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Implantierbare Defibrillatoren haben sich in der Behandlung maligner Herzrhythmusstörungen bewährt. Es gibt jedoch Situationen, in denen die Implantation eines Defibrillators aus klinischer Sicht weniger sinnvoll oder von den aktuellen Guidelines noch nicht empfohlen ist. Die tragbare Defibrillatorweste ermöglicht in solchen Fällen einen Schutz vor dem plötzlichen Herztod.
Hintergrund
Der implantierbare Kardioverter-Defibrillator (englisch: «implantable cardioverter-defibrillator» [ICD]) ist seit Jahrzehnten ein integraler Bestandteil der Behandlung maligner Herzrhythmusstörungen und des plötzlichen Herztods. Kammertachykardien und Kammerflimmern werden durch das Gerät erkannt und anschliessend über verschiedene Mechanismen (Overdrive-Pacing, Kardioversion und Defibrillation) terminiert. Die primär- oder sekundärprophylaktischen Indikationen für eine ICD-Implantation sind in den aktuellen europäischen Richtlinien definiert [1]. In Anbetracht der hohen Gerätekosten und der nicht zu unterschätzenden Langzeitrisiken wie Geräteinfektion, Elektrodendislokation und inadäquater Schock ist eine zurückhaltende, streng evidenzbasierte Indikationsstellung sinnvoll.
Es gibt jedoch klinische Situationen, in denen das Risiko eines plötzlichen Herztods deutlich erhöht ist, die ICD-Implantation aber entweder noch nicht empfohlen wird oder eine ICD-Explantation überbrückt werden muss (z.B. Endokarditis mit Befall des ICD), sowie Szenarien, bei denen das Risiko noch nicht zu beurteilen ist. Die tragbare Kardioverter-Defibrillatorweste (englisch: «wearable cardioverter-defibrillator» [WCD]) dient zur Überbrückung, bis eine adäquate klinische Risikostratifizierung abgeschlossen ist und der Patient entweder für eine ICD-Implantation qualifiziert, transplantiert wird oder sich das akute kardiale Krankheitsbild erholt hat und ein ICD nicht indiziert ist.
Technische Übersicht und klinischer Alltag
Aktuell ist ein WCD zugelassen (LifeVest®, ZOLL® Medical Corporation). Das Device kann über ein online verfügbares Formular durch behandelnde Ärzte bestellt werden (http://lifevest.zoll.com/ch-de/medical-professionals/how-order-lifevest). Das Formular dient gleichzeitig auch als Antrag für eine Kostengutsprache. Nach Absenden des Formulars wird ein Termin für die Ausrüstung und Schulung des Patienten vereinbart, was durch einen ZOLL®- Mitarbeiter noch im Spital durchgeführt wird.
Der WCD besteht aus zwei Teilen (Abb. 1 und 2), die unter der Bekleidung tragbare Weste ist in verschiedenen Grössen erhältlich. Sie enthält eingebaute Elektroden für die EKG-Aufzeichnung sowie gelfreisetzende Defibrillator-Pads. Der Monitor ist vergleichbar mit der Batterie eines ICD, indem er die Batterie, elektrische Schaltkreise, Kondensator sowie das Programm für das Erkennen und Aufzeichnen von Rhythmusstörungen enthält (Abb. 3).
Die Patienten werden darauf hingewiesen, den WCD Tag und Nacht zu tragen mit dem Ziel, einen möglichst kontinuierlichen Schutz zu erreichen. Zwei Batterien, welche die Patienten selber wechseln können, werden zur Verfügung gestellt (die Ladezeit der Batterien beträgt ca. 3,5 Stunden). Die Weste selber kann problemlos handgewaschen werden. Zu beachten ist, dass einer der häufigsten Gründe für eine niedrige Therapieadhärenz wegen des oft niedrigen Tragekomforts entsteht. Dies ist insbesondere bei schlanken Personen ein häufiges Problem.
Die Arrhythmieerkennung läuft über einen Algorithmus, der auf programmierbaren Tachykardiefrequenzen sowie der EKG-Morphologie basiert. Wird eine Arrhythmie erkannt, werden sequentiell akustische und Vibrationsalarme ausgelöst. Ist der Patient bei Bewusstsein, kann er eine Schockabgabe durch das Drücken von zwei Knöpfen auf dem Monitor aktiv verhindern. Wenn die Knöpfe nicht mehr gedrückt werden und die Arrhythmie anhält (z.B. bei Synkope), setzen die Elektroden das elektrisch leitende Gel frei und die Defibrillation (biphasische Schocks, programmierbar von 75 bis 150 J) erfolgt zirka 30 Sekunden nach Arrhythmiedetektion. Es können zwar mehrere Schockabgaben erfolgen, trotzdem sollte die WCD-Weste möglichst sofort gewechselt werden, um das freigesetzte Gel zu ersetzen. Zu beachten ist, dass der WCD weder bei Bradykardien noch bei Tachykardien ein Overdrive-Pacing erlaubt [2]. Die Patienten werden geschult, im Falle eines Alarms oder einer Schockabgabe die Ambulanz zu alarmieren und ins nächste Spital zu fahren.
