Kurz und bündig
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Kurz und bündig

Kurz und bündig
Ausgabe
2019/2324
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08305
Swiss Med Forum. 2019;19(2324):374-377

Publiziert am 05.06.2019

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Störungen des Geruchssinnes

Hypo- und Anosmie
– Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung: 4–6%
– Häufigkeit >65 Jahre: etwa 15% (!)
– Ursachen:
• Nasale Obstruktion (Rhinitis, Septumdeviation, Malignom)
• Störungen der olfaktorischen Mukosa (Rhinitis medicamentosa oder atrophicans, Rauchen, post-virale Neuropathie)
• Störungen des Nervus olfactorius / des olfaktorischen Zentrums (Trauma; Tumoren, v.a. Meningeome; Neuropathie z.B. bei Diabetes; olfaktorische neurodegenerative Erkrankungen)
• Psychogen
Parosmie
– Meist unangenehme «Perversionen» des Geruchssinnes (auch ­«Kakosmie») bei Verletzung des Nervus olfactorius
Olfaktorische Halluzinationen
– Temporallappenepilepsie, Psychosen
French’s Index of Differential Diagnosis,14. Ausgabe, 2005. ­Verfasst am 04.05.2019.

Praxisrelevant

Verminderter Geruchssinn

Die meisten bislang publizierten Studien haben eine Assoziation zwischen neurodegenerativen Erkrankungen (in erster Linie Morbus Parkinson und Alzheimer, aber auch Huntington) und Hyposomie/Anosmie gezeigt. Ein verminderter Geruchssinn scheint auch ­einen schnelleren Abfall der kognitiven Leistung voraus­sagen zu können [1]. Nicht ganz überraschend deshalb, dass nun auch eine Assoziation mit erhöhter Mortalität bei älteren Patient(inn)en gezeigt wurde, die noch zuhause leben [2]. Bei knapp 2300 Patient(inn)en (bei Einschluss 71–82-jährig) fanden man eine um durchschnittlich 50% höhere Mortalität innerhalb der folgenden zehn Jahre, falls eine Hyposmie vorlag. Der ­Geruchssinn wurde mit einem auch in der Praxis anwendbaren, einfachen Test («brief smell identification test» [BSIT], [3]) objektiviert. Die Studie fand, etwas verwunderlich, dass die negative Prognose vor allem bei Proband(inn)en eintrat, die beim Einschluss als relativ gesund angesehen wurden. Die Autoren folgern, dass neurodegenerative (und neoplastische) Erkrankungen, für einen guten Teil der, aber nicht die gesamte negative Prognose verantwortlich sein dürften.
2 Ann Intern Med 2019, doi.org/10.7326/M18-0775.
3 Larnyngoscope 1996, doi.org/10.1097/00005537-199603000-00021.
Verfasst am 06.05.2019.

Neues aus der Biologie

«-omics» überall und komplementär

Das kolorektale Karzinom ist weltweit der dritthäufigste Krebs. Genomische (DNA), transkriptomische (RNA) und proteomische (Einweisslandkarte) Analysen solcher Tumoren haben die ausgeprägte molekulare Heterogenität derselben etabliert. Im Tumorgewebe und angrenzenden normalem Gewebe von 110 Pa­tient(inn)en mit kolorektalem Karzinom wurden diese drei genannten «-omics» (und einige weitere Analysen) erstmals kombiniert angewendet. Ein reiche Fundgrube: Man fand neue krebsassoziierte Proteine (Neoantigene), die sich als sensitive Biomarker eignen könnten. Zusätzlich ergaben sich auch neue Erkenntnisse über neue, die Onkogenizität steigernde Mutationen («drivers»), mithin also die Identifikation von neuen Angriffspunkten für die Therapie oder deren individualisierte Anwendung.
Verfasst am 07.05.2019.

