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Die Empfehlungen für den Gesundheits-Check-up (oder auch nur «Check-up») basieren auf der Wirksamkeit von Behandlungsansätzen und deren Evidenzlage; sie entwickeln sich stets weiter im Einklang mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dieser Artikel bietet ein Update zu den Schweizerischen EviPrev-Empfehlungen.
Einführung
Hausärztinnen und -ärzte spielen eine wichtige Rolle auf dem Gebiet der Vorsorge und der Gesundheitsförderung, die Wirksamkeit zahlreicher Interventionen ist gut dokumentiert und das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient mit oft langjähriger Betreuung der Patientinnen und Patienten bietet privilegierte Rahmenbedingungen, um diese Themen ansprechen zu können.
Der Gesundheits-Check-up, oder auch nur «Check-up» genannt, beinhaltet präventive Massnahmen, die sich an asymptomatische Personen richten und je nach Alter, Geschlecht und individuellen Risikofaktoren variieren. Die Stärke der Empfehlung basiert auf der Wirksamkeit der Behandlungsansätze und deren Evidenzlage. Diese entwickeln sich stets weiter im Einklang mit den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Zwar ist hervorzuheben, dass es zurzeit keine wissenschaftliche Evidenz gibt, die bestätigt, dass ein ungezielter Gesundheits-Check-up bei asymptomatischen Personen von Nutzen ist. Die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) rät daher im Rahmen der Kampagne «smarter medicine» 2021 davon ab; die SGAIM empfiehlt jedoch, gezielte, nach Alter, Geschlecht und individuellen Risikofaktoren angepasste Praventivmassnahmen, deren Wirksamkeit bewiesen ist, beizubehalten [1, 2].
Der vorliegende Artikel bietet ein Update der früheren Schweizer Empfehlungen auf dem Gebiet der Prävention, der Gesundheitsförderung und der Screening-Massnahmen in der Hausarztmedizin, wobei der Akzent auf den seit 2015 eingebrachten Änderungen liegt [3].
Die Empfehlungen stammen aus EviPrev, dem nationalen Programm zur klinischen Prävention und Gesundheitsförderung, das durch eine Kollaboration der universitären Zentren für Hausarztmedizin (Lausanne, Bern, Genf, Basel und Zürich) erarbeitet worden ist. Das EviPrev-Programm ist Partner des FMH-Projekts «Prävention mit Evidenz in der Praxis» (PEPra). Es fügt sich in die «Nationale Strategie zur Prävention nicht übertragbarer Krankheiten» ein. Das PEPra-Projekt, das von Gesundheitsförderung Schweiz finanziert ist und 2020 begonnen hat, dient dazu, Projekte zur Prävention in der Grundversorgung zu entwickeln und zu fördern, wobei an den bereits vorhandenen Fortbildungsprogrammen angesetzt wird. Das motivierende Gespräch, die evidenzbasierte Vorsorge (EviPrev), die gemeinsame Entscheidungsfindung und spezifische Themen wie zum Beispiel Tabak- und Alkoholkonsum oder das Vorbeugen von Stürzen werden behandelt [4].
EviPrev-Empfehlungen
EviPrev-Empfehlungen werden im Konsens im entsprechenden wissenschaftlichen Ausschuss festgelegt. Hierzu werden als Grundlage die in der medizinischen Fachliteratur aufgeführten Wirksamkeitsnachweise herangezogen – insbesondere jene der amerikanischen Expertengruppe für Präventivmedizin («US Preventive Services Task Force» [USPSTF]) –, unter Berücksichtigung der Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften in der Schweiz, der Krebsliga, der Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA) und der schweizerischen Praxis. Die Impfempfehlungen basieren auf denjenigen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG).
Die EviPrev-Tabelle (Abb. 1) fasst die Empfehlungen zur Gesundheitsförderung, zum Screening und zu Impfungen für asymptomatische Patientinnen und Patienten zusammen, die die Hausarztpraxis aufsuchen.
