Hepatozelluläres Karzinom: Paradigmenwechsel in der Systemtherapie
Schlaglicht der Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie

Hepatozelluläres Karzinom: Paradigmenwechsel in der Systemtherapie

Medizinische Schlaglichter
Ausgabe
2021/0304
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08689
Swiss Med Forum. 2021;21(0304):

Affiliations
a Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Kantonsspital St. Gallen; b Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Zürich

Publiziert am 19.01.2021

Bislang war die Systemtherapie bei fortgeschrittenem Leberkrebs auf Tyrosinkinaseinhibitoren beschränkt. Neu zugelassen ist auch eine Kombinationstherapie aus einem Checkpoint-Inhibitor und einem Wachstumsfaktor-Antikörper.

Hintergrund – Steigende Inzidenz des Leberkarzinoms

Weltweit stehen Lebertumoren (90% hepatozelluläre Karzinome [HCC]) an zweiter bis vierter Stelle der ­tumorbedingten Todesursachen [1, 5] und repräsentieren die fünfthäufigste Krebsart weltweit [2]. Eine Projektion der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt, dass bis 2030 zirka eine Million ­Menschen weltweit an Leberkrebs versterben werden, woraus sich ein zunehmendes globales Gesundheitsproblem ergibt [3]. Die häufigsten Risikofaktoren sind eine Hepatitis B- und -C-Infektion, ein chronischer Alkoholkonsum, zunehmend die nicht alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) und andere seltenere Ursachen (Hämochromatose, Aflatoxine u.a.) [5]. Hieraus ergibt sich ein gros­ser Einfluss durch Prävention, Screening, Diagnostik und vor allem eine stadiengerechte Therapie [6]. Insbesondere auf dem Gebiet der systemischen Therapie konnten in den letzten 1–2 Jahren beim fortgeschrittenen Stadium des Leberkrebses deutliche Fortschritte erzielt werden und hat nun zum Ende des Jahres 2020 ein Paradigmenwechsel in der Erstlinientherapie stattgefunden hin zu einer Kombinationstherapie aus einem Immun-Checkpoint-Inhibitor (anti-PD-L1 = monoklonaler Antikörper gegen «programmed cell death-ligand 1») und einem VEGF-Hemmer (monoklonaler Antikörper gegen «vascular endothelial growth factor»).

Stadiengerechte Therapie des HCC

Staging

Wie bei jeder anderen Tumorart ist auch beim HCC vor allem das Tumorstadium entscheidend für die Therapie und Prognose, wobei hierfür natürlich auch das Vorliegen einer Leberzirrhose mit allenfalls eingeschränkter Leberfunktion und möglicher portaler Hypertonie (Aszites, Ösophagusvarizen etc.) massgebend ist. Das am besten validierte und am häufigsten für das HCC verwendete Staging-System ist das «Barcelona Clinic Liver Cancer System» (BCLC, Abb. 1) [6, 7].
Abbildung 1: Staging des hepatozellulären Karzinoms (modifiziert nach dem «Barcelona Clinic Liver Cancer System» [BCLC]). Abkürzungen: CHILD: Child-Pugh-Score; PS: Performance-Status nach ECOG; ECOG: «Eastern Cooperative Oncology Group»; OLT: orthotope Lebertransplantation; RFA: Radiofrequenzablation (auch mit Mikrowelle etc. möglich); TAE: transarterielle Embolisation (oder auch Chemoembolisation); SIRT: selektive interne Radiotherapie.

