Neurologie: CGRP-MoAbs – «game changer» in der Migräneprophylaxe?
Schlaglicht der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft

Neurologie: CGRP-MoAbs – «game changer» in der Migräneprophylaxe?

Schlaglichter
Ausgabe
2019/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.03431
Swiss Med Forum. 2019;19(0102):24-25

Affiliations
a RehaClinic Gruppe und Universität Zürich; b Klinik für Neurologie, UniversitätsSpital Zürich; c Neurologische Klinik, Inselspital, Bern

Publiziert am 02.01.2019

Migräneprophylaxe gibt es schon lange, bisher ohne Durchbruch. Nun halten Biologicals Einzug, die spezifisch für diesen Zweck entwickelt worden sind. Was bringen sie?

Hintergrund

Die Prophylaxe der Migräne ist kein einfaches Unterfangen. Aus der Vielzahl der verwendeten Substanzklassen lässt sich schliessen, dass keine einzige einen hinreichenden Nutzen für schwer Betroffene bringt. In der Vergangenheit wurden Migräneprophylaktika eher zufällig entdeckt. Beispielsweise zeigten Betablocker als «Nebenwirkung» einen migräneprophylaktischen Effekt und wurden erst dann systematisch untersucht.
Dies änderte sich, als Veränderungen der Serumkonzentration des Neuropeptids «Calcitonin gene related polypeptide» (CGRP) während Migräneanfällen in den späten 80er Jahren [1] beschrieben wurde. Basierend auf den Erkenntnissen dieser pathophysiologischen Studien wurden Antagonisten gegen Bestandteile des CGRP-Systems für die Migränetherapie entwickelt.

Neue Therapieansätze mit «gepants» und monoklonalen Antikörpern (MoAbs)

