Kurz und bündig
Journal Club

Kurz und bündig

Kurz und bündig
Ausgabe
2021/3334
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08886
Swiss Med Forum. 2021;21(3334):559-562

Publiziert am 18.08.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Lipoprotein(a)

– Lipoprotein(a) ist ein zirkulierendes, LDL-ähnliches Lipoprotein, das ­Apolipoprotein B enthält [1].
– Erhöhte Werte sind unabhängige Risiko- und Progressionsfaktoren für Arteriosklerose und die verkalkende Aortenstenose.
– 20% der Bevölkerung haben erhöhte Werte (über 125 nmol/l).
– Lipoprotein(a) wird von den konventionellen Lipid-Assays nicht erfasst und muss separat analysiert werden.
– Seine atherogenen und proinflammatorischen Effekte werden oxidierten, mit dem Apolipoprotein B assoziierten Phospholipiden angelastet.
– PCSK9*-Antikörper senken Lipoprotein(a), sind aber in dieser Indikation nicht zugelassen, sofern die Zielwerte für LDL erreichbar sind.
– Neuere Therapien sind Anti-Sense-Oligonukleotide gegen die Lipoprotein(a)-mRNA und interferierende RNA-Moleküle. Grosse klinische Studien sind dazu im Gang [2].
* PCSK9: «proprotein convertase subtilisin/kexin type 9».
2 Studiennummern: NCT40235523 und NCT04270760.
Verfasst am 14.07.2021.

Praxisrelevant

Wie lange ist man nach COVID-19 vor einem Reinfekt geschützt?

Die Kontrolle der SARS-CoV-2-Pandemie wird durch das Auftreten neuer Varianten, im Moment die Überhand nehmende («indische») Delta-Variante, erschwert. Individuen nach durchgemachter COVID-19-Erkrankung sollten aber längerfristig vor einem Reinfekt geschützt sein, denn die neutralisierenden Antikörper und die Memory-B-Zellen (spezifisch für die Rezeptorbindungsdomäne) bleiben anscheinend mindestens 12 Monate danach stabil hoch. Noch besser, wenn sich diese Individuen 1× impfen lassen (mRNA-Impfstoff): Die humorale und zelluläre Immunität werden enorm verstärkt, deutlich über die Aktivität, die COVID-19-naive Individuen nach 2 Impfungen erreichen können. Die Autorinnen und Autoren wagen die Aussage, dass diese Individuen praktisch sicher vor allen bekannten Varianten geschützt sind. Gute Nachrichten! Im Tessin gehört ­jeder 5. Mensch zu dieser Population und würde von ­einer Einmalimpfung also entsprechend profitieren.
Der Verlauf der Schutzwirkung und deren Breite (Varianten inklusive) nach 2 Impfungen ohne vorgehende COVID-19-Erkrankung sind immer noch nicht im Detail geklärt.
Verfasst am 15.07.2021.

Vergleich von Erstinterventionen bei ­Problemen mit der Rotatorenmanschette

Neu, relativ akut, aber spontan auftretende, subakromiale Schulterschmerzen sollen 1% aller Erwachsenen über 45 Jahre betreffen und für mehr als 2% aller Konsultationen in der Allgemeinpraxis bei dieser Population verantwortlich sein. Abzugrenzen sind sie von posttraumatischen, entzündlichen und neurologischen (z.B. radikulären) Ursachen sowie der adhäsiven Kapsulitis («frozen shoulder»), bei der Einschränkungen der passiven Mobilität zusätzlich zum Schmerz prominent sind. Die Guidelines der «British Elbow and Shoulder Society» (BESS) können in der Praxis eine grosse Hilfe sein [1].
In einer prospektiven, kontrollierten, multizentrischen Studie (GRASP, [2]) bei Personen mit subakromialen Schmerzen war eine überwachte, progredient ­intensive Physiotherapie generellen Ratschlägen zum Alltagsverhalten nicht überlegen. Die subakromiale Glukokortikoidinjektionen ergab einen leichten Nutzen innerhalb der ersten 8 Wochen, der aber später, ­namentlich nach 12 Monaten, nicht mehr nachweisbar war.
Der Spontanverlauf dieses Syndroms ist also grundsätzlich gut, zentral ist aber die initial korrekte, nicht immer einfache klinische Diagnose [1].
Verfasst am 17.07.2021.

