Die Blutkultur ist positiv. Wirklich?
Bakteriämie oder Kontamination?

Die Blutkultur ist positiv. Wirklich?

Wie deuten Sie diesen Befund?
Ausgabe
2021/0910
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08574
Swiss Med Forum. 2021;21(0910):157-159

Affiliations
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne
a Service de médecine interne; b Service de médecine préventive hospitalière; c Institut de microbiologie

Publiziert am 02.03.2021

Die breite Verschreibung von Blutkulturen führt zum Risiko falsch positiver Ergebnisse, die 10% der positiven Blutkulturen ausmachen. Wie lässt sich zwischen Bakteriämie und Kontamination unterscheiden?

Fallbeschreibung

Ein 85-jähriger Patient leidet an einer ischämischen Herzkrankheit und einem Sinusknotensyndrom, weshalb ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt wurde. Er wird wegen einer globalen kardialen Dekompensation hospitalisiert und erhält intravenös Diuretika. Am vierten Hospitalisationstag entwickelt er Fieber in der Höhe von 38,5 °C, ohne dass klinisch ein Infektionsherd oder eine Verschlechterung des Allgemeinzustands feststellbar sind. Am peripheren Venenkatheter, der bei der Aufnahme gelegt wurde, ist kein Anzeichen einer lokalen Infektion erkennbar. Durch direkte Venenpunktion werden zwei Paar Blutkulturen entnommen. Am Folgetag ist der Patient fieberfrei, eine Flasche eines Blutkulturenpaars ist positiv auf Staphylococcus (S.) epidermidis (eine Flasche von vier, ein Paar von zwei).

Frage: Wie interpretieren Sie dieses Ergebnis und welches Vorgehen empfehlen Sie?


a) Aufgrund des Risikos einer Herzschrittmacherinfektion muss eine Bakteriämie bestätigt oder ausgeschlossen ­werden. Sie veranlassen darum die Entnahme zweier neuer Blutkulturpaare.
b) Es handelt sich um eine Bakteriämie durch Staphylococcus epidermidis. In Erwartung der Ergebnisse des Antibiogramms und weiterer Untersuchungen leiten Sie darum eine Behandlung mit Vancomycin ein.
c) Die Entnahme der beiden Paare durch direkte Venenpunktion entspricht nicht den Empfehlungen. Da ein intravenöser Katheter vorhanden ist, sollte mindestens ein Paar über den Katheter entnommen werden. Sie veranlassen darum, ein neues Paar über den Katheter zu entnehmen.
d) Der Nachweis von Staphylococcus epidermidis in einer einzigen Flasche ist wahrscheinlich auf eine Kontamination zurückzuführen. Abgesehen von der üblichen klinischen Überwachung ergreifen Sie keine Massnahme.

Antwort:


Die richtige Antwort ist d.

Diskussion

Einleitung

Die Blutkultur ist die Laboruntersuchung, durch die eine Bakteriämie dokumentiert wird. Patienten mit einer Bakteriämie haben eine Mortalitätsrate zwischen 14 und 37% [1]. Die Befürchtung, eine Bakteriämie zu übersehen, und die begrenzten Möglichkeiten, sie aufgrund klinischer Anzeichen vorherzusagen, führen zu einer breiten Verschreibung von Blutkulturen: Auf der Abteilung für Innere Medizin des Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) beispielsweise sind Blutkulturen die am dritthäufigsten veranlassten Untersuchungen (jährliche Kosten: rund CHF 270 000). Eine einzelne Blutkultur kostet rund CHF 60. Die hohe Zahl an Blutkulturen geht mit dem Risiko falsch positiver Ergebnisse und mit deren Folgen einher (etwa mit ­unnötigen Antibiotikatherapien und mit der Notwendigkeit der Wiederholung von Untersuchungen). Das bedeutet Arbeitsaufwand, einen längeren Spitalaufenthalt und Kosten, die weit über die reinen Labor­kosten hinausgehen. Blutkulturen werden gemeinhin paarweise angelegt: Zwei Flaschen werden gleichzeitig befüllt, eine für aerobe und die andere für anaerobe Keime. Im Folgenden bezeichnet «Blutkultur» ein Paar Blutkulturen.

