Kurz und bündig
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Kurz und bündig
Ausgabe
2021/3132
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08878
Swiss Med Forum. 2021;21(3132):529-532

Publiziert am 03.08.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Cluster-Headache

– Plötzlich auftretende, 15–180 Minuten dauernde, einseitige Kopfschmerzen.
– Täglich mehrmals und gleichseitig auftretend.
– Zum Teil mehrere (viele) Tage hintereinander auftretend, gefolgt von attackenfreien Intervallen.
– Attackenfreie Intervalle können fehlen oder kurz sein (<3 Monate).
– Ipsilaterale, autonome Symptome (u.a. Tränen, Rhinorrhoe, Miose, Ptose).
– Im Gegensatz zu Migräne häufiger bei Männern (>4:1).
– Prävention der Clusters:
• In erster Linie Verapamil (240–480 mg p.o./Tag).
• Alternativen existieren, inklusive Neurostimulation des Nervus occipitalis.
– Primäre Therapie des Anfalls:
• 100% Sauerstoff (z.B. auf Notfallstation);
• Sumatriptan 6 mg s.c.
Lancet Neurol. 2021, doi.org/10.1016/S1474-4422(21)00101-0, verfasst am 06.07.2021.

Praxisrelevant

n-3-(Omega-3-)Fettsäuren gegen Migräne

n-3-(Omega-3-)Fettsäuren werden vom Körper nicht synthetisiert und müssen diätetisch zugeführt werden. Sie sind Vorstufen der sogenannten Oxylipine (dazu gehören u.a. Prostaglandine und Leukotriene). Die n-3-Oxylipine (Eicosapentaensäure [EPA] und Docosahexaensäure [DHA]) spielen eine wichtige anti-nozizeptive Rolle im Trigeminusgebiet. Eine andere mehrfach ungesättigte Fettsäure (Linolensäure, n-6) wird zu Oxylipinen metabolisiert, die eine schmerzfördernde Wirkung haben.
Eine diätetische Intervention zur Steigerung der n-3-Oxylipine führte bei durchschnittlich 38-jährigen Migränepatientinnen und -patienten (88% Frauen) zu einer deutlichen Senkung der Migränedauer und auch der Anzahl Migräneepisoden pro Monat. Dieser Effekt verstärkte sich noch, wenn die Diätmanipulation nicht nur eine Erhöhung der n-3-Fettsäuren, sondern zusätzlich eine gleichzeitige Senkung der schmerzfördernden n-6-Linolensäuremetabolite zum Ziel hatte. Trotz dieser Resultate bekundeten die Teilnehmenden in beiden Diätgruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe keine Verbesserung ihrer Lebensqualität.
Die kleine Zahl von Studienteilnehmenden (je ca. 60 in jeder Gruppe), der Wegfall einer Verblindung und die vielleicht ungewohnte Diät (die Lebensqualität senkend?) sind Schwachpunkte einer sonst interessanten Konzeptstudie. Auch wenn die Schlussresultate etwas gemischt ausfielen, verdient die Idee weitere Untersuchungen.
Verfasst am 06.07.2021.

Nebenwirkungen der Masken bei Kindern?

In einem deutschen Register werden Reizbarkeit, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen als die von ihren Eltern am häufigsten beschriebenen Symptome des kindlichen Maskentragens (durchschnittlich 270 Minuten pro Tag) aufgeführt [1].
Eine polnisch-deutsche Studie beschreibt, dass beim Maskentragen bei durchschnittlich knapp 11-jährigen Kindern im Totraum unter der Maske Kohlendioxid (CO2) akkumuliert und sich mit Frischluft vermischt. Das inhalatorische CO2 (normalerweise 0,04%) stieg dann auf deutlich höhere Werte an, vor allem bei den jüngeren Kindern (zu Beginn des Schulalters, [2]). Dies lässt vermuten, dass diese Kinder zu grosse Masken trugen (erhöhter Totraum) oder den In-vitro-Bedingungen der Studie negativer unterworfen waren als ­ältere Kinder.
Kann das Maskentragen bei Kindern zu Hyperkapnie führen? © David Tadevosian | Dreamstime.com
Leider fehlen systemische CO2-Messungen, welche die Beweiskette verstärkt hätten. Eine akute Hyperkapnie könnte aber die eingangs beschriebenen Symptome schon erklären.
1 Research Square. 2021, doi.org/10.21203/rs.3.rs-124394/v1.
Verfasst am 05.07.2021.