Screening-Programme zur Prävention/Frühentdeckung kolorektaler Karzinome im Vergleich

Zwischen 2000 und 2016 wurden in 21 europäischen Ländern 3,1 Millionen kolorektale Karzinome diagnostiziert. Länder, die schon früh ein Screening-Programm implementiert hatten (Koloskopie, okkultes Blut), sahen eine signifikante Abnahme der Inzidenz und der Mortalität kolorektaler Karzinome, und zwar umso deutlicher, je länger ein Screening-Programm etabliert war. Auch das Stadium der Krankheit bei Erstdiagnose wurde hin zu weniger ausgedehnten Stadien verschoben. Parallel dazu sind Länder ohne umfassende oder fehlende Screening-Programme mit einer Zunahme der Häufigkeit kolorektaler Karzinome konfrontiert.
Im Rahmen einer Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchung (Kolo­skopie) findet sich bei einem 72 Jahre alten Mann ein 2 cm grosser Polyp im Colon transversum, der in der Folge ­entfernt wird (Vollwandresektat). Die histopathologische Aufarbeitung zeigt ein gut ­differenziertes Adenokarzinom mit Infiltration der Submukosa (Tumorstadium pT1). Links in Bild  A sieht man normale Kolonmukosa, rechts den Übergang in das invasive Kolonkarzinom; Bild B zeigt eine Detailansicht des Adenokarzinoms (Hämotoxilin-Eosin-Färbung). Wir danken Frau Prof. Dr. med. Kirsten Mertz, Institut für Pathologie, Kantonsspital ­Baselland, Liestal, herzlich für die freundliche Zurverfügungstellung der Abbildung.
Obwohl es viele ländertypische Variablen gibt, sind diese Daten doch ein eindrücklicher Beweis für den multiplen Nutzen von Screening-Programmen auf ­kolorektale Karzinome. Die Schweiz hat zumindest in einigen Regionen Nach- oder Aufholbedarf. Nicht mehr weiter zuwarten, also!
Verfasst am 18.07.2021.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Wert der intrakraniellen Druckmessung bei traumatischer Hirnschädigung

Der Gebrauch intrakranieller Druckmessungen in dieser Situation variiert weltweit enorm und innerhalb derselben Regionen. Dabei spielen vor allem die unklare Datenlage eines Nutzens und allenfalls Ressourcenprobleme eine Rolle.
In einer grossen Beobachtungsstudie wurden knapp 2400 Patientinnen und Patienten in zwei vergleichbar grosse Gruppen (mit und ohne intrakranielle Druckmessung) aufgeteilt. Die Mortalität nach 6 Monaten war in der Gruppe mit Druckmessung hochsignifikant tiefer (34 versus 49%, p <0,001), obwohl die initiale Beurteilung des Ausmasses der Hirnschädigung bei der Gruppe mit Druckmessung durchschnittlich schwerwiegender ausfiel.
Diese Daten sind quantitativ sehr eindrücklich, wenn auch eine Beobachtungsstudie per se keinen kausalen Zusammenhang zwischen Intervention und Verlauf etablieren und nicht zu einer Empfehlung der besten Interventionsstrategie kommen kann.
Verfasst am 17.07.2021.