Präanalytische Aspekte

Indikation einer Blutkultur

Für bestimmte Infektionen, etwa Endokarditis, liegen eindeutige Empfehlungen für die Entnahme von Blutkulturen vor. In vielen Situationen vertrauen die Ärztinnen und Ärzte indes auf die klinische Beurteilung, die oftmals rasch erfolgen kann, bevor sie eine Blutkultur veranlassen.
Um das Bakteriämierisiko besser vorherzusagen, wurden über 20 Scores entwickelt. Als am aussagefähigsten hat sich der Score von Shapiro et al. erwiesen [2]. Dabei werden drei Kategorien des Bakteriämierisikos definiert (in Tabelle 1 ist die Vergabe der Punkte ersichtlich): 0 oder 1 Punkt(e) entspricht einem geringen Risiko (0,6% Bakteriämien), 2 bis 5 Punkte einem mittleren Risiko (6,8%) und 6 Punkte und mehr einem hohen Risiko (25,6%). Bei einem mittleren und hohen Risiko ist eine Blutkultur angezeigt, während bei Patientinnen und Patienten mit geringem Risiko eine klinische Überwachung denkbar ist. In der Studien­kohorte weist der Entscheidungsalgorithmus dieses Scores einen negativen Vorhersagewert von 99% auf. Der Score könnte die Zahl der auf Notfallstationen entnommenen Blutkulturen um 27% senken; allerdings wurde er ausschliesslich aufgrund von Daten aus Notfallstationen entwickelt und validiert, darum sollte er ausserhalb dieses Kontexts nicht verwendet werden, insbesondere für bereits hospitalisierte Personen [2].
Fieber, das man in Ermangelung eines offiziellen Konsenses als eine Temperatur von ≥38,3 °C definieren kann, ist das Hauptkriterium, das in der klinischen Praxis zur Anlage einer Blutkultur Anlass gibt (Tab. 2). Aus der Fachliteratur gehen indes keine Nachweise hervor, wonach sich aufgrund einer isolierten Temperaturerhöhung eine Bakteriämie vorhersagen lässt. Dagegen ist Schüttelfrost laut Coburn et al. bei immunkompetenten Personen der beste Indikator für eine Bakteriämie, was allerdings nicht für immunkompromittierte Personen und bei Verdacht auf Endokarditis gilt [1]. Zu beachten ist, dass bei älteren Menschen die typischen Anzeichen einer systemischen Infektion fehlen können. Auch wenn kein Fieber vorliegt, lässt sich eine Bakteriämie also nicht ausschliessen. Es gilt als anerkannt, dass 20–30% der älteren Personen keine angemessene Fieberreaktion auf eine Infektion zeigen [3].
Tabelle 1: Score nach Shapiro et al. zur Vorhersage einer Bakteriämie und Indikationsstellung für Blutkulturen (adaptiert nach [2]).
KriteriumPunkte
Verdacht auf Endokarditis3
Temperatur >39,4 °C3
Liegender Venenkatheter2
Temperatur 38,3–39,3 °C1
Alter >65 Jahre1
Schüttelfrost1
Erbrechen1
Hypotonie (systolisch <90 mm Hg)1
Leukozyten >18 G/l1
Stabkernige Neutrophile >5%1
Thrombozyten <150 G/l1
Kreatinin >176 µmol/l1
Tabelle 2: Liste der häufigsten Indikationen für die Entnahme von Blutkulturen.
Indikationen für die Entnahme von Blutkulturen
Sepsis und septischer Schock
Lokale Infektionen, die sich systemisch ausbreiten könnten (zum Beispiel Meningitis, ­Pneumonie, Endokarditis, Cholangitis, Pyelonephritis, Arthritis, Osteomyelitis)
Vorhandensein eines Fremdkörpers (etwa eines Herzschrittmachers, einer Herzklappenprothese oder eines Venenkatheters)
Fieber unbestimmter Ursache
Fieber nach Rückkehr von einer Tropenreise
Fieber bei Konsum intravenöser Drogen
Fieber bei Neutropenie oder Immunsuppression
Blutkultur im Rahmen der Überwachung einer Bakteriämie durch Staphylococcus ­aureus, Pseudomonas oder einer Fungämie durch Candida spp.