Änderungen der Empfehlungen seit 2015
Die meisten Empfehlungen sind seit 2015 unverändert geblieben. Neu hinzugefügt wurde das Thema des illegalen Drogenkonsums auf Basis neuer Daten zur Wirksamkeit von Screening und Beratung (Grad B) [5]. Auch die Sturzprophylaxe ab dem 65. Lebensjahr gehört nun zu den Empfehlungen zur körperlichen Aktivität [6]. Der Test auf humane Papillomaviren (HPV) hat die Möglichkeiten beim Zervixkarzinom-Screening erweitert. Ausserdem kann ab einem Alter von 50 Jahren bei Personen, die rauchen oder die vor <10 Jahren zu rauchen aufgehört haben und die ≥15 packyears aufweisen, ein Lungenkrebs-Screening in Betracht gezogen werden [7–10]. Tests auf das humane Immundefizienzvirus (HIV) sind nicht mehr auf Risikopersonen beschränkt, sondern können jedem Erwachsenen bis zum Alter von 65 Jahren angeboten werden [11, 12]. Basierend auf den Empfehlungen des BAG wurde 2020 ausserdem die Impfung gegen Gürtelrose für Personen im Alter von 65 bis 79 Jahren ergänzt und die Indikation zur Impfung gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) auf die gesamte Schweizer Bevölkerung ausgedehnt (mit Ausnahme der Kantone Genf und Tessin) [13].
Die tabellarische Darstellung unterscheidet sich von derjenigen aus dem Jahr 2015, wobei die grüne und gelbe Farbe die Empfehlungskategorien der USPSTF widerspiegeln: Grad A (hoher Grad an Gewissheit, erheblicher Nutzen), Grad B (sehr wahrscheinlich moderater / ziemlich wahrscheinlich moderater bis erheblicher Nutzen), Grad C (zumindest moderate Gewissheit, dass der Nettonutzen gering ist). Die blaue Farbe für die Impfung verweist auf die Empfehlungen des BAG. Massnahmen ohne Evidenz für eine Empfehlung oder Nichtempfehlung entsprechend Kategorie I der USPSTF werden in der Tabelle nicht mehr aufgeführt. Screenings, von denen in der wissenschaftlichen Literatur bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten aufgrund eines mangelnden Nutzens explizit abgeraten wird, sind am unteren Tabellenrand in Rot aufgeführt.
Empfehlungen zur Chemoprophylaxe wie Aspirin® zur kardiovaskulären Prävention oder die Einnahme von Vitamin D sind in der Tabelle ebenfalls nicht mehr zu finden.
Der vorliegende Artikel befasst sich im Wesentlichen mit der Krebsvorsorge und kardiovaskulären Risikofaktoren. Informationen zu den einzelnen Massnahmen und die Definition der Risikogruppen sind im Buch «Compas» und in einem Dokument zu finden, das im Anhang zur EviPrev-Tabelle aufgeführt ist [14, 15].
Beratung
Der Check-up bietet die Gelegenheit, Lebensgewohnheiten zu besprechen und individuelle Ratschläge zu erteilen. Die Empfehlungen beziehen sich ausschliesslich auf Evidenz zu deren Umsetzung im allgemeinmedizinischen Setting. Enthält die Tabelle demnach Empfehlungen zur Förderung körperlicher Aktivitäten, geht es also nicht darum, ob diese Förderung auf Bevölkerungsebene wirkt, sondern nur um die Wirksamkeit der Beratung der individuellen Patientinnen und Patienten, die in einer Hausarztpraxis vorstellig werden.
Rauchen, körperliche Aktivitäten, Ernährung sowie der Konsum von Alkohol und illegalen Drogen sind Lebensgewohnheiten, die bei allen Patientinnen und Patienten angesprochen werden sollten. Selbst wenn sich die Thematik wenig ändert, kann neues Wissen vermittelt werden, etwa die Empfehlung, langes Sitzen zu vermeiden, da dies schon an sich ein Gesundheitsrisiko darstellt [16].