Bestehende und neue Therapieoptionen des HCC

Patienten der Stadien BCLC 0 und A können primär von einer Resektion des Tumors (bei fehlender klinisch signifikanter portaler Hypertonie), einem lokal ablativen Verfahren wie zum Beispiel der Radiofrequenz- oder Mikrowellenablation oder einer Lebertransplantation profitieren [2, 6]. Im intermediären Stadium (B) kommt bei nicht resektablen multiplen Tumoren, gros­sen HCCs oder Nicht-Transplantationskandidaten vor allem die transarterielle (Chemo-)Embolisation als lokal ablatives Verfahren zum Einsatz, das in mehreren randomisierten Studien einen Überlebensvorteil gezeigt hat [2, 8]. Bei Patienten mit inadäquatem Ansprechen auf eine Embolisation können eine selektive interne ­Radiotherapie (SIRT, z.B. mit radioaktiven Yttrium-90-beladenen Mikrosphären) oder systemische Therapien eingesetzt werden [9].
Im metastasierten fortgeschrittenen Stadium (C) besteht nur die Möglichkeit einer systemischen Therapie (Abb. 2). Erst vor Kurzem wurde die etablierte Erstlinientherapie um eine zweite Substanz ergänzt. Sowohl die bereits seit 2008 eingesetzte Therapie mit Sorafenib (Nexavar®) als auch das seit 2019 für diese Indikation zugelassene Lenvatinib (Lenvima®) gehören in die Substanzgruppe der Tyrosinkinaseinhibitoren mit leicht unterschiedlichen Rezeptorprofilen. Durch Sorafenib ist eine Verlängerung des medianen Überlebens versus Plazebo um zirka drei Monate belegt. 2018 konnte für Lenvatinib eine Nichtunterlegenheit [10, 11] beim ­Gesamtüberleben gegenüber Sorafenib gezeigt werden. Für beide Therapien besteht ein ähnliches Profil bezüglich Nebenwirkungen und deren Häufigkeit (v.a. arterielle Hypertonie, Diarrhoe, Appetitlosigkeit und palmo-plantare Erythrodysästhesie). Neu stehen mehrere Zweitlinientherapien zur Verfügung. Unter Regorafenib (Stivarga®) verbesserte sich in der Zweitlinie das Überleben um 2,8 Monate [12]. Ein weiterer Tyrosinkinaseinhibitor, Cabozantinib (Cabometyx®), zeigte neben einer Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens um 2,2 Monate gegenüber Plazebo auch eine Wirksamkeit in der Drittlinientherapie [13]. Ebenso in der Zweitlinie beim fortgeschrittenen HCC möglich ist Ramucirumab (Cyramza®). Dieser humane monoklonale Antikörper gegen den VEGF-Rezeptor-2 (anti-VEGFR-2-AK) ergab vor allem einen signifikanten medianen Überlebensvorteil von 1,2 Monaten in der Subgruppe der Patienten mit einem Alpha-Fetoprotein-(AFP-)Wert >400 ng/ml nach Vorbehandlung mit Sorafenib versus Plazebo [14]. Möglicherweise zeigt diese Phase-3-Studie eine Möglichkeit der gezielten Patientenselektion anhand von Biomarkern (AFP).
Abbildung 2: Übersicht über die systemische Therapie des hepatozellulären Karzinoms (HCC). Abkürzungen: anti-PD-L1-AK: Antikörper gegen «programmed cell death-ligand-1»; anti-VEGF-AK: Antikörper gegen «vascular endothelial growth factor»; anti-PD-1-AK: Antikörper gegen «programmed cell death-1»; anti-VEGFR-2-AK: Antikörper gegen «vascular endothelial growth factor receptor 2»; * alle Second-Line-Empfehlungen auf Studienbasisvorbehandlung mit Sorafenib; ? = bisher keine Studiendaten bezüglich 2 nd -Line nach Kombinationstherapie.
Neu wird nun auch der Einsatz von Immuntherapien (Checkpoint-Inhibitoren, aktuell nur PD1-AK [«programmed cell death 1»-Antikörper] und PD-L1-AK [«programmed cell death-ligand 1»-Antikörper]) bei Patienten mit HCC getestet. In der Erstlinientherapie mit Vergleich gegen Sorafenib konnten die Resultate der Phase-3-Studie zur Monotherapie mit dem Checkpoint-Inhibitor Nivolumab (Opdivo®, PD1-AK) leider die positiven Resultate aus der Phase-2-Studie nicht bestätigen. So konnte Nivolumab keine signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens zeigen [15]. Ebenso konnte Pem­brolizumab (Keytruda®, anti-PD1-AK) keinen Vorteil beim kombinierten Endpunkt Gesamtüberleben / progressionsfreies Überleben gegenüber «best supportive care« demonstrieren [16]. Somit sind diese beiden Therapieoptionen aktuell lediglich in den USA als Zweit­linientherapie zugelassen.
Aktuell neu in der Schweiz in der Erstlinientherapie beim fortgeschrittenen Leberkrebs zugelassen ist die neuartige Kombinationstherapie aus dem Checkpoint-Inhibitor Atezolizumab (Tecentriq®, anti-PD-L1-AK) und dem Wachstumsfaktor-Antikörper Bevacizumab (Avastin®, anti-VEGF-AK). Die veröffentlichten Daten der IMbrave150-Studie [17] demonstrieren eindrucksvoll das Erreichen des kombinierten Endpunkts aus Gesamtüberleben und progressionsfreiem Überleben gegenüber der Standardtherapie mit Sorafenib (medianes Gesamtüberleben bisher unter der Kombination weiterhin nicht erreicht vs. 13,2 Monate unter Sorafenib). Entsprechend beträgt das 12-Monats-Gesamtüberleben in der Kombinationstherapie 67,2% versus 54,6% gegenüber der Sorafenib-Gruppe. Auch für das mittlere progressionsfreie Überleben war die Kombination signifikant besser (plus 2,5 Monate) als die Standardtherapie mit Sorafenib. Die mediane Zeit bis zur Verschlechterung der Lebensqualität war in der Kombinationstherapie sogar mehr als dreimal länger (11,2 vs. 3,6 Monate). Auch waren beide Therapiearme hinsichtlich Rate und Schweregrad von Nebenwirkungen (Grad 3/4 Nebenwirkungen 56,5 vs. 51,1%) vergleichbar. Zudem zeigte das Nebenwirkungswirkungsprofil keine neuen Safety-Signale beziehungsweise war in beiden Gruppen ähnlich, wenn auch mit anderer Häufigkeit (unter anderem: arterielle Hypertonie, Proteinurie, Appetitminderung, Diarrhoe, Hand-Fuss-Syndrom, Infusionsreaktion etc.). Zu einem Therapieabbruch aufgrund von Nebenwirkungen kam es lediglich in 7 versus 10,3% [17].
Aufgrund dieser positiven Studienresultate ist diese Kombination für HCC-Patienten nun neu in der Schweiz zugelassen und in der Erstlinie zu favorisieren.