Entnahmestelle und -technik

Die Blutentnahme sollte durch direkte Venenpunktion erfolgen, etwa mithilfe einer Flügelkanüle («Butterfly»). Die Entnahme über einen peripheren Venenkatheter ist nur im Zuge von dessen Anlage zulässig. Eine Ausnahme ist der Sonderfall einer vermuteten Infektion im Zusammenhang mit dem Katheter (beispielsweise im Falle einer lokalen Rötung): Hier sollte man gezielt Blut über den fraglichen Katheter und gleichzeitig durch direkte Venenpunktion entnehmen sowie anschliessend den Katheter entfernen und mikrobiologisch untersuchen. Bei liegendem Zentralvenenkatheter wird empfohlen, in jedem Fall eines der beiden Paare über diesen Katheter zu entnehmen, um eine allfällige Infektion des Katheters zu erfassen.
Die direkte Venenpunktion kann im Allgemeinen für die beiden Paare an einer einzigen Stelle erfolgen. Die Paare werden hintereinander entnommen, ohne dass eine Pause nötig ist.

Interpretation: echte Bakteriämie oder ­Kontamination?

2017 wurden auf der Abteilung für Innere Medizin des CHUV bei 1462 Personen 4961 Blutkulturen entnommen. Davon waren 11% (538/4961) positiv; dieser Anteil ist etwas höher als der in der Fachliteratur angegebene Wert von 4–8% [1]. Von den positiven Blutkulturen wurden 10% (53/538) als Kontaminationen eingestuft. Diese waren oftmals zurückzuführen auf koagulase­negative Staphylokokken (unter anderem S. epidermidis, S. hominis, S. capitis), Micrococcus spp., Cutibacterium acnes, Bacillus spp. und Corynebacterium spp. Diese kontaminierenden Bakterien können allerdings auch tatsächlich Bakteriämien verursachen. Wie kann man den Unterschied erkennen?
Neben der Art des Keims sind der Zeitraum bis zum positiven Ergebnis und die Zahl der positiven Flaschen zu berücksichtigen. Wenn eine Blutkultur nach Ablauf von 48 Stunden im Inkubator positiv wird, spricht dies für eine Kontamination. Ist derselbe Keim in mehreren Kulturflaschen nachzuweisen, weist dies auf eine Infektion hin. In einer retrospektiven Studie zeigten Weinstein et al., dass in 97 respektive 100% der Fälle eine Kontamination vorlag, wenn ein bis drei Paar(e) entnommen wurde(n) und davon ein Paar positiv auf S. epidermidis war. Waren dagegen von zwei bis drei entnommenen Paaren zwei Paare positiv, so lag in 60 respektive 100% der Fälle eine Infektion vor [4].
Besteht der Verdacht auf eine Katheterinfektion, ­können Hautkeime beteiligt sein. Es sollten gleichzeitig Proben über den intravaskulären Katheter und durch direkte Punktion entnommen werden, bevor man den Katheter entfernt und ebenfalls mikrobiologisch untersucht. Ist die Infektion durch den Katheter bedingt, ist im Allgemeinen ein Intervall zwischen den Zeitpunkten zu beobachten, an denen die über den Katheter (früher positiv) beziehungsweise durch direkte Punktion entnommenen Proben positiv werden: Ein Abstand von zwei Stunden gilt als signifikant. Wenn die Proben gleichzeitig positiv werden, ist die Infek­tionsquelle wahrscheinlich an anderer Stelle zu finden [5].
Um die Interpretation eines positiven Ergebnisses zu erleichtern, muss die Zahl der entnommenen Flaschen (mindestens vier) angemessen und das Blutvolumen ausreichend sein. Das nötige Blutvolumen kann im Zuge einer einzigen Entnahme gewonnen werden. Diese Aspekte werden im ergänzenden Artikel «Die Blutkultur ist negativ. Wirklich?»1 erörtert [6].

