Kurz und bündig
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Ausgabe
2021/3738
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08900
Swiss Med Forum. 2021;21(3738):622-624

Publiziert am 15.09.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Neue Empfehlungen zur Qualitätssteigerung von Kolonoskopien

– Eine zweigeteilte Vorbereitung (am Abend und am Morgen vor der Untersuchung) führt zu besseren Sichtverhältnissen.
– Auf individueller Untersucherbasis sollte eine Intubation des Zoekums in >90% der Fälle gelingen.
– Die minimale Rückzugzeit ab dem Zoekum sollte – gemessen und dokumentiert – mindestens sechs Minuten betragen.
– Das Colon ascendens sollte zweimal («second look») untersucht werden, entweder mit Sicht nach vorne oder in Retroflexion.
– Weitere, mehr fachspezifische Empfehlungen in der zitierten Arbeit.
Gastroenterology. 2021, doi.org/10.1053/j.gastro.2021.05.041.
Verfasst am 13.08.2021.

Praxisrelevant

Wie viele COVID-19-Erkrankungen verliefen bisher asymptomatisch?

Dass es solche Verläufe gibt, ist Allgemeingut, allerdings wurden in der epidemiologischen Statistik nicht immer die präsymptomatischen Fälle sauber erfasst, sodass die genaue Zahl asymptomatischer COVID-19-­Verläufe unklar blieb.
Eine Review von 350 (!) Publika­tionen zeigt nach dieser Korrektur, dass wirklich erwiesene asymptomatische Fälle bei fast genau einem Drittel aller Infektionen vorkommen. Die Rate steigt, je jünger die Individuen sind, und fällt mit dem Vorliegen von Komorbiditäten.
Um ein Übergreifen auf andere Bevölkerungsgruppen zu vermindern, ist daher eine erhöhte Aufmerksamkeit zur Unterbrechung der Infektionskette ausgehend von jugendlichen Individuen, zum Beispiel durch Testen und Impfen, sehr wichtig.
Proc Natl Acad Sci U S A. 2021, doi.org/10.1073/pnas.2109229118.
Verfasst am 11.08.2021.

Effekt der Tonsillektomie/Adenoidektomie bei Schlafapnoesyndrom unter Kindern im Vorschulalter

Die Phase des Vorschulalters ist entscheidend unter anderem für die Entwicklung von sprachlichen Fähigkeiten und der Gedächtnisqualität. Schnarchen und Schlafapnoe haben darauf einen negativen Einfluss.
Wie gut wirkt – wenn prospektiv untersucht – die Adenotonsillektomie, das heisst die Intervention der ersten Wahl beim frühkindlichen Schlafapnoesyndrom? Obwohl die Operation auf den primären Endpunkt (= intellektuelle Fähigkeiten) nach 24 Monaten keinen signifikanten Einfluss ausübt, waren die polysomnographischen Befunde, Schlafzeiten (und damit weniger Tagesmüdigkeit), Gedächtnisfunktionen sowie gewisse Verhaltensparameter signifikant gebessert. Die Effekte waren mit sehr kleinem p von <0,001 quantitativ eindrücklich.
Ein bewährtes Vorgehen kann es also so bleiben, eben bewährt.
Pediatrics. 2021, doi.org/10.1542/peds.2020-03858.
Verfasst am 16.08.2021.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Bald eine neuartige Thromboseprophylaxe?

Der Gerinnungsfaktor XI als Präventionsziel postoperativer Thromboembolien könnte bald klinisch relevant werden: Die präoperative Gabe eines monoklonalen Antikörpers gegen aktivierten Faktor XI (XIa) oder dessen Synthesehemmung mittels Anti-Sense-Oligonukleotiden hatte bereits einen im Vergleich zu Enoxaparin besseren Schutzeffekt vor Thromboembolien gezeigt [1, 2].
Struktur des Faktors XI (by Emw, CC BY-SA 3.0 https://­creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0 , via Wikimedia Commons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Protein_F11_PDB_1xx9.png ).
Die isolierte, postoperative Gabe eines monoklonalen Antikörpers, der die Aktivierung des Faktors XI verhindert (Abelacimab, intravenös), schnitt in der venösen Thromboseprophylaxe nach totaler Knieendoprothese deutlich besser als Enoxaparin ab [3]: knapp 5% Thrombosen (venographische Diagnose) im Vergleich zu gut 20% bei täglich subkutanem Enoxaparin (40 mg) ist der eindrückliche Unterschied. In etwa 2% der Fälle traten unter dem monoklonalen Antikörper jedoch relevante Blutungen auf, während diese bei Enoxaparin fehlten.
Nicht nur zeigt diese Arbeit einen grossen Fortschritt in der Thromboseprophylaxe, zusammen mit den Vorläuferstudien beweist sie auch einen quantitativen wichtigen Einfluss der Aktivierung des Faktors XI als ein Mechanismus der Thrombogenese.
1 N Engl J Med. 2015, doi.org/10.1056/NEJMoa1405760.
3 N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMoa2105872.
Verfasst am 16.08.2021.

