Neugeborenes mit ­SARS-CoV-2-Infektion
Beispiel eines komplikationslosen Verlaufes

Neugeborenes mit ­SARS-CoV-2-Infektion

Der besondere Fall
Ausgabe
2021/0910
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08741
Swiss Med Forum. 2021;21(0910):163-164

Affiliations
Praxis am Bahnhof, Rüti

Publiziert am 02.03.2021

Es wird der Fall eines Neugeborenen mit positivem SARS-CoV-2-Abstrich beschrieben, das sich am ehesten ­(postpartal) bei den Eltern, die bereits positiv getestet worden waren, angesteckt hat.

Hintergrund

Wir beschreiben den Fall eines neugeborenen Jungen mit positivem SARS-CoV-2-Abstrich in unserer Praxis. Die Ansteckung erfolgte am ehesten durch die Eltern (postpartal), die bereits positiv getestet worden waren.

Fallbericht

Anamnese

Der erste Patient der Familie war der Vater. Er stellte sich mit Husten und Fieber in unserer Praxis für einen SARS-CoV-2-Abstrich vor. Nachdem dieser positiv ausgefallen war, wollte sich auch die bis dahin asymptomatische Partnerin testen lassen. Auch bei ihr fiel der Test positiv aus. Da sie Mutter eines knapp vier Wochen alten Jungen war, sind viele Fragen in Bezug auf die Baby­pflege und Hygiene aufgetreten, die wir mithilfe der Konsensusempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beantworten konnten [1]. Wir haben der Mutter geraten, bei allen Pflegehandlungen und insbesondere beim Stillen eine Maske zu tragen und so häufig wie möglich die Hände zu waschen respektive zu desinfizieren. Trotzdem berichtete sie kurz darauf, dass auch der Säugling etwas Husten habe und häufig niesen müsse; zudem sei die Nase leicht verstopft, Fieber habe er bis zu dem Zeitpunkt nicht gehabt.

Status

Bei der Erstkonsultation zeigte sich ein zufriedener Säugling mit rosigem Hautkolorit ohne Hautexanthem. Die Sauerstoffsättigung lag bei 98%, der Puls bei 138/min, die meatale Temperatur in der Praxis gemessen bei 37,2 °C. Herz- und Lungenauskultation waren unauffällig, die Fontanellen nicht gespannt, das Abdomen war weich. Er habe bis zu diesem Zeitpunkt immer gut getrunken und regelmässig Stuhlgang sowie nasse Windeln gehabt. Wir haben uns dann entschieden, in der Praxis einen oropharyngealen (Rachen-)Abstrich durchzuführen, um auch das Baby auf SARS-CoV-2 zu testen.