Krebs-Screening
Screening und gemeinsame Entscheidungsfindung
Screenings dienen dazu, bei einer asymptomatischen Person eine Krankheit schon im Frühstadium zu erkennen, sodass die Behandlung die Mortalität respektive Morbidität reduzieren kann. Dabei besteht bei Screenings auch das Risiko falsch-positiver Ergebnisse, die zu zusätzlichen, mitunter invasiven Untersuchungen führen und Ängste auslösen. Ausserdem lässt sich durch Screenings eine nicht lebensbedrohliche Krebserkrankung erkennen (Überdiagnose und Überbehandlung).
Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte neigen zudem dazu, den Nutzen des Krebs-Screenings zu überschätzen [17]. Die Wahl sollte daher auf einer gemeinsamen Entscheidung der Person, die für ein Screening infrage kommt, und der jeweiligen Arztperson beruhen [18, 19]. Hierzu stellen Entscheidungshilfen Vor- und Nachteile verschiedener Screenings dar und unterstützen das Gespräch darüber [20–22].
Zervixkarzinom
Unabhängig vom HPV-Impfstatus wird allen Frauen ab 21 Jahren ein Zervixkarzinom-Screening empfohlen. Laut den USPSTF-Empfehlungen wird das Screening alle drei Jahre im Alter von 21–65 Jahren mittels einer zytologischen Untersuchung (Papanicolaou-Test) empfohlen, mit der Möglichkeit, ab einem Alter von 30 Jahren alle 5 Jahre einen HPV-Test (HPV-Zervixabstrich) oder einen HPV-Test mit zytologischer Untersuchung (Grad A) durchzuführen [8]. Die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe empfiehlt alle drei Jahre ein zytologisches Screening im Alter von 21–29 Jahren und danach ein zytologisches Screening oder einen HPV-Test alle drei Jahren im Alter von 30–70 Jahren [7]. Bei Patientinnen über 70 Jahre kann das Screening eingestellt werden, wenn die letzten drei zytologischen Abstriche respektive die letzten beiden HPV-Tests negativ waren. Das zytologische Screening wird von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) erstattet, nicht jedoch der HPV-Test.
Kolorektalkarzinom
Die USPSTF empfiehlt Erwachsenen im Alter von 50–75 Jahren ein routinemässiges Kolorektalkarzinom-(KRK-)Screening (Grad A) und seit 2021 auch für 45–49-Jährige (Grad B) [23]. Nicht empfohlen wird ein routinemässiges Screening bei Personen über 75 Jahre, kann jedoch aber je nach Gesundheitszustand und Lebenserwartung bis zum Alter von 85 Jahren angeboten werden (Grad C).
Schätzungsweise zwei von 100 Menschen sterben vor ihrem 80. Lebensjahr an KRK, wenn sie nicht gescreent werden. Jedoch könnte ein Todesfall unter diesen 100 Personen durch regelmässiges Screening verhindert werden [24].
Mehrere Kantone haben KRK-Screening-Programme eingeführt, zu denen Frauen und Männer zwischen 50 und 69 Jahren eingeladen sind, um dann mit ihrer Ärztin / ihrem Arzt die Wahl des Screening-Tests zu besprechen [20, 24, 25]. Das Screening kann entweder alle zwei Jahre mithilfe eines fäkalen immunchemischen Tests (FIT) mit anschliessender Koloskopie bei positivem Ergebnis erfolgen oder durch Koloskopien in Abständen von zehn Jahren.
Der Anteil der Personen im Alter von 50–69 Jahren, die in der Schweiz auf ein KRK gescreent wurden (Koloskopie in den letzten zehn oder FIT in den letzten zwei Jahren), betrug laut der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 49% [26]. Innerhalb des Sentinella-Ärztekollektivs lag dieser Anteil bei 45%; bei der betreffenden Patientenschaft überwogen die durchgeführten Koloskopien (41%) bei Weitem die Anzahl der FIT-Tests (4%) [27]. Bei Grundversorgenden, die beide Screening-Möglichkeiten anboten, war die Ablehnungsquote im Hinblick auf das Screening geringer (22%) als bei solchen, die nur die Koloskopie anboten (44%) [28]. Das Angebot beider Screening-Optionen beim gemeinsamen Entscheidungsgespräch könnte somit dazu beitragen, die Screening-Rate in der Patientenpopulation der Grundversorgung zu erhöhen.