Aus Schweizer Feder

Fachdiskussionen und Ausbildung am ­Krankenbett

Diese multizentrische Studie (Medizinische Universitätskliniken Aarau, Basel, Liestal) hat den traditionellen Fokus (Ausbildungswert für Studierende und Assistent[inn]en) der Visite am Krankenbett auf die Effizienz der Oberarzt- oder Chefarztvisite und die den Patientinnen und Patienten vermittelte Information verlegt.
Die Visiten mit Ausbildungsdiskussion am Bett fanden in Mehrbettzimmern statt und dauerten zwei Minuten weniger lang (12 Minuten pro Patientin/Patient) als bei der Kombination (Visite im Zimmer, «Teaching» draussen vor der Tür). Von beiden Patientengruppen wurde der vermittelte Informationsgehalt gleich gut beurteilt, allerdings waren in der Gruppe mit Ausbildungsinhalten am Krankenbett ­signifikant mehr Patientinnen und Patienten unsicher, ob sie alles verstanden hätten, und zum Teil auch etwas verunsichert.
Die Visite am Krankenbett ist eine ausgezeichnete Ausbildungsgelegenheit, sollte jedoch auch die Patientinnen und Patienten einbeziehen und ihnen eine einfach verständ­liche und zusammenfassende Information bieten. © Liderina | Dreamstime.com
Kurz und bündig sind wir von der ausgezeichneten Ausbildungsgelegenheit am Krankenbett überzeugt. Den Autorinnen und Autoren ist aber beizupflichten, dass aufgrund ihrer Daten die Ausbildung vor allem kommunikativer Art der Visitierenden verbessert werden muss. Die eingesparten zwei Minuten sollten nicht der Effizienzsteigerung geopfert werden. Zwei Minuten einfache und allgemeinverständliche Übersetzung der Inhalte als Zusammenfassung für die Patientinnen und Patienten – mit der Möglichkeit von Rückfragen – würde wahrscheinlich schon viel bringen.
Ann Intern Med. 2021, doi.org/10.7326/M21-0909.
Verfasst am 06.07.2021.

Neues aus der Biologie

2× Neues zur Adipositas

Die Adipositas ist weltweit im Zunehmen begriffen und tritt familiär gehäuft auf.
Eine ausgedehnte Exom-Sequenzierung bei fast 650 000 Individuen (Grossbritannien, USA, Mexiko) identifizierte bekannte Mutanten, die zur monogenen Adipositas führen, sowie Varianten in 14 weiteren ­Genen mit hoch signifikanter Assoziation mit dem Body-Mass-Index. Eine seltene Genvariante des GPR (G-Protein-Rezeptor) 75 senkte aber das Risiko, eine Adipositas zu entwickeln, um die Hälfte. Seine Ausschaltung («knock-out») bei Mäusen machte diese resistent gegen eine Adipositasentwicklung [1].
Eine andere Studie wählte einen «peripheren» Ansatz: Sie beschreibt, dass Makrophagen des Fettgewebes via den von ihnen produzierten Plättchenwachstumsfaktor (PDGF) die Fettspeicherung in den benachbarten Adipozyten stimulieren. Mäuse, bei denen neutralisierende Anti-PDGF-Antikörper induziert wurden, waren vor einem Gewichtsanstieg unter fettreicher Fütterung geschützt. Die überschüssigen Lipide wurden in die Thermogenese (Energieverbrauch) «umgeleitet». GPR75 könnte also ein gentherapeutisches Ziel, die PDGF-produzierenden Makrophagen zu einem immuntherapeutischen Ziel der Adipositas werden.
Verfasst am 05.07.2021.