Befunde und Verlauf

Noch bevor wir die Testresultate erhielten, teilte uns die Mutter am nächsten Tag mit, dass sich der Zustand des Jungen verschlechtert habe. Er fiebere auf 38,3 °C hoch, huste zunehmend und sezerniere zudem vermehrt Sekret/Schleim im Mund. Auf dringende telefonische Nachfrage im Labor lag das Test­ergebnis nach wenigen Stunden vor und erwies sich ebenfalls als positiv. Trotz vermuteten Zusammenhangs des Fiebers mit dem neuartigen Erreger erfolgte die Zuweisung ins hiesige Kinderspital zur weiteren Abklärung: Bei einem vier Wochen alten Säugling mit Fieber, einem bis dahin unbekannten Erreger, verunsicherten Eltern und unbekannter Immunkompetenz des Kindes musste eine andere Ursache des Fiebers ausgeschlossen werden. Differentialdiagnostisch kamen an erster Stelle ein Harnwegsinfekt, eine Sepsis oder Meningitis als ernstzunehmende Alternativen infrage. Nach Kontaktaufnahme mit dem Kinderspital Zürich wurde das Baby gleichentags hospitalisiert.
Anderweitige Ursachen («sepsis work-up» mit Urinstatus, Blutkultur, Liquoruntersuchung sowie Blutabnahme) wurden im stationären Setting abgeklärt. Bis zum Nachweis negativer Blutkulturen wurde eine in­travenöse Therapie mit Gentamicin und Amoxicillin begonnen. Die Blut- und Urinkultur blieben ohne Wachstum, in der Hämatologie zeigten sich ein altersentsprechend normales Blutbild und C-reaktives Protein (CRP: 0,6 mg/l). Im Liquor fand sich eine Leuko­zytenzahl von 7/μl, Mikroorganismen konnten nicht nachgewiesen werden.
In der gesamten Überwachungszeit von 48 Stunden präsentierte sich der Säugling in gutem Allgemeinzustand, die Blutkulturen ergaben kein Wachstum, Fieber trat nicht mehr auf und auf zusätzliche Sauerstoffgabe konnte verzichtet werden. Am dritten Hospitalisationstag konnte das Neugeborene in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden.
Am Tag des Austritts erfolgte bereits die erste telefonische Kontaktaufnahme mit der Mutter. Die ambulante Versorgung der Familie und insbesondere des Säuglings wurden besprochen. Das Neugeborene erholte sich zu Hause weiter, Fieber wurde verneint, der Husten war regredient. Am zehnten Krankheitstag wurde der bereits asymptomatische Junge bei uns in die Praxis aufgeboten und klinisch kontrolliert. Es zeigte sich ein gesundes Neugeborenes ohne Beschwerden. Die Isolation konnte aufgehoben werden.

Diskussion

Hier berichten wir über das Beispiel eines «typisch komplikationslosen Verlaufs» einer SARS-CoV-2-Infektion bei einem Neugeborenen. Über COVID-19-Sym­ptome bei Patienten ohne und mit Vorerkrankungen sowie deren Verläufe und Komplikationen ist bereits einiges bekannt. Zudem gibt es zahlreiche Beschreibungen von komplikationslosen Verläufen bei an COVID-19 erkrankten Säuglingen und Neugeborenen. Qi Lu und Yuan Shi berichten von drei Neugeborenenfällen, deren Outcome milde war [2]. Ein 17 Tage altes Neugeborenes entwickelte am fünften Lebenstag Fieber, Husten und Erbrechen. Zuerst infizierte sich in seinem Haushalt das Kindermädchen und dann die Mutter. Das zweite Neugeborene wurde fünf Tage nach der Geburt positiv getestet, die Mutter war ebenso SARS-CoV-2-positiv. Beim dritten Fall handelte es sich um eine vertikale Übertragung, bei der der Nukleinsäuretest 30 Stunden nach der Geburt positiv war [2]. Zum selben Schluss kommt eine systematische Review von Duran et al., dessen Arbeitsgruppe von 13 Fällen berichtet, in der die Krankheitsverläufe der Neugeborenen entweder asymptomatisch oder mit mildem Outcome verliefen [3].
Bisher (Stand 10.12.2020, nachmittags) wurden dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) 541 Fälle im Alter unter einem Jahr gemeldet (Anzahl der totalen Fälle 370 227), davon 76 Fälle von Neugeborenen (unter einem Monat). Angaben zu den Zahlen der Hospitalisierungen in dieser Altersklasse konnten vom BAG nicht genannt werden. In dieser Altersklasse verstarb in der Schweiz bis zu oben genannten Zeitpunkt ein Säugling [4].
In der Schweiz gibt es zehn Fälle (Stand 12. Mai 2020), die mit dem neuartigen inflammatorischen Syndrom in Zusammenhang mit COVID-19 gebracht werden, auch «multisystem inflammatory syndrome in children» (MIS-C) respektive «pediatric inflammatory multisystem syndrome temporally related to SARS-CoV-2» (PIMS-TS) genannt [5].
Obgleich die genaue Pathogenese des MIS-C noch unklar ist, geht man ätiologisch von einer postinfektiösen hyperinflammatorischen Immunreaktion aus [6]. Gemäss Klassifikation der WHO handelt es sich beim MIS-C um SARS-CoV-2-positiv getestete Patienten <20 Jahren mit ≥3 Tagen Fieber und ≥2 unterschiedlichen Symptomen der folgenden Organbeteiligungen: Haut- und/oder Schleimhautveränderungen, Gefässsystem, Herz, Gerinnungssystem, Magen-/Darmtrakt und erhöhte Entzündungsmarker (Blutsenkungsgeschwindigkeit, CRP, Procalcitonin) und Ausschluss ­anderer mikrobieller Ursachen wie etwa bakterielle Sepsis / septischer Schock [7]. Entsprechend den Organmanifestationen sind deren Symptome wie folgt beschrieben: hohes Fieber ≥24 Stunden, mukokutane Symptome wie Konjunktivitis und Exanthem, kardiovaskuläre und gastrointestinale Symptome nebst den bekannten respiratorischen Symptomen wie Luftnot und Husten [6].
Das therapeutische Management des MIS-C erfolgt stationär und interdisziplinär mit hochdosierten Immunglobulinen und Kortikosteroiden [9]. Etwa 2% versterben an den Folgen des MIS-C. Während sich 23 der Kinder vollständig erholen, bleiben bei 13 Restsym­ptome zurück [6].
Unser Säugling war vom MIS-C, das in der Regel 2–4 Wochen nach einer SARS-CoV-2-Infektion auftritt, nicht betroffen.