Die Vor- und Nachteile beider Screening-Methoden zur KRK-Früherkennung können den Patientinnen und Patienten mittels einer Entscheidungshilfe vermittelt werden [22]. In Kantonen mit einem KRK-Screening-Programm (Basel-Stadt, Freiburg, Genf, Graubünden, Jura, Neuenburg, Wallis, Waadt, Uri) werden die Beratung und der gewählte Test ohne Selbstbehalt und mit einer 10%igen Zuzahlung erstattet.
Menschen mit hohem KRK-Risiko (z.B. mit einer persönlichen oder familiären Anamnese mit Adenomen, KRK oder Polyposis) sollten früher gescreent werden.
Mammakarzinom
Die USPSTF empfiehlt in der Altersgruppe von 50–74 Jahren (Grad B) alle zwei Jahre ein Mammographie-Screening und eine individuelle Besprechung des Screenings für Frauen im Alter von 40–49 Jahren (Grad C) [29]. Der Nutzen des Mammakarzinom-Screenings mittels Mammographie ist jedoch umstritten [17, 30–34].
Die in einigen Kantonen organisierten routinemässigen Screening-Programme können die Vorstellung fördern, dass bei allen Frauen eine Mammographie unbedingt zu empfehlen sei, wohingegen die derzeitigen Daten weniger kategorisch sind. Ein Mammographie-Screening alle 1–3 Jahre reduziert die Brustkrebssterblichkeit bei Frauen in der Altersgruppe von 50–74 Jahren, besonders aber bei Frauen im Alter von 60–69 Jahren. Es können pro 1000 Frauen, die 20 Jahre lang alle zwei Jahre an einem Mammographie-Screening-Programm teilnehmen, schätzungsweise vier Todesfälle infolge Mammakarzinom verhindert werden. Von diesen 1000 Frauen sind bei 250 zusätzliche Untersuchungen erforderlich und bei 5–10 Frauen wird Brustkrebs, der klinisch nie entdeckt worden wäre, diagnostiziert und behandelt [35].
In einer Publikation von 2013 rät das «Swiss Medical Board» (eine unabhängige Organisation, deren Aufgabe es ist, Massnahmen aus medizinischer, wirtschaftlicher, ethischer und rechtlicher Sicht zu analysieren),keine systematischen Mammographie-Screening-Programme mehr zu initiieren und bestehende Programme zu befristen [34]. Ausserdem empfiehlt das «Swiss Medical Board», dass bei jedem Mammographie-Screening eine gründliche medizinische Beurteilung und eine verständliche Erklärung der erwünschten und unerwünschten Wirkungen stattfinden sollte.
Das EviPrev-Programm empfiehlt ein Mammographie-Screening für Frauen im Alter von 50–75 Jahren mit einer Besprechung des Nutzens und der Risiken. Hierbei ist sicherzustellen, dass die Patientinnen sowohl den Nutzen angesichts einer geringeren absoluten Mortalität (4/1000) als auch das Risiko und die Folgen einer Überdiagnose (5–10/1000) verstanden haben.
Nach fachlicher Beratung können Frauen mit hohem Mammakarzinomrisiko frühzeitig an einem Screening teilnehmen.
Dieses Screening wird von der OKP ohne Erhebung der Franchise übernommen, sofern es im Rahmen eines systematischen Vorsorgeprogramms erfolgt (Liste der Kantone unter www.swisscancerscreening.ch). Ein Selbstbehalt von 10% ist jedoch von den Patientinnen selbst zu tragen.
Prostatakarzinom
Die USPSTF empfiehlt, bei Männern der Altersgruppe 55–69 Jahre ein Prostatakrebs-Screening mittels Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) im Rahmen eines gemeinsamen Entscheidungsgespräches von Arztperson und Patient anzusprechen (Grad C) [36]. Für Männer über 70 Jahre wird dieses Screening nicht empfohlen.