Neues aus der Biologie

Crush-Niere verhindern und behandeln

Die Crush-Niere ist Folge einer Rhabdomyolyse wegen Muskelschäden bei Verschüttungen (Kriege, Erdbeben), exzessiven körperlichen Aktivitäten, Drogenkonsum, Elektrolytstörungen, Medikamenten und anderem mehr. Das aus der Skelettmuskulatur freigesetzte Myoglobin wird glomerulär ungehindert fil­triert und vor allem im proximalen Tubulus rückresorbiert, wodurch die Tubulustoxizität ihren Anfang nimmt.
Das proximal-tubuläre Rezeptorprotein Megalin bindet meist zusammen mit einem anderen Rezeptorprotein (Cubilin) neben einer Vielzahl anderer glomerulär filtrierter Moleküle auch Myoglobin und erleichtert dessen Endozytose. Mäuse, die kein Megalin produzieren (sogenannte Knockout-Mäuse) und solche, bei denen Megalin mit dem Medikament ­Cilastatin gehemmt wird, sind trotz Rhabdomyolyse und Myoglobinurie vor der Entwicklung einer Crush-Niere (heute «Rhabdomyolyse-induzierte akute Nierenschädigung») weitgehend geschützt. Diese Resultate etablieren das Megalin als vermittelnden Faktor in der durch Myoglobin induzierten Tubulustoxizität und identifizieren es als wichtiges medikamentöses Ziel zur – wenn unter den spezifischen Umständen möglich – Prävention oder gar Therapie einer Crush-Niere.
J Am Soc Nephrol. 2021, doi.org/10.1681/ASN.2020030263.
Verfasst am 06.08.2021.

Diät und intestinales Mikrobiom: eine kleine Überraschung

Diätinduzierte Alterationen können die intestinale Mikrobiomzusammensetzung und mittelbar systemische Entzündungsparameter regulieren und verändern. Ein sorgfältiger Vergleich des Effektes einer faserreichen Diät mit einer Diät reich an Joghurt und Käse («fermented food») zeigte, dass diese beiden Diäten die Mikrobiomzusammensetzung signifikant veränderten. Allerdings führten nur die fermentierten Milchspeisen zu einer über die Zeit progredient stärker ausgeprägten, signifikanten Unterdrückung einer Reihe von systemischen Entzündungsmodulatoren. Der Hauptteil der Mikrobiomveränderungen bei der faserreichen Diät dient der effizienteren Faserverdauung.
Wenn man also die systemische Entzündungsaktivität als zentral für viele Alterungs- und Degenerationsprozesse ansieht, ist eine Diät reich an fermentierten Milchspeisen gesünder als die weitherum gelobte ­faserreiche Kost! Folgen für rein vegane Kost?
Verfasst am 12.08.2021.

Das hat uns gefreut

Wirksame COVID-19-Prophylaxe

Mehrmals wurde hier schon darauf verwiesen (siehe unter anderem das «Auch noch aufgefallen» in diesem «Kurz und bündig»), dass angesichts der suboptimalen Durchimpfungsquote sekundär-prophylaktische und therapeutische Medikamente gegen SARS-CoV-2 wichtig sind.
Eine Kombination von zwei monoklonalen Antikörpern gegen unterschiedliche Epitope in der S1-Rezeptorbindungsdomäne vermochte die Entwicklung einer COVID-19-Infektion in der Umgebung einer erkrankten Person («close contact») wirksam zu reduzieren (auf 1,5% versus 7,8% unter Plazebo, p <0,001). Die Applikation erfolgte innert 96 Stunden nach Beginn des Kontaktes. Bei den 1,5% (Individuen, die trotz der doppelten Anti­körpertherapie krank wurden) waren Symptomdauer und Dauer der Ausscheidung hoher Viruskonzentrationen kürzer als bei jenen Individuen, die unter Plazebo erkrankten.
Ein Fortschritt zu welchen Kosten? Sicher viel höher als diejenigen der Impfung.
N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMoa2109682.
Verfasst am 16.08.2021.