Für Ärztinnen und Ärzte im Spital

Schwere Aortenstenose: TAVR im Vergleich zum klassischen Klappenersatz

Aufgrund zweier neuer Studien auch bei sogenannten Niederrisiko-Patient(inn)en (erwartete Mortalität des chirurgischen Eingriffes <2%) hat sich gezeigt, dass der TAVR («transcatheter aortic valve replacement») bei ­allen perioperativen Risikogruppen zumindest gleich gut wie der chirurgische Klappenersatz ist [1, 2]. Eine Kardiologin weist im begleitenden Editorial kritisch auf den Umstand hin, dass bikuspide Aortenklappen in diesen Studien ausgeschlossen, die Gruppen für gewisse anatomische Details nicht korrigiert und der Frauenanteil an der Studienpopulation weit unterdurchschnittlich ausgefallen waren [3]. Für detailliertes Studium der konkreten Endpunkte (namentlich Tod, Schlaganfall, Vorhofflimmern, Blutungen) wird kurz und bündig auf die Publikationen verwiesen.
1 N Engl J Med 2019, doi:10.1056/NEJMoa1814052.
2 N Engl J Med 2019, doi:10.1056/NEJMoa1816885.
3 N Engl J Med 2019, doi:10.1056/NEJMe1903316.
Verfasst am 02.05.2019.

Interventionen erster Wahl bei schwerer Aortenstenose*

– <50 Jahre: mechanische Klappen, falls Patient(inn)en eine lebenslange Antikoagulation nicht ablehnen
– 50–70 Jahre: mechanische (vermehrt Blutungen, Thrombosen) oder biologische (erhöhte Rate an Degenerationen und Zweitinterventionen) Klappen
– >70 Jahre: Bioprothese oder TAVR (mehr Langzeitdaten vorhanden für Bioprothese)
* Besprechung der aktuell besten Option zwischen Patienten, Kardiologen und Herzchirurgen
N Engl J Med 2019, doi:10.1056/NEJMe1903316. Verfasst am 02.05.2019.

Aus Schweizer Feder

Der EFFORT hat sich gelohnt

Eine Malnutrition hat einen negativen Einfluss auf den kurz- und langfristigen Verlauf verschiedener Gruppen hospitalisierter Patient(inn)en. Für die Leserinnen und Leser, die solche Patient(inn)en versorgen, aber nicht in den Details der stationären Ernährungsfor-schung zuhause sind, waren die publizierten Informationen der letzten 20 Jahre verwirrlich: Verbessert eine diätetische Intervention den Verlauf? Enteral/parenteral? Chirurgische oder nicht-operative Intensivstationen? Sofort beginnen oder zuwarten? Oft widersprüchlich beantwortete Fragen!
Eine grosse, multizentrische Studie aus der Schweiz (EFFORT-Studie) bei gut 2000 (von 5000 mit einem ­Ernährungs-Score, «Nutritional Risk Screening» [NRS] 2002, gescreenten) Patient(inn)en (nicht-chirurgisch hospitalisiert) wies die experimentelle Gruppe einer prädefinierten, intensiven Ernährungstherapie und die Kontrollgruppe sozusagen der normalen Spital­küchenkost zu. Bei einem mittleren Alter von knapp 73 Jahren und Hospitalisationsdauer von gut neun ­Tagen war die 30-Tage-Mortalität jeder Ursache bei der Interventionsgruppe (7%) kleiner als in der Kon­trollgruppe (10%, «number needed to treat» = ca. 33, p = 0,011). Die wichtigsten anderen Komponenten des gemeinsamen Endpunktes wie schwere Komplikationen jeder Art, Aufnahmen auf die Intensivstation und Rehospitalisationen waren indes nicht unterschiedlich. Die Unmöglichkeit der Verblindung (mit sicher intensiverer Individualbetreuung bei der interventionellen Gruppe) einer solchen, sonst methodologisch ausgezeichneten Studie bringt wohl einen Unsicherheitsfaktor in die quantitative Beurteilung des Resultates.
Verfasst am 08.05.2019.