Das hat uns gefreut

Amyloidosetherapie: Genschere als ­intravenöse Therapie

Wenn das Transthyretin-Eiweiss, ein thyroxinbindendes Prä-Albumin, nicht korrekt dreidimensional gebildet («gefaltet») wird, können sich Amyloid-Fibrillen bilden (Amyloid-Transthyretin [ATTR]). Die Störung kann hereditär (mehr als hundert Mutationen), aber – häufiger – auch erworben sein. Klinisch sind die wichtigsten Folgen eine pro­gnostisch ungünstige Kardiomyopathie und periphere Polyneuropathien. Die erworbene (auch «Wildtyp» genannte) ATTR kann man mit einem medikamentösen Stabilisator der Eiweissfaltung (Tafamidis) zu behandeln versuchen, die hereditäre ATTR mit Lebertransplantation oder einer Ausschaltung des Transthyretin-Gens (mit Anti-Sense-Oligonukleotiden oder interferierender RNA).
Wirkungsweise von CRISPR/CAS («Genschere»).
Mittels einer Führungs-RNA («guide RNA») wird die entsprechende DNA-Sequenz innerhalb eines Gens gefunden. Ebenfalls zum Komplex gehört eine Endonuklease CAS («CRISPR*-associated protein», in diesem Fall ist es die Isoform 9), die an die RNA gebunden ist, sowie eine komplementäre DNA-Sequenz zur DNA-Region des therapeutischen Interesses. Diese in vitro konstruierte DNA-Sequenz bindet an die Zielsequenz («target sequence»). Dieser Doppelstrang wird von CAS9 doppelsträngig an zwei Stellen durchtrennt oder zerschnitten. Therapeutisch gesehen kann dies zur Ausschaltung des Gens oder zu einer Gen-Reparatur durch Einfügen einer rekonstruierten, «gesunden» DNA-Sequenz («predesigned DNA») verwendet werden. Im letzteren Fall wird die «gesunde» DNA-Sequenz durch die zell- oder wirtseigenen DNA-Reparaturmechanismen eingefügt.
*CRISPR steht für «clustered regularly interspaced short palindromic repeats». PAM steht für «protospacer adjacent motif», das für die Aktivierung von CAS notwendig ist. Es ist ein Triplet einer Nukleotidsequenz auf der Ziel-DNA, NGG, das heisst irgendeine Base, N, gefolgt von 2 Guanosinen.
Bild: © Designua | Dreamstime.com
Eine kleine Zahl von Patientinnen und Patienten mit hereditärer ATTR erhielten intravenöse Infusionen von sogenanntem CRISPR-CAS (auch «Genschere» genannt) zur Inaktivierung des Transthyretin-Gens («targeted knock-out»). Die Verträglichkeit scheint gut, die Transthyretin-­Konzentrationen sanken bei der höheren von zwei getesteten Dosen um fast 90%. Ein Hoffnungsschimmer für Betroffene mit dieser Amyloidose-Form!
N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMoa2107454.
Verfasst am 03.07.2021.

Das hat uns nicht gefreut

No-IMPACT, No-ETHOS?

In den IMPACT- und ETHOS-Studien [1, 2] wurde untersucht, ob bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) eine sogenannte Tripel-Inhalationstherapie (topische Steroide, langwirksame Muskarinantagonisten und langwirksame Beta-Agonisten [LAMAs respektive LABAs]) gegenüber einer Doppeltherapie (LAMAs und LABAs) Vorteile besitzt. Die Mortalität in der Tripeltherapie war in den ersten drei Monaten massiv reduziert (um unglaubliche 75%!), glich sich aber bis zum Ende des ersten Jahres wieder an. Eine dritte Studie (TRIBUTE, [3]) hatte keine Mortalitätsdaten publiziert, aber eine Reduktion der COPD-Exazerbationen unter Tripeltherapie gezeigt.
Ein gut geschriebener Diskussionsbeitrag [4] weist daraufhin, dass bei IMPACT/ETHOS zum einen auch Patientinnen und Patienten unter bereits bestehender Tripeltherapie randomisiert wurden, dabei wurden die Glukokortikoide bei Randomisierung in die Doppeltherapie abgesetzt. Zum anderen war der Phänotyp der COPD offensichtlich nicht berücksichtigt worden (Asthma-COPD mit Notwendigkeit einer topischen Glukokortikoidtherapie). Die Mortalitätsdaten könnten also durch ein Absetzen respektive Vorenthalten der Glukokortikoide in der Gruppe mit Doppeltherapie erklärt werden. Wie konnte dies nur geschehen?
1 Am J Respir Crit Care Med. 2020, doi.org/10.1164/rccm.201911-2207OC.
2 Am J Respir Crit Care Med. 2021, doi.org/10.1164/rccm.202006-2618OC.
4 Lancet Respir Med. 2021, doi.org/10.1016/S2213-2600(21)00238-1.
Verfasst am 30.06.2021.