Das hat uns nicht gefreut

Vitamin D und kindliches Asthma

Die 2020 publizierte Studie hatte keinen Unterschied in der Exazerbationsfrequenz zwischen hohen Tagesdosen (4000 E pro Tag) von Vitamin D versus Plazebo gefunden [1]. Die Kinder in der Plazebogruppe wurden aber fast ein Jahr lang zum Teil in einem deutlichen Vit­amin-D-Mangel belassen (es handelte sich meist um Kinder schwarzer Hautfarbe), was die Diskussion der Therapiewahl im Kontrollarm (beste verfügbare Therapie oder Plazebo) wieder aktualisiert. Im vorliegenden Fall wäre das – trotz externer Reviews, Ethikkommis­sionen – nicht zu vertreten gewesen [2]. Der Bericht liest sich wie eine Kriminalgeschichte (finanziert vom «Science Fund for Investigative Reporting»).
Verfasst am 13.08.2021.

Auch noch aufgefallen

COVID-19: WHO-«Solidarity»-Studie neu aufgelegt

Die bisher bei schweren COVID-19-Verläufen als wirksam erwiesenen Medikamente (Dexamethason und der Interleukin-6-Rezeptor-Antagonist Tocilizumab) haben eine Hemmung der überschiessenden Immun­antwort auf das SARS-CoV-2 zum Ziel. Ebenso tut dies die neu gestartete grosse multinationale Studie «Solidarity» der Weltgesundheitsorganisation (WHO): ein TNF-alpha-Hemmer (Infliximab), ein Malariamittel (Artesunat) und Imatinib (oraler Hemmer der Tyrosinkinase ABL, verwendet bei der chronisch myeloischen Leukämie). Die erste Auflage dieser Riesenstudie war im Oktober 2020 gestoppt worden, nachdem sich Remdesivir, Hydroxychloroquin, Beta-Interferon und die HIV-Medikamente Ritonavir/Lopinavir alle als unwirksam erwiesen hatten (mehr als 11 000 Patientinnen und Patienten).
Solche Studien, wie natürlich auch die Resultate von Studien über direkt antiviral wirkende Medikamente, sind für den weiteren Umgang mit der Pandemie und der anscheinend weiter sich verbreitenden Impf­müdigkeit enorm wichtig.
Verfasst am 09.08.2021.

«Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19»

Diese täglich wiederholte Formulierung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) zeigt, dass die Kausalität, ob COVID-19 einen Todesfall direkt verursachte, oft unklar ist und die Todesfallstatistik diesbezüglich ungenau sein dürfte.
Die Diagnostik und damit die epidemiologischen ­Informationen können aber verbessert werden: Laut einer englischen Studie von Todesfällen «im Zusammenhang mit COVID-19» konnten bis 7 Tage nach Exitus RT-PCR-Reaktionen aus Abstrichen des oberen Respirationstraktes verwendet werden. Die Sensitivität (im Vergleich zu den Resultaten innerhalb einer Woche vor dem Tode) betrug fast 97%, die Spezifität 94%. Die klinische Angabe einer COVID-spezifischen Todesur­sache erhöhte die Wahrscheinlichkeit eines positiven postmortalen Testresultates um einen Faktor 6. Diese auch für das Contact Tracing relevanten Daten könnten auch ohne Autopsie erhoben werden
J Inf Dis. 2021, doi.org/10.1093/infdis/jiab270.
Verfasst am 13.08.2021.

Wussten Sie?

Was ist «Zombie»-Literatur?
A Die schriftliche Fassung der Muotathaler «Wetterschmöcker»-Prognosen
B Anlagekommentare von Banken
C Bundesrätliche Twitter-Äusserungen
D Weitergeführte Zitationen an sich zurückgezogener Publikationen
E Die Teletext-Sprachregeln bei den neuesten Corona-Zahlen

Antwort:


Unter «Zombie»-Literatur versteht man neuerdings die Publikationen, die von einem Journal zurückgezogen wurden, aber weiter zitiert werden und so unser Wissen – wenn sie denn wirklich zu Recht eliminiert wurden – kontaminieren. Die erste dokumentierte Retraktion wurde übrigens schon 1756 in den Philosophical transactions of the Royal Society vorgenommen.
Angeblich eliminiert eine Retraktion die weiteren Zitationen nicht, sondern reduziert diese um lediglich ein bis zwei Drittel. Auch noch zehn Jahre nach Retraktion übertreffen die Zitationen der Original­arbeit diejenigen der korrespondierenden Retraktions­hinweise. Ein Kommentar weist aber auch darauf hin, dass die Gründe für Retraktionen immer mehr nicht nur flagrante Plagiate oder Fälschungen, sondern weniger schwerwiegende Gründe wie fehlende oder nur partielle Reproduzierbarkeit eines Resultates umfassen mit potentiellem Informationsverlust für die Forschung in diesem Gebiet.
Proc Natl Acad Sci U S A. 2021, doi.org/10.1073/pnas.2111924118.
Verfasst am 10.08.2021.
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