Falldiskussion

Im vorliegenden Fall eines hospitalisierten Patienten, bei dem Fieber auftritt, ohne dass klinisch ein Infek­tionsherd feststellbar ist, und der einen Herzschrittmacher trägt, ist es angezeigt, Blutkulturen zu entnehmen. Unserem Wissen nach liegt kein validierter Score vor, mithilfe dessen das Bakteriämierisiko in ­einem derartigen Fall beurteilt werden kann. Die Entnahme von zwei Blutkulturpaaren durch direkte ­Venenpunktion war korrekt, da am peripheren Venenkatheter kein Anzeichen einer Infektion zu beobachten war. Ein Hautkeim in einer einzigen von vier Flaschen deutet in erster Linie auf eine Kontamination hin. Darum sollte lediglich die klinische Überwachung fortgesetzt und auf allfällige Anzeichen einer Infektion des Herzschrittmachers (septische Emboli, Phlegmone im Bereich des Gehäuses) geachtet werden. Der weitere Verlauf gestaltete sich günstig, ohne erneutes Auftreten von Fieber. Letzteres blieb unerklärt.

Hauptbotschaften

• Die geringe Ausbeute von Blutkulturen spiegelt die Schwierigkeit der Kliniker wider, das Bakteriämierisko vorherzusagen, sowie ihre Befürchtung, diese wichtige Diagnose zu übersehen.
• Die breite Verschreibung von Blutkulturen führt zum Risiko falsch positiver Ergebnisse respektive kontaminierter Proben, die 10% der positiven Blutkulturen ausmachen. Um Kontaminationen zu erkennen, sind die Art des Keims, der Zeitraum bis zum positiven Ergebnis und die Zahl der positiven Flaschen zu berücksichtigen.
GG reports acting as Medical advisor of Resistell and having grants & corresponding research agreements with Resistell and with Becton Dickinson (BD); Resistell is a start-up working on antibiotics susceptibility of bacteria based on nanomotion technology; with BD, the project is mainly related to automation of culture-based diagnosis; GG is also the Vice director of JeuPRO, a start-up distributing the game Krobs (see www.krobs.ch). The other authors reported no financial support and no other potential conflict of interest relevant to this article.
Chiara Scotti, dipl. Ärztin
Service de médecine interne
Centre hospitalier ­universitaire vaudois
Rue du Bugnon 46
CH-1011 Lausanne
chiara.scotti[at]chuv.ch
1 Coburn B, Morris AM, Tomlinson G, Detsky AS. Does this adult patient with suspected bacteremia require blood cultures? JAMA. 2012;308(5):502–11.
2 Shapiro NI, Wolfe RE, Wright SB, Moore R, Bates DW. Who needs a blood culture? A prospectively derived and validated prediction rule. J Emerg Med. 2008;35(3):255–64.
3 Lee CC, Chen SY, Chang IJ, Chen SC, Wu SC. Comparison of clinical manifestations and outcome of community-acquired bloodstream infections among the oldest old, elderly, and adult patients. Medicine. 2007;86(3):138–44.
4 Weinstein MP, Towns ML, Quartey SM, Mirrett S, Reimer LG, Parmigiani G, Reller LB. The clinical significance of positive blood cultures in the 1990s: a prospective comprehensive evaluation of the microbiology, epidemiology, and outcome of bacteremia and fungemia in adults. Clin Infect Dis. 1997:24(4):584–602.
5 Opota O, Croxatto A, Prod’hom G, Greub G. Blood culture-based diagnosis of bacteremia: state of the art. Clin Microbiol Infect. 2015;21(4):313–22.
6 Hall KK, Lyman JA. Updated review of blood culture contamination. Clin Microbiol Rev. 2006 Oct;19(4):788–802.
– Osthoff M, Khanna N, Goldenberger D, Wüscher V, Flückiger U. Hémocultures positives: interprétation et prise en charge initiale. Swiss Medical Forum. 2016;16(3):59–67.
– Sciotto L, Abbas M, Serratrice J. Détection d’une bactériémie par des hémocultures: qui en bénéficie? Rev Méd Suisse. 2017;13:1774–8.