Auch noch aufgefallen

Osteoporose als Risikofaktor für kardio­vaskuläre Erkrankungen

Sicher haben Sie schon oft konventionelle Thorax-Röntgenbilder mit Zeichen der Osteoporose (Wirbelkörperfrakturen) und gleichzeitig vermehrten Verkalkungen in Gefässen oder der Aortenklappen gesehen. Hängen die beiden Phänomene ursächlich zusammen?
Eine koreanische Studie bei Frauen findet, dass eine Osteoporose als ein unabhängiger, zusätzlicher Risikofaktor für das Erleiden späterer kardiovaskulärer Erkrankungen (mehr als neun Jahre Beobachtung) gesehen werden muss. Das Risiko erhöht sich bei abnehmender Knochendichte progressiv und statistisch hoch signifikant (p <0,001 für alle Ausprägungen der Osteopenie).
Die Frage ist, ob die gehäuften kardiovaskulären Erkrankungen bei Osteoporose Ausdruck eines einzigen Prozesses (Alterung, Östrogenmangel etc.) sind oder die Osteoporose ursächlich an der Gefässalterung beteiligt ist (Kalziumtransfer in Gefässwände, Freisetzen zum Beispiel von Osteocalcin). Im letzteren Falle könnte man von einer erfolgreichen Osteoporose­therapie auch eine Risikominderung erwarten, kardiovaskuläre Komplikationen zu erleiden.
Fortsetzung folgt sofort!
Verfasst am 01.07.2021.

Verkalkende Aortenstenose: fehlender Effekt von Osteoporosetherapien

Die verkalkende Aortenstenose ist eine progrediente, degenerative Erkrankung, für die es noch keine eta­blierte medikamentöse Therapie gibt. Im Bindegewebe des Klappenapparates werden im Verlauf Entzündungsprozesse und Kalzifikationen gesehen, letztere mit gros­sen histologischen und genetischen Ähnlichkeiten zur Knochenneubildung. Hier hört aber die Analogie auf, denn eine Osteoporosetherapie (Alen­dronat 70 mg p.o. pro Woche oder Denosumab 60 mg s.c. alle 6 Monate doppelblind gegen Plazebo geprüft) hatte keinen Einfluss auf die Progression der Aorten­stenose (Computertomographie, Positronenemissionstomographie und Echokardiographie) nach zwei Jahren [1]. Dies, obwohl gemessen an den Knochenumbauparametern diese beiden Medikamente eine biologische Wirkung entfalteten.
So einfach geht es also nicht. Gespannt warten wir auf die klinischen Resultate der Gensuppressionstherapie (Anti-Sense-Oligonukleotide) des Lipoprotein a, über deren ermutigende präklinische Daten hier schon ­berichtet wurde [2].
2 Swiss Med Forum. 2019, doi.org/10.4414/smf.2019.08408.
Verfasst am 06.07.2021.

Nicht ganz ernst gemeint

Alte Gewohnheiten leben länger

Seit 1999 wird längeres Fasten vor operativen Eingriffen gemäss Richtlinien weniger restriktiv gehandhabt: sechsstündige präoperative Karenz für feste Nahrung, zwei Stunden für Flüssigkeiten.
Eine holländische Studie findet eine schlechte Compliance mit dieser Regel: Die mediane Karenzdauer für feste Nahrung betrug etwa 15 Stunden, jene für klare Flüssigkeiten um die fünf Stunden. Zusammen mit der oft zu zögerlich eingeleiteten Wiederaufnahme der Ernährung blieb die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten über 24 Stunden ohne feste Nahrung.
Ob das wirklich so schlimm ist, wie die Autoren angeben, ist nicht so klar. Vor allem in neueren Zeiten, die dem intermittierenden Fasten viel Positives abgewinnen können.
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Verfasst am 06.07.2021.