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Fallbericht
Anamnese und Status
Der 80-jährige Patient stellte sich mit schmerzlosem Ikterus auf unserer Notfallstation vor. Aus der persönlichen Anamnese waren eine mittelschwere chronische Niereninsuffizienz, eine koronare Dreigefässerkrankung mit Status nach Stenting sowie ein Uorthelkarzinom mit Status nach laparoskopischer Zystoprostatovesikulektomie und Lymphadenektomie beidseits inklusive Anlage eines Ileum-Conduits bekannt. Bis vor Kurzem befand sich der polymorbide Patient aber insgesamt in einem guten Allgemeinzustand und hatte bis vier Wochen vor Spitaleintritt regelmässig Tennis gespielt. In der Systemanamnese gab der Patient Appetitlosigkeit mit Gewichtsverlust von 6 kg innerhalb 3–4 Wochen ohne weitere B-Symptome an. Der Stuhl war seit zwei Wochen hell verfärbt und der Urin bierfarben. Der Patient war Nichtraucher und trank zum Essen jeweils ein Glas Wein. Die medikamentöse Therapie bei Eintritt beinhaltete Aspirin® cardio, Atorvastatin, Ramipril, Bisoprolol und Pantoprazol.
Im Status fand sich ein Patient in leicht reduziertem Allgemeinzustand mit Haut- und Sklerenikterus, bei ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchung.
Befunde
Laboranalytisch waren die alkalische Phosphatase mit 1684 U/l (Norm 40–130 U/l) und das Bilirubin total mit 238 µmol/l (<21 µmol/l) deutlich erhöht.
Computertomographisch erhob sich der Verdacht auf eine Raumforderung im Pankreaskopf bei intra- und extrahepatischer Dilatation der Gallenwege mit dilatiertem Ductus pancreaticus. Die vermutete Raumforderung im Pankreaskopf war bildgebend nicht sicher darstellbar. In der anschliessenden endoskopisch retrograden Cholangiopankreatikographie (ERCP) mit Bürstenzytologie bestätigte sich das Vorliegen eines Adenokarzinoms im Pankreaskopf. Es erfolgte eine Stenteinlage, worauf sich die Cholestaseparameter normalisierten.
Im Verlauf der Hospitalisation berichtete der Patient über eine progrediente Beinschwäche beidseits. Er brauchte Unterstützung beim Aufsitzen, Aufstehen und war im Zimmer nur mithilfe eines Rollators mobil. Zusätzlich klagte er über muskelkaterähnliche Schmerzen vor allem in den Oberschenkeln, weniger im Schultergürtel. In der Untersuchung zeigte sich ein breitbeiniges unsicheres Gangbild. Kniebeugen ohne Abstützen waren nicht möglich. Die Kraft der Kennmuskulatur an den oberen Extremitäten war seitengleich (M5), ebenso an den unteren Extremitäten seitengleich (M5-) mit proximal betonter Schwäche. Die Gesichts-, Hals- und Schluckmuskulatur war nicht beteiligt.
In der Blutuntersuchung fand sich innerhalb von acht Tagen ein starker Anstieg der Transaminasen mit einer Aspartat-Aminotransferase (AST) von 390 U/l auf 1760 U/l (Norm 40 U/l) und Alanin-Aminotransferase (ALT) von 340 U/l auf 955 U/l (Norm 41 U/l) (Abb. 1).

Abbildung 1: Schematischer Verlauf der Transaminasen Aspartat-Aminotransferase (AST) und die Alanin-Aminotransferase (ALT) beim Patienten. ERCP: endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie.
Die Sonographie des Abdomens erwies sich als unauffällig.
Bei massiv erhöhter Kreatinkinase (CK) von 92 000 U/l (Norm <190 U/l) bestand eine Rhabdomyolyse. Die Muskelbiospie (Musculus vastus lateralis) des linken Beines ergab eine nekrotisierende Myopathie mit floriden Fasernekrosen (Abb. 2). Signifikante endomysiale entzündliche Infiltrate waren im Biopsat nicht nachweisbar, allerdings ist dieser Befund unter bereits drei Tage vor der Biopsie etablierter Steroidtherapie nicht konklusiv.

Abbildung 2: Repräsentative Histologie (alle Bilder 40-fache Vergrösserung). Die Muskelbiopsie in HE-Färbung (A ) zeigt vereinzelt nekrotische Muskelfasern (weisse bzw. schwarze Sterne auf den folgenden Ausschnitten). Eine signifikante entzündliche Reaktion fehlt. CD3- (B ) und CD20-Färbungen (C ) zeigen nur einzelne T- bzw. B-Zellen (schwarze Pfeile). Die CD68-Färbung (D ) zeigt keine Myophagozytose der nekrotischen Fasern. Diverse weitere Spezialfärbungen (hier nicht gezeigt: saure Phosphatase, «major histocompatibility complex I» [MHC-I], C5b-9-Komplement-Membranangriffskomplex, neuronale Stickstoffmonoxid-Synthase) wurden ebenfalls durchgeführt und unterstützen die Diagnose.