Erkennt das Device eine Arrhythmie, so wird dies als ein «Event» gespeichert. Alle Events werden durch die eingebaute Telemetriefunktion auf das «LifeVest® Network» hochgeladen und das betreuende ärztliche Team erhält E-Mails, welche die registrierten Events enthalten.
Ein besonderer Aspekt ist das Reisen mit dem WCD. Planen Patienten mit einem WCD eine (Flug-)Reise, müssen sie sich bei ZOLL® für Reiseunterlagen melden. Je nach Reisedestination gibt es vor Ort keinen Support und bei technischen Schwierigkeiten kann lediglich die weltweit erreichbare Hotline telefonisch kontaktiert werden. Wie Schrittmacher- und ICD-Träger erhalten Patienten einen LifeVest®-Ausweis, damit sie nicht durch Metalldetektoren gehen müssen.
Indikationen
Die aktuellen Richtlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie («European Society of Cardiology» [ESC]) empfehlen den WCD bei ausgewählten Indikationen mit einem tiefen Evidenzniveau (Tab. 1) [1]. In der Praxis gibt es drei Szenarien, in denen WCD sinnvoll sind:
Tabelle 1: Empfehlungen der «European Society of Cardiology» (ESC) für die tragbare Defibrillatorweste (nach [1]). Empfehlungsgrad IIb = kann erwogen werden. | |
Empfehlung | Empfehlungsgrad |
Reduzierte linksventrikuläre Pumpfunktion mit einem temporär erhöhten Risiko für arrhythmogenen Tod und ohne Indikation für eine ICD-/CRT-D-Implantation (z.B. Überbrückung bis zur Herztransplantation oder ICD-Implantation, Peripartum-Kardiomyopathie, aktive Myokarditis und Arrhythmien) | IIb |
<40 Tage nach Myokardinfarkt bei ausgewählten Patienten mit potenziell erhöhtem Risiko für maligne Rhythmusstörungen (z.B. inkomplette Revaskularisation, vorbestehende linksventrikuläre Dysfunktion, potentiell maligne Arrhythmien 48 Stunden nach Infarkt) | IIb |
ICD = «implantable cardioverter-defibrillator», CRT-D = «cardiac resynchronization therapy defibrillator» |
1. die Indikation für eine ICD-Implantation besteht, er kann jedoch (noch) nicht implantiert oder muss sogar explantiert werden;
2. es besteht ein temporär erhöhtes Arrhythmierisiko;
3. die aktuelle klinische Situation erlaubt noch keine definitive Risikostratifizierung zur Frage, ob eine ICD-Implantation indiziert ist.
ICD- oder CRT-D-assoziierte Infektionen
Wird bei ICD- oder kardialen Resynchronisationsschrittmacher(CRT-D)-Trägern ein Infekt nachgewiesen, der auch das Gerät selber betrifft (Endokarditis, Tascheninfekt), ist neben einer antibiotischen Therapie die Explantation des kompletten Systems (Batterie und Elektroden) unumgänglich [3]. Die antibiotische Therapie ist bei Tascheninfekt für 10–14 Tage, bei Nachweis einer Bakteriämie als Ausdruck der Endokarditis beziehungsweise des Elektrodeninfektes für 4–6 Wochen nötig. In solchen Fällen kann die antibiotische Therapie auch ambulant unter dem Schutz eines WCD durchgeführt werden, bis wieder ein neuer ICD implantiert werden kann.
Kandidaten für eine Herztransplantation
Schwer herzinsuffiziente Patienten, die für eine Herztransplantation gelistet sind, benötigen häufig eine primär- oder sekundärprophylaktische ICD-Implantation. Dieser Eingriff ist jedoch risikobehaftet und teuer. Ein WCD kann in ausgewählten Fällen überbrückend eingesetzt werden. Allerdings ist zu beachten, dass der plötzliche Herztod bei terminal (das heisst NYHA IV) herzinsuffizienten Patienten häufiger die Folge von Asystolien oder elektromechanischer Dissoziation ist als von Kammerflimmern oder ventrikulären Tachykardien. Der WCD kann aber nur mittels Kardioversion oder Defibrillation ventrikuläre Tachykardien oder Kammerflimmern terminieren.