Neues aus der Biologie

Antifibrotische Therapie der ­nichtalkoholischen Fettleber

Die nichtalkoholische Fettleber und Steatohepatitis (NAFLD/NASH) haben die Hepatitiden B und C als wichtigste Ursachen einer Leberfibrose abgelöst. Sie können sich zur Zirrhose entwickeln und durch hepatozelluläre Karzinome kompliziert werden. Neben Koffein und Vitamin E sowie bei Diabetespatientinnen und -patienten Pioglitazon oder «Glucagon-like Peptide 1»-(GLP-1-)Rezeptor-Agonisten gibt es keine etablierten medikamentösen Therapien.
Wie aufgrund des Bündels von Ursachen und Mechanismen einer NAFLD/NASH nicht anders anzunehmen, gibt es eine Reihe von als potentielle Medikamentenziele vermuteten Molekülen (s. clinicaltrials.gov). Gallesäureanaloga, Thyreomimetika und der antifibrotische Wachstumfaktor FGF-21 nehmen hier eine Favoritenrolle ein. Letzterer wurde als Fusionsprotein (FGF-21 gebunden an die konstante Region Fc eines IgG-Antikörpers, Efruxifermin) bei Patientinnen und Patienten mit Fettleber und diversen Ausprägungen der Leberfibrose (sog. Stadien F1–F3) geprüft. Bei ziemlich guter Toleranz betrug die Reduktion des Leberfettes mindestens >30%.
Sehr hoffnungsvolle Resultate – wichtig zu evaluieren bleibt, ob auch die Fibrosestadien verbessert werden und somit das Risiko der Zirrhose- oder Leberzellkarzinomentwicklung reduziert wird.
Verfasst am 19.07.2021, siehe auch «Wussten Sie? (2)».

Mit gemischten Gefühlen

Was ist iAGE?

Für einen Teil der Bevölkerung ist das (zu) lange Leben ein wirtschaftliches und emotionales Problem, für ­einen anderen Teil ist dessen Attraktivität bis zur ­vagen Hoffnung der Unsterblichkeit ungebrochen.
Entzündungsprozesse haben eine zentrale Rolle im ­Alterungsprozess und sind bei 1001 Individuen im ­Alter zwischen 6 bis 98 mittels Analyse von Entzündungsproteinen im Blut als sogenanntes Immunom charakterisiert worden. Somit hat man eine «inflammatory aging clock» (iAGE) etabliert, die eindrücklich mit schnellerer Alterung assoziiert ist. Das wichtigste Einzelmolekül dabei ist ein Chemokin (CXCL9), das mit einer schnelleren Herzalterung und pathologischem kardialem Remodeling assoziiert ist. Auch Endothelzellen zeigen bei hohen CXCL9-Spiegeln schnellere ­Alterung, Funktionsverluste und einen Phänotypen, wie sie bei steif gewordenen Arterienwänden gesehen werden. Das Ausschalten von CXCL9 verhindert diese Entwicklungen, wodurch eine Kausalität und ein präventives/therapeutisches Interventionsziel gegeben sind. CXCL9 dürfte also ein zentraler Faktor im kardiovaskulären Alterungsprozess sein.
Verfasst am 16.07.2021, siehe auch «Wussten Sie? (1)?».

Das hat uns nicht gefreut

Hat dieses Kind einen Fremdkörper aspiriert oder nicht?

Es gibt eine Reihe von klinischen Prädiktionsmodellen, die die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind in die Trachea aspiriert hat, voraussagen und damit die Indikation zur Bronchoskopie stellen wollen. Leider können sie aber gemäss einer neuen Metaanalyse diesem Anspruch in keiner Weise genügen. Bessere Modelle und – für den Moment – im Zweifelsfalle eine bronchoskopische Klärung sind also das, was wir tun oder worauf wir hoffen müssen.
Computertomogramm (A : axial, B : koronar) mit Darstellung eines trachealen Fremdkörpers etwa 1 cm oberhalb der Carina bei einem 5-Jährigen, der seit vier Monaten an Husten litt. Der Fremdkörper stellte sich als aspirierter Kürbiskern heraus. (Case courtesy of Dr Rania Adel Anan, Radiopaedia.org, rID: 85483, https://radiopaedia.org/cases/85483 .)
JAMA Otolaryngol Head Neck Surg. 2021, doi.org/10.1001/jamaoto.2021.1548.
Verfasst am 19.07.2021.