Beurteilung

Neben den etablierten Tyrosinkinaseinhibitoren zeigt die neu zugelassene Kombinationstherapie aus einem Checkpoint-­Inhibitor (momentan anti-PD-L1-AK) und einer anti-angiogenetischen Substanz wie einem Wachstums­faktor-Antikörper (anti-VEGF-AK) eine si­gnifikante Verbesserung des Überlebens bei Patienten mit fortgeschrittenem HCC und erhaltener Leberfunktion. Studien zur Evaluation des Benefits, Managements von Nebenwirkungen, Biomarkern etc. sind jedoch notwendig [18].
Eine spannende Frage bleibt vorerst noch ungeklärt: Welche der bekannten Systemtherapien macht bei Versagen der neuen Erstlinien-Kombinationstherapie in der Zweit-/Drittlinie Sinn? Weitere Studien werden diesen Punkt in Zukunft klären.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med.
Pamela Meyer-Herbon
Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie
Rorschacherstrasse 95
CH-9007 St. Gallen
pamela.meyer-herbon[at]kssg.ch
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3 World Health Organization. Projections of mortality and causes of death, 2016–2060.
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5 International Agency for Research on Cancer. Known causes and prevention of human cancer by organ site. August 2016. http://monographs.iarc.fr /ENG/Publications/OrganSitePoster.pdf. Accessed August 7, 2017.
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18 Cheng et al. Challenges of combination therapy with immune checkpoint inhibitors for hepatocellular carcinoma. J Hepatol. 2020;72:307–19.