erinnert sich eher an ein eindrückliches oder kürzlich stattgefundenes Ereignis. |
Emotionale Verzerrung | Die Tendenz, eine Diagnose aufgrund positiver oder negativer Gefühle bzw. aufgrund von Vorurteilen gegenüber dem Patienten zu favorisieren oder auszuschliessen. Dies kann beispielsweise bei abhängigen Patienten oder bei Patienten mit psychischen Störungen der Fall sein bzw. solchen, zu denen eine schwierige Beziehung besteht oder welche unkooperativ sind. |
Tabelle 4: «Good Practices» des Clinical Reasoning [9, 11, 20, 23, 24]. | |
A) Seinem ersten Eindruck vertrauen, sich jedoch angewöhnen, diesen anhand von drei einfachen Fragen zu überprüfen, um einen verfrühten Abschluss der Diagnostik zu vermeiden [23]: | 1. Stimmen alle Aspekte mit meiner Diagnose überein? Erklärt meine Hypothese die bei diesem Patienten festgestellten Aspekte? |
2. Welche Diagnose darf ich in dieser Situation nicht vergessen? | |
3. Wenn es nicht das ist, woran ich denke, was könnte es dann sein? | |
B) Anerkennen, dass bestimmte Umstände oder Situationen mit einem erhöhten Risiko für kognitive Verzerrung einhergehen können | Äussere Faktoren (Arbeitsklima, volle Sprechstunde, häufige Unterbrechungen usw.) |
Persönliche Faktoren (Müdigkeit, Stress, persönliche oder gesundheitliche Probleme usw.) | |
Patientenbezogene Faktoren (schwierige Arzt-Patienten-Beziehung, unkooperativer Patient usw.) | |
C) Sich nicht ausschliesslich auf sein eigenes Gedächtnis verlassen und wissen, wann einschlägige Quellen konsultiert werden sollten | Evidenzbasierte Daten konsultieren (klinische Literatur, Guidelines usw.) |
«Entscheidungsfindungshilfen» (in Papierform oder elektronisch) | |
D) In komplizierten Fällen | Sich mit anderen Kollegen beraten (Qualitätszirkel, Fachärzte usw.) [24] |
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