Diagnose
Aufgrund der nekrotisierenden Myopathie mit fehlendem lymphozytärem Infiltrat und Überexpression des «major histocompatibility complex I» (MHC-I) auf den nekrotisierenden Fasern wurde die Diagnose einer immunmediierten nekrotisierenden Myopathie (IMNM) gestellt. Gut vereinbar mit dieser Diagnose zeigte sich ein akuter bis subakuter Beginn mit Schwäche der proximalen Muskulatur innerhalb von wenigen Wochen ohne Hautbeteiligung sowie mit hohen CK-Werten begleitet von deutlich erhöhten Transaminasen [1]. Differentialdiagnostisch kam ein Antisynthetase-Syndrom infrage, wobei hierfür klinische Zeichen einer Lungen- oder Hautbeteiligung («mechanic’s hands»), ein Raynaud-Syndrom respektive eine Polyarthritis fehlten.
Therapie und Verlauf
Unter Glukokortikoidtherapie fanden sich ein gutes klinisches Ansprechen und eine deutliche CK-Regredienz (Abb. 3).

Abbildung 3: Serumkreatinkinase-(CK-)Verlauf und Glukokortikoid-Dosierung.
Die systemische Steroidtherapie mit Prednison konnte zügig über 18 Tage von 80 mg auf 5 mg reduziert werden. Die Statintherapie war aufgrund der erhöhten Transaminasen bereits vier Tage vor Diagnose der Rhabdomyolyse sistiert worden. Im weiteren Verlauf persistierten leicht erhöhte CK-Werte. Fünf Wochen nach Beginn der Steroidtherapie erfolgte die geplante Tumorresektion (Duodenopankreatektomie nach Whipple). In der Folge zeigten sich ein anhaltendes klinisches Ansprechen und postoperativ normale CK-Werte, auch nach Absetzen der immunsuppressiven Therapie. Trotz Entwicklung hepatischer Metastasen im Verlauf kam es zu keinem erneuten Aufflammen der Myopathie.
Der Patient ist eineinhalb Jahre nach Diagnosestellung des Pankreaskopfkarzinoms an seiner Tumorerkrankung verstorben.
Diskussion
Die AST wird in unterschiedlichen Geweben exprimiert, unter anderem in Leber, Herz- und Skelettmuskulatur, Hirngewebe und Erythrozyten. Die ALT gilt zwar als leberspezifisch, auch sie ist aber in einem geringeren Ausmass in der Skelettmuskulatur vorhanden. Weibrecht et al. haben bei einer Rhabdomyolyse mit einer CK >1000 U/l in 93% erhöhte AST- respektive in 75% erhöhte ALT-Werte gemessen [2]. Bei unserem Patienten fand sich ein deutlicher Anstieg sowohl der AST wie auch der ALT. Diese Konstellation kann dazu führen, dass primär eine hepatische Erkrankung gesucht wird und sich die Diagnose einer Myopathie verzögert, zumal beide mit unspezifischen Allgemeinsymptomen wie Schwäche und schneller Ermüdbarkeit einhergehen können [3]. Suggestiv für eine Myopathie sind natürlich eine normale Gamma-Glutamyltransferase und eine erhöhte CK.
Der De-Ritis-Quotient beschreibt das Verhältnis von AST zu ALT. Er wird heute vor allem als Ausdruck einer alkoholischen Hepatitis (AST>ALT) verwendet, wobei auch andere Entitäten zu einem hohen Quotienten führen können [4]. Zudem wird der De-Ritis-Quotient über die unterschiedlichen Halbwertszeiten der beiden Enzyme im zeitlichen Verlauf verändert (AST 17 Stunden; ALT 47 Stunden) [5]. Dies trifft nach Sistieren der entsprechenden Noxe für Leber- und für Muskelerkrankungen gleichermassen zu. Bei einer akuten Rhabdomyolyse nach exzessivem Sport oder einem Krampfanfall wird ein De-Ritis-Quotient zwischen 2–5 beobachtet – er fällt im weiteren zeitlichen Verlauf durch die deutlich kürzere Halbwertszeit der AST innerhalb weniger Tage auf 1–2 ab. Bei einer chronischen Muskelerkrankung liegt der De-Ritis-Quotient um 1 [6]. Auch bei unserem Patienten stieg der De-Ritis-Quotient während der Hospitalisation auf Werte um 2 an, was auf ein akutes Geschehen hinweist.