Die Empfehlungen in der Schweiz sind uneinheitlich: Während sich das «Swiss Medical Board» 2011 gegen ein Prostatakarzinom-Screening mittels PSA-Bestimmung aussprach, empfehlen mehrere medizinische Fachgesellschaften, Patienten im Alter zwischen 50 und 70 Jahren über den möglichen Nutzen des Screenings, aber auch über dessen Grenzen sowie die Nebenwirkungen von Untersuchungen und Behandlungen zu informieren und die Präferenzen des Patienten bei der Entscheidung für oder gegen ein Screening zu berücksichtigen [21, 37, 38]. Das British Medical Journal (BMJ) veröffentlichte 2018 eine «Rapid Recommendation» zu diesem Thema: Darin sprach sich eine internationale, interprofessionelle Gruppe aus Fachärztinnen und -ärzten aus den Bereichen Urologie, Epidemiologie und Grundversorgung sowie Patienten gegen ein routinemässiges Screening und für eine gemeinsame Entscheidungsfindung aus [39].
Die Ergebnisse der klinischen Studien zum Prostatakarzinom-Screening mittels PSA-Werten sind widersprüchlich. Eine amerikanische Studie zeigte keine signifikante Reduzierung der prostatakarzinomspezifischen Sterblichkeit bei Studienteilnehmern, die an einem PSA-Screening teilnahmen [40, 41]. Dabei sei darauf hingewiesen, dass bei einem sehr hohen Anteil der Patienten in der Kontrollgruppe (ca. 90%!) schliesslich ein PSA-Test durchgeführt wurde, was auf eine mögliche «Kontamination» dieser Gruppe hindeutet und dafür spricht, dass es zwischen den Ergebnissen beider Gruppen keinen Unterschied gibt. In einer neueren britischen Studie, in der ein einzelner PSA-Test mit einer zehnjährigen Nachsorge verglichen wurde, ergab sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied zur Kontrollgruppe, in der die Kontaminationsrate auf 10–15% geschätzt wurde [42]. Hingegen kam die europäische Studie zum Schluss, dass das Screening zu einer geringen Abnahme der Sterblichkeit führt [43, 44]. Auf Grundlage dieser Studie schätzt man, dass von 500 Männern, die 16 Jahre lang alle 2–4 Jahre auf Prostatakarzinom gescreent werden, bei 58 Männern ein solches diagnostiziert wird und vier daran sterben. Ohne Screening erhalten 43 Männer eine Prostatakarzinomdiagnose, wovon fünf daran versterben. Somit verhindert das Screening von 500 Männern einen Todesfall durch Prostatakarzinom (Abb. 2).
Die Ergebnisse dieser Studien wurden systematisch ausgewertet [45]. Der Rückgang der Sterblichkeit durch Prostatakarzinome betrug weniger als 1/1000, ohne dass sich dies positiv auf die Gesamtmortalität auswirkte [45]. In den gleichzeitig im BMJ veröffentlichten Empfehlungen wurden die Nebenwirkungen des Screenings und der Krebsbehandlung quantifiziert, darunter biopsiebedingte Komplikationen (total 226/1000)*, Überdiagnose lokalisierter Krebserkrankungen (14/1000), erhöhte Anzahl von Männern mit Inkontinenz (3/1000) und erektiler Dysfunktion (25/1000) in der Screening-Gruppe im Vergleich zur Gruppe ohne Screening [39].
Eine Entscheidungshilfe vereinfacht es, die Bedeutung des Screenings zu erklären [22]. Entscheidet man sich für einen PSA-Test, sollte dieser alle 1–2 Jahre wiederholt werden.
Der Nutzen des Screenings kann grösser sein bei Männern mit höherem Prostatakarzinomrisiko respektive einer positiven Familienanamnese für Prostatakarzinom vor dem 65. Lebensjahr (Vater, Bruder, Sohn) sowie bei Männern afroamerikanischer Herkunft [36]. Da diese Krebserkrankung meistens sehr langsam voranschreitet, wird ein Screening bei Männern mit einer Lebenserwartung von weniger als zehn Jahren nicht empfohlen [38].
