Multiligamentäre Knieverletzung mit Peronaeusparese
Die etwas andere Kniedistorsion

Multiligamentäre Knieverletzung mit Peronaeusparese

Der besondere Fall
Ausgabe
2019/0708
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.03432
Swiss Med Forum. 2019;19(0708):134-136

Affiliations
Departement Orthopädie, Spitalregion Rheintal Werdenberg Sarganserland (SRRWS)

Publiziert am 13.02.2019

Ein 20-jähriger Judoka ging bei einem Kampf zu Boden, der Gegner stürzte auf sein gestrecktes linkes Bein. Sofort danach berichtete der Patient über Schmerzen und ein Instabilitätsgefühl im Bereich des linken Kniegelenks.

Hintergrund

Multiligamentäre Knieverletzungen sind meist durch Hochrasanztraumata verursacht, nicht selten kommt es zusätzlich zu einer Luxation des Kniegelenkes. Zusätzliche Nerven- und Gefässschäden können diese gravierenden Verletzungen kompliziert machen. Sie müssen deshalb frühzeitig erkannt werden. Verletzungen des posterolateralen Ecks («posterolateral corner» [PLC]) sind in fast 30% mit einer Schädigung des Nervus (N.) peronaeus communis vergesellschaftet. In diesen Fällen ist die rasche Diagnosestellung und frühe operative Versorgung der Bandverletzungen anzustreben. Eine Peronaeusparese hat ein gutes Erholungspotential unter konservativer Therapie. Plegien haben eine schlechtere Prognose, hier muss die Therapieentscheidung individuell gefällt werden.

Fallbericht

Anamnese

Ein 20-jähriger Judoka ging bei einem Kampf zu Boden, der Gegner stürzte dabei auf sein gestrecktes linkes Bein im Sinne eines Varus-/Hyperextensionstraumas. Unmittelbar danach berichtete der Patient über Schmerzen und ein Instabilitätsgefühl im Bereich des linken Kniegelenks. Ausserdem gab er eine Sensibilitätsstörung des anterolateralen Unterschenkels und Fussrückens sowie eine Lähmung der Fuss- und Zehenheber an. Frühere Verletzungen des Kniegelenks wurden verneint.

Status und Befunde

Der Patient zeigte ein hinkendes Gangbild auf der linken Seite mit komplettem Fallfuss. Das linke Kniegelenk war vor allem lateralseits diffus geschwollen und druckdolent. Die aktive Beweglichkeit war schmerzbedingt eingeschränkt. Bei der Prüfung der Seitenbänder zeigte sich das Kniegelenk in 0° und 30° Flexion lateralseits deutlich aufklappbar, medial hingegen stabil. Die Kreuzbänder waren initial nicht eindeutig beurteilbar. Im Dial-Test liess sich in 30° Flexion eine vermehrte Aussenrotation auf der linken Seite beobachten. Peripher war ein Peronaeusausfall mit Plegie der Fussheber und Sensibilitätsminderung über dem anterolateralen Unterschenkel und Fussrücken erkennbar. Die Fusspulse waren kräftig palpabel, der Knöchel-Arm-Index («ankle-brachial index» [ABI]) betrug 1,18.
Das Röntgenbild des linken Kniegelenkes zeigte einen altersentsprechenden Normalbefund ohne knöcherne Verletzungen.
Zur Abklärung der Peronaeusläsion wurde notfallmäs­sig eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt. Hier zeigte sich eine Avulsion des gemeinsamen fibulären Ansatzes der Sehne des Musculus (M.) biceps femoris und des lateralen Kollateralbandes (LCL), zusätzlich eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes (VKB) und der posterolateralen Gelenkkapsel (Abb. 1). Der N. peronaeus communis war in seiner Kontinuität erhalten und erschien nicht komprimiert.
Abbildung 1: Magnetresonanztomogramm präoperativ. 
Links (Koronalschnitt): Avulsion von Bizepssehne und lateralem Kollateralband vom Fibulaköpfchen (Pfeil). Rechts (Sagittalschnitt): Komplette Ruptur des vorderen Kreuzbandes (Pfeil). Bildmaterial: Department Radiologie SRRWS.

