Schwindel
«Hot topic» in der Neurologie

Schwindel

Aktuell
Ausgabe
2020/3940
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08595
Swiss Med Forum. 2020;20(3940):542

Affiliations
Klinik für Neurologie, Universitätsspital Zürich

Publiziert am 22.09.2020

Das Interesse an der Differenzialdiagnose des akuten vestibulären Syndroms ist weiterhin gross.

Weiterhin besteht ein grosses Interesse an der Differenzialdiagnose des akuten vestibulären Syndroms (AVS). Anhand klinischer Zeichen möchte man Patienten mit einem Schlaganfall so schnell wie möglich identifizieren. Die Befunde der «HINTS Plus» (negativer Kopfimpulstest, Spontannystagmus mit Richtungsumkehr bei Lateralblick zur Seite der langsamen Nystagmusphase, vertikale Divergenz der Augen im alternierenden Abdecktest und/oder einseitiges Hör­defizit) sind beim Vorliegen eines AVS sensitive Zeichen einer infratentoriellen Ischämie des Gehirns [1]. Bei etwa 4% der Patienten mit einem Infarkt im hinteren Stromgebiet ist die initiale DWI-MR-Bildgebung («diffusion-weighted magnetic resonance imaging») negativ [2]: Die «HINTS Plus», die pathologische Standprüfung (Unmöglichkeit, ohne Hilfe zu stehen) und weitere neurologische Defizite können 83% der DWI-negativen Patienten mit posteriorem Infarkt identifizieren; zusammen mit PWI («perfusion-weighted imaging») steigt die Sensitivität auf 100%.
Häufigste Ursache des AVS ist die vestibuläre Neuritis (VN), das heisst eine einseitige, wahrscheinlich virale Entzündung des Nervus vestibularis. Ji-Soo Kim, ein eminenter Neuro-Otologe aus Seoul, erlitt kürzlich selbst eine VN und beschrieb eindrücklich seine Erfahrungen als Patient [3]. Für das bessere klinische Verständnis der sehr belastenden Symptomatik einer vestibulären Neuritis sei dieser Artikel wärmstens empfohlen.
Das Auftreten von episodischem Schwindel bei Patienten mit Migräne in der Anamnese suggeriert das Vorliegen einer sogenannten vestibulären Migräne, sofern weitere Kriterien erfüllt sind [4]. Alternativ sollte man auch in Betracht ziehen, dass Migränepatienten an einem benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPLS) leiden. Tatsächlich ist die BPLS-Inzidenz bei Migränepatienten 2,5 mal häufiger als bei Personen ohne Migräne [5].
Ein chronisches vestibuläres Syndrom, das bisher differenzialdiagnostisch zu wenig berücksichtig wird, ist die Presbyvestibulopathie (PVP). Das «Classification Committee of the Bárány Society» hat sich kürzlich auf dessen diagnostische Kriterien geeinigt [6]: (a) Eine mindestens drei Monate dauernde Anamnese charakterisiert durch Gleichgewichtsstörung, Gehstörung, Schwindel oder wiederholte Stürze; (b) ein leichtes beidseitiges peripher-vestibuläres Defizit, das sich mit Video-Kopfimpuls-Test, Kalorik oder Drehstuhluntersuchung dokumentieren lässt; (c) ein Alter von 60 Jahren oder darüber; (d) keine Störungen oder Erkrankungen, die die Symptomatik besser erklären.
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med.
Dominik Straumann
Klinik für Neurologie
Universitätsspital Zürich
Frauenklinikstrasse 26
CH-8091 Zürich
dominik.straumann[at]usz.ch
1 Kattah JC. Update on HINTS Plus, with discussion of pitfalls and pearls. J Neurol Phys Ther. 2019;43:S42.
2 Choi J-H, Oh EH, Park M-G, Baik SK, Cho H-J, Choi SY, et al. Early MRI-negative posterior circulation stroke presenting as acute dizziness. J Neurol. 2018;265(12):2993–3000.
3 Kim J-S. When the room is spinning: experience of vestibular neuritis by a neurotologist. Front Neurol. 2020;11:157.
4 Lempert T, Olesen J, Furman J, Waterston J, Seemungal B, Carey J, et al. Vestibular migraine: diagnostic criteria. J Vestib Res. 2012;22(4):167–72.
5 Kim SK, Hong SM, Park I-S, Choi HG. Association between migraine and benign paroxysmal positional vertigo among adults in South Korea. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg. 2019;145(4):307–12.
6 Agrawal Y, Van de Berg R, Wuyts F, Walther L, Magnusson M, Oh E, et al. Presbyvestibulopathy: diagnostic criteria. Consensus document of the classification committee of the Bárány Society. J Vestib Res. 2019;29(4):161–70.