Expresskorrektur von Eisenmangel(anämie) vor Herzoperationen

Am UniversitätsSpital Zürich fand man, dass die ­doppelt verblindete, präoperative Zufuhr von Eisen (20 mg/kg), Erythropoietin alpha (40 000 U), Vitamin B12 (1 mg), alle parenteral, und Folsäure (5 mg) oral am Tage vor dem elektiven kardiochirurgischen Eingriff den perioperativen Bedarf an Erythrozytentransfusionen und anderen allogenen Blutprodukten signifikant verminderte. Von 2000 gescreenten wurden gut 1000 Patient(inn)en randomisiert. Sie wiesen entweder eine Anämie (<120 g/l bei Frauen, <130 g/l bei Männern) und/oder verminderte Eisenspeicher (definiert als Ferritin < 100 μg/l) auf.
Verfasst am 08.05.2019.

Ein eigener Sache – sozusagen

Manchmal ergibt sich ein kurz und bündiges Unbehagen, wenn – wie in dieser Ausgabe (The Lancet) – ein biomedizinisches Journal übervertreten ist. Die untenstehende Zusammenstellung mag als kleine Exkulpation angesehen werden, insofern als wir einem etwas weniger gelesenen Journal zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen …
Die Auflistung (2018) der wöchentlich erscheinenden Journale ist geordnet nach Anzahl gelesener Artikel pro Leser, jedes Mal wenn dieser die Zeitschrift aufschlägt.
JournalMonatliche ­LeserschaftGelesene Artikel pro Leser und Ausgabe
New England Journal of Medicine1 500 0002,1
British Medical Journal2 900 0001,8
The Lancet  860 0001,7
JAMA2 600 0001,4
Annals of Internal ­Medicine  400 0001,3
Verfasst am 06.05.2019.

Immer noch lesenswert

Identifikation des Capsaicin-Rezeptors als hitzeaktivierter Ionenkanal

Capsaicin ist ein natürliches Produkt aus den Pfefferschoten. Wie bei anderen nozizeptiven Stimuli wird zuerst eine neuronale Aktivierung mit Schmerzen ­sowie eine Ausschüttung entzündlicher Mediatoren ausgelöst. Bei verlängerter Anwendung werden die Schmerzrezeptoren gegenüber Capsaicin und anderen Schmerzreizen unempflindlich. Da es keine Informa­tionen über die Natur eines Capsaicin-Rezeptors gab, mussten die Forscher auf das damals übliche, aber aufwändige «expression cloning» zurückgreifen. Man isoliert dabei Kandidaten-DNA, injiziert sie in ein zelluläres Expressionssystem (z.B. Oozyten) und misst die biologische Antwort (in diesem Falle fluoreszenz­optisch den Kalziumeinstrom). Hat man die erwartete biologische Antwort gefunden, kann die detaillierte Sequenzierung und Klonierung des Gens erfolgen. Auf diese Weise konnte der Capsaicin-Rezeptor gefunden werden. Als Nebenprodukt entdeckte man, dass dieser auch durch thermische Stimuli aktiviert wird, also in der Schmerzübermittlung etwa bei Verbrennungen wichtig ist. Mit fast 5500 Zitationen (Selbstzitationen abgezogen) gehört diese Arbeit zu den meistzitierten der Schmerzforschung.
Nature 1997, doi.org/10.1038/39807.
Verfasst am 07.05.2019.
© Frank Chang | Dreamstime.com

Das hat uns nicht gefreut

Negative Prognose für Mütter mit Präeklampsie

In einer eindrücklichen dänischen Kohorte von mehr als einer Million Frauen und einer Nachbeobachtungszeit von fast 19 Jahren wurde gefunden, dass eine Prä­eklampsie das Risiko einer späteren chronischen Nierenerkrankung um einen Faktor 4 erhöht, wobei das Risiko noch steigt, wenn die Präeklampsie früh in der Schwangerschaft aufgetreten war. Ob die wirksame Prophylaxe der Eklampsie mit Aspirin® nach entsprechendem Erst-Trimester-Screening diese Langzeitprognose verbessert, ist leider noch nicht bekannt.
BMJ 2019, doi.org/10.1136/bmj.l1516.
Verfasst am 01.05.2019.