Diagnose

Multiligamentäre Knieverletzung links:
– partielle Avulsion des PLC (Bicepssehne, laterales Kollateralband);
– VKB-Ruptur;
– Plegie des N. peronaeus communis

Therapie und Verlauf

Fünf Tage posttraumatisch erfolgte in einem ersten Eingriff die periphere Stabilisation. Über einen lateralen Zugang wurde zuerst der N peronaeus communis dargestellt, inspiziert und angeschlungen. Dieser zeigte sich in seiner Kontinuität erhalten, war jedoch blutig durchtränkt und aufgetrieben. Die gemeinsame Insertion von LCL und Bizepssehne war grossflächig vom Fibulaköpfchen abgerissen (Abb. 2). Bei sehr gros­ser Kontaktfläche entschieden wir uns für eine direkte Refixation. Der avulsionierte Anteil wurde armiert und mittels Fadenankern (Mitek GIITM) am Fibulaköpfchen refixiert.
Abbildung 2: Intraoperativer Befund, Knie links von lateral. Orientierung: kranial: rechts, ventral: oben. Gelb angeschlungen: Nervus peronaeus. Kreuze: Bizepssehne/laterales Kollateralband. Pfeile: ­Avulsionsstelle am Fibulaköpfchen.
Postoperativ wurde das Knie in einer geführten Rahmenorthese (Flexionslimite 30° Tag 0–14, 60° Tag 15–28, 90° Tag 29–42) ruhiggestellt. Für die ersten sechs Wochen erfolgte eine Teilbelastung mit 15 kg. Zur Spitzfussprophylaxe bei Fallfuss wurde eine Heidelbergschiene angepasst. Bei gutem Verlauf erfolgte zwölf Wochen nach der peripheren Stabilisation die komplikationslose arthroskopische vordere Kreuzbandplastik mittels ipsilateraler Semitendinosussehne (Abb. 3).
Abbildung 3: Konventionell-radiologischer Befund nach Refixation von Bizepssehne und lateralem Kollateralband sowie Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes. Bildmaterial: Department Radiologie SRRWS.
Nach regelrechtem postoperativen Verlauf zeigte sich sechs Monate posttraumatisch ein zufriedener Patient mit subjektiv und objektiv stabilem Kniegelenk.
Bezüglich der Plegie des N. peronaeus erholte sich die Sensibilität im Bereich des Ramus superficialis langsam. Eine Elektromyographie (EMG) zwölf Wochen posttraumatisch zeigte jedoch noch keine Hinweise für eine ­Erholung des Ramus profundus. Interdisziplinär mit der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie wurde weiterhin ein konservatives Prozedere festgelegt. Sechs Monate nach dem Unfall stellte sich der Patient mit einer schwachen Vorfussextension (Kraftgrad M 3/5) in unserer Sprechstunde vor. Bei beginnender klinischer Erholung wurde die konservative Therapie weitergeführt.