Die idiopathische inflammatorische Myopathie (IIM) beinhaltet verschiedene klinische und histopathologische Entitäten, unter anderem Dermatomyositis, Polymyositis, Overlap-Syndrom, Einschlusskörperchenmyositis und IMNM [7]. Die IMNM wurde 2004 erstmals beschrieben. Sie ist die am schwersten verlaufende Autoimmunmyopathie: Sie führt zu ausgeprägten Muskelenzymerhöhungen [8] und die betroffene Skelettmuskulatur erholt sich unter Therapie oft nur schlecht [1]. Im Gegensatz zur Dermato-/Polymyositis geht die IMNM nicht mit extramuskulären Manifestationen einher. Zwei spezifische Autoantikörper, «anti-signal recognition particle» (Anti-SRP) und «anti-3-hydroxy-3-methylglutaryl-coenzyme A reductase» (Anti-HMGCR), werden pathogenetisch in Assoziation zur IMNM gebracht [1]. In unserem Fall fiel der Nachweis für Anti-SRP negativ aus, eine Bestimmung von Anti-HMCGR wurde nicht durchgeführt. Die Konstellation von erhöhten CK-Werten, einer proximalen Muskelschwäche und der serologische Nachweis von Anti-SRP oder Anti-HMGCR sind diagnostisch für eine IMNM – eine Muskelbiopsie erübrigt sich dann in der Regel. Bei der tumorassoziierten IMNM sind diese Antikörper nicht nachzuweisen [1].
Zur Therapie der IMNM gibt es keine randomisierten kontrollierten Studien oder grossen Fallserien. Die Empfehlungen basieren auf Expertenmeinungen, Fallberichten und Analogien zu anderen IIM. Hochdosierte Glukokortikoide gelten als Erstlinientherapie. Bei schlechtem Ansprechen, Komorbiditäten oder Unmöglichkeit des Tapering werden glukokortikoidsparende Medikamente wie Azathioprin, Methotrexat, Mycophenolat-Mofetil oder Ciclosporin eingesetzt. Zusätzlich können als Zweit- und Drittlinientherapie intravenöse Immunglobuline oder Rituximab versucht werden. Bei der paraneoplastischen IMNM werden neben der Tumortherapie auch Glukokortikoide und gegebenenfalls die Gabe intravenöser Immunglobuline empfohlen [1]. In einem anekdotischen Fallbericht wurde die Remission der IMNM nach alleiniger Radiochemotherapie erreicht [9].
Die Assoziation zwischen IIM und Malignität wurde bereits 1975 von Bohan und Peter beschrieben [10, 11]. In neueren Studien zeigte sich, dass neben der Dermatomyositis vor allem die IMNM mit Malignität assoziiert ist [12]. Allerdings ist die pathogenetische Wechselwirkung beziehungsweise eine Kausalität zwischen Autoimmunität, Entwicklung von entsprechenden Antikörpern und dem Auftreten von Malignomen nicht vollends geklärt. Insbesondere ist unklar, ob die autoimmune Erkrankung Ursache oder Folge der Entwicklung von Malignomen ist [13]. Ungewöhnlich für ein paraneoplastisches Syndrom im Zusammenhang mit der IMNM ist das breite Spektrum von Tumorarten, die damit assoziiert wurden [4].
Bei unserem Patienten ist es erst nach Entfernung des Tumors zu einer vollständigen CK-Normalisierung gekommen. Dieser Verlauf ist gut mit einer paraneoplastischen Genese vereinbar. Wie in den meisten Fallberichten hat unser Patient zusätzlich zur Tumortherapie eine immunsuppressive Therapie erhalten, weshalb aber letztlich unklar bleibt, ob die Immunsuppression oder die Tumortherapie zur Remission geführt haben.
Das Wichtigste für die Praxis
• Stark erhöhte Transaminasen können aus extrahepatischem Gewebe stammen. Dies gilt für die Aspartat-Aminotransferase (AST) und die Alanin-Aminotransferase (ALT).
• Bei einer unklaren Rhabdomyolyse sollte an eine immunmediierte nekrotisierende Myopathie (IMNM) gedacht werden. Dabei ist eine Assoziation mit einer Statintherapie und Malignomen bekannt.
• Die Therapieempfehlungen für eine IMNM unterscheiden sich nicht wesentlich von denjenigen für andere idiopathische inflammatorische Myopathien. Bei einer paraneoplastischen IMNM kann die Tumorbehandlung kurativ sein.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Korrespondenz:
Sandra Hunziker,
dipl. Ärztin
Oberärztin i.V.
Klinik für Innere Medizin
Standort Triemli
Stadtspital Waid &Triemli
Birmensdorferstrasse 497
CH-8063 Zürich
sandra.hunziker[at]
triemli.zuerich.ch
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