Ischämische Herzkrankheit mit reduzierter linksventrikulärer Funktion
Patienten mit ischämischer Herzkrankheit und eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion («left-ventricular ejection fraction» [LVEF]) <35% haben unmittelbar nach einem akuten Koronarsyndrom oder einer Revaskularisation (perkutane Angioplastie oder koronare Bypass-Operation) ein temporär erhöhtes Risiko für einen arrhythmogenen Tod. Basierend auf den MADIT-II- und SCD-HeFT-Studien empfiehlt die ESC frühestens sechs Wochen nach einem ischämischen Ereignis oder drei Monate nach erfolgreicher Revaskularisation eine primärprophylaktische ICD-Implantation, wenn sich die LVEF trotz adäquater medikamentöser Therapie nicht erholt [1, 4, 5]. Dennoch gibt es auch in dieser Akutphase gehäuft arrhythmische Ereignisse, weshalb der WCD hier einen potenziellen Nutzen haben könnte. Erholt sich die LVEF, so kann von einer ICD-Implantation abgesehen werden. Der Nutzen des WCD bei dieser Indikation wurde in der vor Kurzem vorgestellten VEST-Studie («American College of Cardiology»-Kongress 2018, noch nicht publiziert) untersucht. In dieser randomisierten kontrollierten Studie wurde primär die Rate an plötzlichem Herztod bei Patienten bis 90 Tage nach einem ischämischen Infarkt sowie einer LVEF <35% mit oder ohne WCD überprüft. Der primäre Endpunkt fiel negativ aus, es konnte keine Reduktion der Inzidenz von plötzlichem Herztod bei Patienten mit dem WCD im Vergleich zu der Kontrollgruppe nachgewiesen werden.
Neu diagnostizierte nichtischämische Kardiomyopathien
Bei neu diagnostizierter Herzinsuffizienz muss zuerst die Ätiologie gesucht werden. Ist diese nichtischämischer Genese (z.B. dilatative Kardiomyopathie, Myokarditis, Peripartum-Kardiomyopathie), soll eine Herzinsuffizienztherapie nach ESC-Richtlinien etabliert und die Ätiologie wenn möglich kausal behandelt werden [6]. In vielen dieser Fälle, namentlich bei Tachymyopathien, aber auch bei Myokarditis mit eingeschränkter Pumpfunktion und potentiell gefährlicher Arrhythmielast, kommt es im Verlauf meistens zu einer deutlichen Besserung der LVEF innerhalb von wenigen Wochen bis Monaten. Gemäss aktuellen Richtlinien ist im Kollektiv der Patienten mit nichtischämischer Kardiomyopathie eine primärprophylaktische ICD-Implantation frühestens nach drei Monaten indiziert [1]. Welche dieser Patienten wirklich von einer überbrückenden WCD-Therapie profitieren können, ist noch unklar. Ein in diesem Zusammenhang interessanter Aspekt wurde in der PROLONGE-Studie untersucht. Hier wurde bei Patienten, die an sich für einen ICD qualifizierten, unter WCD-Schutz über länger als drei Monate die Herzinsuffizienztherapie ausgebaut. Bei 33% dieser Patienten besserte sich die LVEF so, dass eine ICD-Implantation nicht mehr indiziert war [7].
Übersicht über die aktuellen Indikationen
Die Indikation zum Gebrauch eines WCD in der Schweiz wird aktuell evaluiert. «Real-world»-Daten aus Deutschland sind bereits publiziert worden und wurden graphisch in der Abbildung 4 zusammengefasst.
Eine seltene und wenig untersuchte Indikation ist die Anwendung des WCD bei Patienten mit einer Synkope unklarer Genese. Falls Synkopen als wahrscheinlich rhythmogen beurteilt werden, jedoch eine weitere Risikostratifizierung (Echokardiographie, Koronarangiographie, Flecainid-Test etc.) nötig sind, kann diese mithilfe eines WCD auch im ambulanten Rahmen erfolgen. Ein Vorteil ist in diesem Fall die kontinuierliche EKG-Aufzeichnung wie bei einem Holter.
Kosten
Der WCD wird durch die Firma nicht verkauft, sondern nur vermietet. Gemäss der Mittel- und Gegenstandliste beträgt der tägliche Höchstvergütungsbetrag für den WCD 124 CHF (3720 CHF/Monat). Dieser Betrag beinhaltet Schulung und 24-Stunden-Service für das Gerät. Die Zulassung gilt seit 01.01.2018 für maximal 30 Tage. Eine Verlängerung kann bei Begründung mit vorangehender Kostengutsprache durch den Versicherer erreicht werden.
Ausblick
Es konnte bereits gezeigt werden, dass WCD bei malignen Rhythmusstörungen einen Schutz vor plötzlichem Herztod anbieten. Wie bei einem ICD wird für die WCD-Indikationen in den kommenden Jahren eine möglichst personalisierte Risikostratifizierung wichtig werden. Die korrekte Auswahl der Patienten ist essentiell. Ergebnisse von laufenden randomisierten Studien werden uns helfen, diese Hürde zu überwinden.
Das Wichtigste für die Praxis
• Die tragbare Defibrillatorweste («wearable cardioverter-defibrillator» [WCD]) dient als temporärer Schutz vor dem plötzlichen Herztod bei Patienten mit erhöhtem Risiko für einen plötzlichen Herztod.
• Die aktuellen Europäischen Richtlinien anerkennen den potentiellen Nutzen des WCD und empfehlen sie in bestimmten klinischen Szenarien.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. univ. (A)
Boldizsar Kovacs
GZO Spital Wetzikon
Spitalstrasse 66
CH-8620 Wetzikon
boldizsar.kovacs[at]gzo.ch
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