Diskussion

Wir sind mit einer schwerwiegenden Verletzung des Kniegelenkes konfrontiert, die durch ein niederenergetisches Trauma verursacht wurde.
Verletzungen des PLC treten in etwa 9% aller relevanten ligamentären Knieverletzungen auf. Der PLC-Komplex ist hier vor allem nach Anpralltraumata am anteromedialen Kniegelenk oder nach Hyperextensionstraumata betroffen. Er besteht aus primären (LCL, Popliteus­sehne und popliteofibuläres Ligament) und sekundären (posterolaterale Kapsel, Bizepssehne, Tractus iliotibialis) Stabilisatoren. Diese stabilisieren das Knie gegen Varus- und Aussenrotationskräfte. Eine isolierte Verletzung des PLC liegt selten vor (ca. ⅓ aller Fälle), häufig sind auch das VKB oder hintere Kreuzband (HKB) ­betroffen. Klinisch zeigt sich bei kompletter Ruptur des PLC eine vermehrte Aufklappbarkeit lateralseitig in 0° und 20–30° Flexion, bei alleiniger Verletzung des Aus­senbandes nur in 20–30° Flexion. Ein weiterer klinischer Test zur Beurteilung der Bandstrukturen ist der Dial-Test. Hier liegt der Patient auf dem Bauch, die Füs­se werden bei 30° und 90° Knieflexion durch den Untersucher nach aussen rotiert. Bei vermehrter (>10°) Aussenrotation lediglich in 30° Flexion stellt sich der Verdacht auf eine isolierte PLC-Verletzung, bei vermehrter Aussenrotation in 90° Flexion muss an eine zusätzliche HKB-Verletzung gedacht werden. In der Akutsituation ist die klinische Diagnostik aufgrund der Schmerzen häufig erschwert, hier bietet sich die Durchführung einer MRT auch zur Abklärung möglicher Begleitverletzungen an [1, 2].
Liegt eine drittgradige Verletzung der lateralen Strukturen vor (d.h. ist das Knie in 20–30° Flexion und in voller Extension lateral vermehrt aufklappbar), dann können mit der konservativen Therapie im Gegensatz zu medialen Bandverletzungen keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielt werden. In der Literatur wird die rasche operative Versorgung empfohlen (unter drei Wochen). Eine einzeitige Versorgung von PLC und VKB ist möglich, eine erhöhte Rate von Arthrofibrosen wird kontrovers diskutiert. Die operative Versorgung der PLC-Verletzung ist entweder mittels direkter Refixation mit Naht oder Nahtanker oder aber mittels verschiedener Rekonstruktionsmethoden möglich. Dabei werden das LCL und die Popliteussehne mittels Auto- oder Allografts rekonstruiert, die über Bohrkanäle an den Ursprungs- und Ansatzpunkten der betroffenen Bänder fixiert werden. Aufgrund der Seltenheit dieser Verletzung sind nur wenig Daten bezüglich der Langzeitergebnisse vorhanden. Die Rekonstruktion hat in Vergleichsstudien bessere Ergebnisse gezeigt. Ein Kreuz­bandersatz ohne vorherige oder gleichzeitige Versorgung des PLC wird wegen des vermehrten Auftretens von ­Rerupturen nicht empfohlen. In verschiedenen Patientenkohorten mit unterschiedlichen Operationsmethoden zeigten sich verglichen mit konservativer Therapie bessere funktionelle Ergebnisse nach operativer Versorgung. Langfristig kann die Mehrheit der operativ versorgten Patienten wieder ihren Beruf ausüben und ein etwas geringerer Anteil wieder sportliche Aktivitäten auf dem ursprünglichen Niveau ausüben [3, 4, 6].
In unserem Falle erfolgte der Entscheid zur direkten Refixation intraoperativ aufgrund des Befundes einer grossflächigen gemeinsamen Avulsion der betroffenen Strukturen.
Bei 16–29% aller PLC-Verletzungen liegt auch eine Peronaeusläsion vor. Der Verletzungsmechanismus ist in den meisten Fällen ein Dehnungsschaden bedingt durch Varusstress. Es wird die bildgebende Abklärung des vorliegenden Verletzungsmusters mittels MRT oder Sonographie empfohlen. Bei inkompletten Läsionen, das heisst lediglich Vorliegen von Paresen und Fehlen einer behandelbaren Pathologie in der Bildgebung, wird eine konservative Therapie mit Schienenbehandlung und Physiotherapie empfohlen. Bei Plegien gibt es aufgrund der geringen Fallzahlen keine klare Evidenz bezüglich der optimalen Therapie. Je nach Ergebnis der Bildgebung oder des intraoperativen Befundes werden eine abwartende konservative Therapie und serielle klinisch-neurologische Verlaufskontrollen mittels EMG und Messung der Nervenleitgeschwindigkeit zur Beurteilung der Erholung (bei kurzstreckiger Schädigung des Nervs ohne erkennbare behandelbare Pathologie), eine direkte Naht (bei Durchtrennung), Rekonstruktion mittels Nerveninter­ponaten (bei langstreckiger Schädigung oder Defekt) oder eine Nerventransposition kombiniert mit einem Sehnentransfer empfohlen. Eine Fallserie von posterolateralen Knieverletzungen bei kleiner Kohortengrösse ergab einen statistisch nicht signifikanten Trend zu etwas schlechteren funktionellen Ergebnissen bei zusätzlichem Vorliegen einer Peronäusläsion [6, 7].