Zunächst wurden CGRP-Antagonisten für die Attackentherapie der Migräne untersucht. Kleine Moleküle, ­sogenannte «gepants», zeigten eine ähnliche Wirksamkeit wie Triptane, waren aber besser verträglich [2]. Sie zeigten keinen vasokonstriktiven Effekt, sodass sie bei Patienten mit einer vaskulären Vorgeschichte ein­gesetzt werden konnten. Auch fand sich bei täglicher Einnahme als prophylaktische Therapie eines «gepant» keine Chronifizierung [3], was gegen die Entstehung ­eines Medikamentenübergebrauchskopfschmerzes unter diesem akutwirksamen Kopfschmerzmittel spricht.
In den Studien zeigte sich jedoch eine gewisse Hepa­totoxizität, die als möglicher Substanzklasseneffekt interpretiert wurde [3]. Die beteiligten Firmen verfolgten daher die Entwicklung über längere Zeit nicht weiter. Erst in jüngster Vergangenheit wurden neue «gepants» in weiteren klinischen Studien zur Akuttherapie untersucht, die bisher keine Hepatotoxizität zeigten. Abschliessende Ergebnisse liegen aber noch nicht vor.
Eine neuartige und erfolgversprechende Entwicklung sind monoklonale Antikörper (MoAbs), die das CGRP-System als Mechanismus nutzen. Vier Substanzen wurden untersucht, wobei drei an den Liganden CGRP binden (Eptinezumab, Fremanezumab, Galcanezumab) und eine an den CGRP-Rezeptor (Erenumab). Die Applikation erfolgt je nach Substanz alle 1–3 Monate subkutan oder intravenös. Das erste zugelassene Präparat, Erenumab, ist als Autoinjektor für die Heimanwendung verfügbar. Entgegen Beschreibungen in der Laienpresse handelt es sich aber nicht um eine «Impfung», da das Immunsystem am Wirkmechanismus nicht ­beteiligt ist. Die Verträglichkeit aller untersuchten Substanzen ist exzellent und liegt bei nahezu allen ­unerwünschten Wirkungen im Bereiche von Plazebo. Es wurden keine Hepatotoxizität oder zentralnervöse Nebenwirkungen festgestellt.
Im Vergleich zu den bisher verwendeten Prophylaktika kann die Wirksamkeit der neuen Substanzen nicht wissenschaftlich beurteilt werden, da keine direkten Vergleichsstudien vorliegen. Aufgrund des unterschied­lichen Mechanismus scheint auch eine Kombination mit anderen Migräneprophylaktika sinnvoll – auch hierfür gibt es bisher keine publizierten Daten. Insgesamt liegt die in den Studien beschriebene Wirksamkeit in ähn­lichen Bereichen wie bei anderen etablierten Migräneprophylaktika (Abb. 1) [4–8] und scheint nicht von der Kopfschmerzfrequenz bei Behandlungsbeginn abzuhängen. Interessanterweise führte die Behandlung in den Studien bei einer Subpopulation von bis zu 10% der ­Patienten zu vollständiger Schmerzfreiheit – dies gibt Hoffnung für Patienten mit täglichen Schmerzen.
Abbildung 1: 50%-Ansprechraten in publizierten Studien monoklonaler Antikörper bei episodischer Migräne: Erenumab (AMG334) Phase II und Phase III, Fremanezumab (TEV48125), Galcanezumab (LY2951742) und Eptinezumab (ALD403). Illustrativ: Daten aus der Zulassungsstudie für Topiramat 100 mg/d.
Die Zulassung der ersten Substanz Erenumab erfolgte in den USA im Mai, in der Schweiz im August und im europäischen Raum im September 2018. Die publizierten Daten deuten darauf hin, dass auch refraktäre Patienten von der Therapie profitieren können. Auch für episo­dische Clusterkopfschmerzen liegen erste Daten vor, die auf eine Wirksamkeit hindeuten.
Die wahrscheinlich wichtigste Einschränkung ist aktuell aber der Preis. Die Rückerstattung seitens der Kos­tenträger ist noch nicht vollständig geklärt. Die Jahreskosten werden erwartungsgemäss über 6000 Franken pro Patient betragen. Eine weitere Unsicherheit besteht in möglichen, bisher noch nicht beschriebenen Nebenwirkungen, insbesondere bei Langzeitbehandlung über die bisherige Beobachtungsdauer von drei Jahren hinaus.

Diskussion

Die neuen Medikamente zur Behandlung der Migräne bieten eine vollständig veränderte Ausgangslage. Das erste Prophylaktikum einer komplett neuen Substanzklasse, die gezielt für die Migränebehandlung ent­wickelt wurde, hat die Zulassung erhalten. Die Therapie basiert auf einem vormals unbekannten Behandlungsmechanismus. Die bisher beobachtete Verträglichkeit ist exzellent.
Für therapierefraktäre Patienten ist dies eine Chance, auch wenn die Wirksamkeit der Substanzen sich nicht deutlich von bisher verwendeten Prophylaktika unterscheidet. Für die Subgruppe der sehr gut ansprechenden Patienten besteht besondere Hoffnung. Das grösste Hindernis für einen niederschwelligen Einsatz ist aber der Preis. Da aber gemäss Studiendaten bereits nach 1–2 Monaten die Wirksamkeit erkennbar wird, könnte dies eine effiziente Stratifizierung ermöglichen.
Zusammengefasst haben die neuen MoAbs mit Angriffspunkt im CGRP-System durchaus das Potential zum «game changer». Für therapierefraktäre, schwer betroffene Patienten steht neu eine gut verträgliche Prophylaxe zur Verfügung, die zwar teuer ist, aber bei raschem Erkennen von Respondern gezielt genutzt werden kann.
PSS hat die Teilnahme an einem Advisory Board von Almirall zur akuten Migränebehandlung deklariert. Die anderen Autoren haben keine ­finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med. Peter S. Sandor
Ärztl. Direktor ­Neurologie
Unternehmensgruppe RehaClinic
Quellenstrasse 3
CH-5330 Bad Zurzach
p.sandor[at]rehaclinic.ch
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