Auch noch aufgefallen

Infertilität in der Stillperiode: Veränderung der Trends

Die relative Infertilität während der Stillperiode (laktationsassoziierte Amenorrhoe) ist teilweise Folge des hypogonadotropen Effekts des Prolaktins. Sie kann als adaptativ zum Schutz der Mutter und des Neugeborenen angesehen werden, vor allem bei limitierten Nahrungsressourcen. In Ländern ohne weitverbreitete ­Anwendung antikonzeptioneller Methoden ist dieser Effekt der quantitativ wichtigste Bremsmechanismus gegen ein noch höheres Bevölkerungswachstum.
Eine Interventionsstudie (Gambia) hatte gezeigt, dass eine erhöhte Energiezufuhr während der Stillperiode die Fertilität signifikant erhöht [1]. Eine Studie zeigt nun, dass die zum Teil eindrücklichen Verbesserungen der soziökonomischen Situation in ärmeren Ländern («low to middle income») zu einer progredienten ­Abkürzung und einer Abschwächung des antikonzeptionellen Effektes des Stillens führte [2]. Dies wohl ­wegen verbesserte Nahrungszufuhr, zusätzlich oder alternativ käme eine verminderte Frequenz und kürzere Dauer des kindlichen Saugens an der Brust infrage. Zum Beispiel bei – im Zuge sozioökonomischer Verbesserungen – extrafamiliärem Arbeiten der Mütter.
Zur besseren Kontrolle des überschiessenden Bevölkerungswachstum sind klassische Antikonzeptiva daher mehr denn je entscheidend.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus: Ngwenyama N, Salvador AM, Velázquez F, Nevers T, Levy A, Aronovitz M, et al. JCI Insight. 2019;4(7):e125527. doi: 10.1172/jci.insight.125527 . © 2019, American Society for Clinical Investigation.
1 Am J Clin Nutr. 1984, doi.org/10.1093/ajcn/39.2.227.
2 Proc Natl Acad Sci U S A. 2021, doi.org/10.1073/pnas.2025348118.
Verfasst am 15.07.2021.

Wussten Sie? (1)

Was ist CXCL9?
Wie die Abbildung illustriert ist CXCL9 ist ein sogenanntes ­Chemokin, das wie sein Schwesterzytokin, CXCL10, eine Chemo­attraktion für T1-Zellen ausübt. Es kann durch Fibroblasten oder myeloide, interstitielle Zellen (z.B. bei Blutdrucksteigerung) gebildet werden. Es bindet sich an einen T1-Zell-Rezeptor (CXCR3). Dadurch kann es zum Andocken von T-Zellen an Endothelzellen und nachfolgender Extravasation mit einer interstitiellen Entzündung (Myokard, Gefässwände) kommen. LFA1 ist ein ­Inte­grin, das nach Stimulierung des CXCR3 eine Konformations­änderung eingeht und sich dann an ein sogenanntes Adhäsionsmolekül (ICAM-1) auf Endothelzellen bindet.

Wussten Sie? (2)

Wie sind die verschiedenen Fibrosestadien der Leber definiert?
F0: Keine Fibrose – keine Faservermehrung
F1: Geringgradige Fibrose – portale Faservermehrung, keine Septen
F2: Mittelgradige Fibrose – inkomplette oder komplette portoportale Fasersepten
F3: Hochgradige Fibrose – septenbildende Faservermehrung mit Architekturzerstörung
F4: Zirrhose – wahrscheinlicher oder definitiver zirrhotischer ­Leberumbau
Hepatology. 1994, doi.org/10.1002/hep.1840190629.
Verfasst am 19.07.2021.
Das «Kurz und bündig» finden Sie auch als Podcast unter emh.ch/podcast oder in Ihrer Podcast-App unter «EMH Journal Club»!