Das Wichtigste für die Praxis

• Multiligamentäre Knieverletzungen sind selten, können unbehandelt jedoch gravierende Folgeschäden und bleibende Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Wichtig ist die rasche und vollständige Erfassung der verletzten Strukturen, da eine umfassende und zeitnahe operative Versorgung deutlich bessere Langzeitergebnisse erzielt. Insbesondere bei Vorliegen neurologischer Ausfälle oder Durchblutungsstörungen ist eine hochgradige Instabilität im Sinne einer multiligamentären Verletzung mit möglicherweise stattgefundener Luxation in Erwägung zu ziehen.
• Eine komplette PLC-Ruptur sollte operativ versorgt werden. Eine vordere Kreuzbandrekonstruktion ohne Refixation oder Rekonstruktion der peripheren Stabilisatoren ist mit deutlich erhöhten Versagensraten behaftet.
• Begleitverletzungen, insbesondere Peronaeusläsionen, sind häufig. Hier werden Paresen ohne bildgebende Hinweise auf behandlungsbedürftige Pathologie aufgrund der guten Heilungstendenz im Allgemeinen konservativ mit Schienen und Physiotherapie behandelt. Die optimale Therapie von Plegien ist derzeit nicht bekannt. In der Literatur sind hier je nach Verletzungsmuster direkte Rekonstruktion, Rekonstruktion mittels Nerveninterponaten oder -transposition sowie Sehnentransfers beschrieben. Die Entscheidung sollte individuell und interdisziplinär gefällt werden.
Wir bedanken uns herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen des ­Departements Radiologie der Spitalregion Rheintal Werdenberg Sarganserland für das Bildmaterial.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. univ. (A)
Benedikt Jochum
Spital Grabs
Spitalstrasse 44
CH-9472 Grabs
benedikt.jochum[at]gmail.com
1 Chahla J, Moatshe G, Dean CS, LaPrade RF. Posterolateral Corner of the Knee: Current Concepts. Arch Bone Jt Surg. 2016;4(2):97–103.
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3 Kennedy NI, LaPrade CM, LaPrade RF. Surgical Management and Treatment of the Anterior Cruciate Ligament/Posterolateral Corner Injured Knee. Clin Sports Med. 2017;36(1):105–17.
4 Levy BA, Dajani KA, Morgan JA, Shah JP, Dahm DL, Stuart MJ. Repair versus reconstruction of the fibular collateral ligament and posterolateral corner in the multiligament-injured knee. Am J Sports Med. 2010;38(4):804–9.
5 Mook WR, Ligh CA, Moorman CT 3rd, Leversedge FJ. Nerve injury complicating multiligament knee injury: current concepts and treatment algorithm. J Am Acad Orthop Surg. 2013;21(6):343–54.
6 Levy BA, Dajani KA, Whelan DB, Stannard JP, Fanelli GC, Stuart MJ, et al. Decision making in the multiligament-injured knee: an evidence-based systematic review. Arthroscopy. 2009;25(4):430–8.
7 Ridley TJ, McCarthy MA, Bollier MJ, Wolf BR, Amendola A. The incidence and clinical outcomes of peroneal nerve injuries associated with posterolateralcorner injuries of the knee. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc. 2018;26(3):806–11.