Das Wichtigste Für die Praxis

• Besteht aufgrund von Symptomen ein COVID-19-Verdacht bei Säuglingen/Neugeborenen, sollen zunächst die engen Kontaktpersonen (z.B. Eltern) getestet werden. Bei positivem Resultat der Kontaktperson(en) bleibt das symptomatische Neugeborene zuhause und wird ebenfalls in der Praxis mittels Abstrich getestet.
• Stillen ist bei SARS-CoV-2-positiven Müttern und unbekanntem Infek­tionsstatus des Kindes mit Maske empfohlen, bei Positivität der Mutter und des Kindes kann auf die Maske verzichtet werden.
• Hygienemassnahmen wie Abstand halten, Maske tragen, Händewaschen/Desinfizieren sind nach jedem Körperkontakt wichtig, bei Säuglingen und insbesondere Neugeborenen aber im Alltag schwer umsetzbar.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Korrespondenz
Dr. med. Ali Sigaroudi
Praxis am Bahnhof,
Dorfstrasse 45
CH-8630 Rüti
Sigaroudi[at]
praxisambahnhof.ch
1 World Health Organisation. Coronavirus disease (COVID-19): Breastfeeding. 7 May 2020. www.who.int (Abfrage am 15.12.2020).
2 Lu Q, Shi Y. Coronavirus disease (COVID-19) and neonate: What neonatologist need to know. J Med Virol. 2020;92(6):564–7.
3 Duran P, Berman S, Niermeyer S, Jaenisch T, Forster T, Gomez Ponce de Leon R, et al. COVID-19 and newborn health: systematic review. Rev Panam Salud Publica. 2020 Apr 27;44:e54.
5 SGP Newsletter 2020/17 (Swiss Society of Paediatrics) vom 12.05.20.
6 Feldstein LR, Rose EB, Horwitz SM, Collins JP, Newhams MM, Son MBF, et al.; Overcoming COVID-19 Investigators; CDC COVID-19 Response Team. Multisystem Inflammatory Syndrome in U.S. Children and Adolescents. N Engl J Med. 2020;383(4):334–46.
7 World Health Organisation. Multisystem inflammatory syndrome in children and adolescents temporally related to COVID-19. Scientific Brief. 15. May 2020. www.who.int (Abfrage am 15.12.2020).
8 Tenenbaum T, Kobbe R, Speth F, Simon A, Neubert J, et al. Klinische Präsentation und medikamentöse Behandlung von Kindern mit COVID-19. (Stand 27.11.2020). https://dgpi.de/stellungnahme-medikamentoesen-behandlung-kindern-covid-19/ (Abfrage am 15.12.2020).