Auch noch aufgefallen

Künstliche Intelligenz: Aufgepasst!

Man kann davon ausgehen, dass in der Diagnostik und der Entscheidungsfindung das sogenannte maschinelle Lernen in vielen Bereichen der Medizin (Radiologie, Pathologie, Dermatologie, Ophthalmologie) den entsprechenden Spezialisten bereits mindestens ebenbürtig ge­worden ist. Eine lesenswerte Übersicht («adversarial attacks on medical machine learning») weist aber darauf hin, dass diese künstlich intelligente Methode – wie in allen anderen Bereichen ihrer Anwendung – auch in der Medizin gestört und gezielt (wenn auch nicht a priori erkennbar) verändert werden kann. So können subtile Änderungen die Diagnostik an sich benigner Veränderungen in solche fraglicher oder gar maligner Dignität verändern. Mit entsprechendem ökonomischem Potential! Wie soll man sich technisch dagegen wehren?
Verfasst am 02.05.2019.

Sex: weniger häufig, aber häufiger gewünscht

In Grossbritannien untersuchten die Natsal-Studien 1, 2 und 3 die sexuelle Kontaktfreudigkeit bei jeweils deutlich mehr als 10 000 Patient(inn)en in den Jahren 1991, 2001 und 2012. Während zwischen 1991 und 2001 nur geringe Unterschiede gefunden wurden, sticht die überaus deutliche Abnahme der sexuellen Kontakte gemäss der Befragung aus 2012 (sexuelle Kontakte und deren Häufigkeit im letzten Monat) ins Auge. Gegenüber 2001 fielen diese 2012 bei Frauen von knapp 21 auf gerade noch 13% und bei Männern von 20 auf 14%. Ein klarer Trend, der auch in anderen Ländern gefunden wurde. Gleichzeitig wünschten sich die Studienteilnehmer(inn)en aber mehr Sex!
Natürlich ist die körperliche Vereinigung nur eine Facette eines (erfüllten) Sexual­lebens, die Studie könnte aber schon ein Hinweis auf wichtige (gesellschaftliche, soziologisch erklärbare?) Störungen sein, die nicht ­allein durch das leicht höhere Durchschnittsalter der Natsal-3-Studie erklärt werden können. Die Abnahme der sexuellen Aktivität war signifikant ausgeprägter jenseits bereits des 25. Alters­jahres und in Ehen oder etablierten Partnerschaften. Nicht ganz überraschend waren Personen in gesicherten ökonomischen Verhältnissen und einer Vollzeitanstellung sexuell aktiver.
BMJ 2019, doi.org/10.1136/bmj.l1525.
Verfasst am 10.05.2019.

Medizinische Depeschenagentur

Frühlingserwachen für Gentamicin?

240 mg Gentamicin i.m. plus 1 g Azithromycin war bei 720 Patient(inn)en mit Gonorrhoe etwas schlechter wirksam als die Kombination von Ceftriaxon (500 mg) mit 1 g Azithromycin (Eradikation von 90 versus 98%). Gentamicin könnte sich aber als Reserve bei Cephalosporinallergie oder bei der zunehmenden Cephalosporinresistenz anbieten.
Verfasst am 06.05.2019.

U=U: undetectable = untransmittable

Nach der Partner-1-Studie (heterosexuelle Partnerschaften) zeigt auch die Partner-2-Studie bei homosexuellen Partnern, dass bei sogenannter Serumdifferenz (HIV+ und HIV–) eine moderne und mit hoher Compliance eingenommene HIV-Therapie eine Transmission auch ohne Kondomschutz verhindert («untransmissable»), wenn im Serum keine Viren mehr nachweisbar sind («undetectable»).
Verfasst am 06.05.2019.