Lungenkarzinom
Die USPSTF empfiehlt ein jährliches Screening mit Low-Dose-Computertomographie (-CT) für asymptomatische Personen im Alter von 50–80 Jahren, die rauchen respektive vor <15 Jahre damit aufgehört haben (≥20 packyears), ohne das Überleben gefährdende Komorbiditäten (Grad B) [10].
In der Schweiz wird ein systematisches Screening von der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie derzeit nicht empfohlen. Die Praxis könnte sich jedoch nach den jüngsten Ergebnissen der NELSON-Studie ändern [9, 46–48]. Diese randomisierte Studie mit Personen im Alter von 50–74 Jahren, die rauchen oder vor <10 Jahren damit aufgehört haben (≥15 Packungsjahre), mit zehnjährigem Follow-up ergab in der Testgruppe eine relative Reduzierung der Lungenkarzinommortalität um 24% bei Männern und um 33% bei Frauen [48]. Somit kann durch Screening bei 100 über einen Zeitraum von zehn Jahren beobachteten Personen ein Todesfall durch Lungenkarzinom verhindert werden. Bei Anwendung unterschiedlicher Kriterien zur Beurteilung verdächtiger Noduli – vor allem hinsichtlich des Volumens – verbesserte sich der positive Vorhersagewert für jede Anomalie auf 43,7%. Das Potential der Früherkennung von Lungenkrebs wurde bestätigt durch 58,6% der Krebsfälle, die im Stadium 1A oder 1B entdeckt wurden, gegenüber 13,5% in der Kontrollgruppe.
Falls ein individuelles Lungenkarzinom-Screening in Betracht gezogen wird, ist die Patientin / der Patient sowohl über den potenziellen Nutzen als auch über die Risiken falsch-positiver Ergebnisse aufzuklären, die eine erneute Bildgebung (im Falle eines unbestimmten Ergebnisses nach 3–4 Monaten zu wiederholende Untersuchung) oder invasive Verfahren erforderlich machen (Abb. 3). Ferner sei auf das Risiko hingewiesen, dass der Patient beruhigt ist, dass kein Lungentumor vorliegt, und weiterhin raucht. Daher ist die Raucherentwöhnung nachdrücklich zu fördern. Eine Entscheidungshilfe ist verfügbar [9, 22].
Es sei daran erinnert, dass ausschliesslich zu Screening-Zwecken durchgeführte Thorax-CT-Untersuchungen von der OKP nicht erstattet werden.
Screening auf kardiovaskuläre Risikofaktoren
Arterielle Hypertonie
Die USPSTF empfiehlt ein Screening aller Erwachsenen auf arterielle Hypertonie ab dem Alter von 18 Jahren sowie ein jährliches Screening ab dem Alter von 40 Jahren (Grad A) [49].
Die «International Society of Hypertension» (ISH), die «European Society of Cardiology» (ESC) und die USPSTF betonen die Bestätigung der Diagnose durch ambulante Messungen, zum Beispiel mittels 24-Stunden-Blutdruckmessung oder Selbstmessung zuhause. Bei normalem Blutdruck (<130/85 mm Hg) empfiehlt sich eine Messung alle drei Jahre; sind kardiovaskuläre Risikofaktoren vorhanden, sollte die Kontrolle jedoch jährlich stattfinden. Ist der Blutdruck erhöht, sollten die Messungen häufiger erfolgen. Die Schweizerische Hypertonie-Gesellschaft (SHG; www.swisshypertension.ch) gibt verschiedene Empfehlungen zur Diagnose von Bluthochdruck, zur Lebensweise und zu Behandlungsmöglichkeiten. Bei leichtem bis mittelschwerem Bluthochdruck hilft die Bewertung des kardiovaskulären Risikos, um die Notwendigkeit einer medikamentösen Therapie zu bestimmen [49–51].
Dyslipidämie
Die USPSTF empfiehlt eine Bewertung des kardiovaskulären Risikos im Hinblick auf die mögliche Verordnung eines Statins bei Menschen im Alter von 40–75 Jahren mit mindestens einem kardiovaskulären Risikofaktor (Dyslipidämie, Diabetes, Bluthochdruck, Rauchen) und einem berechneten 10-Jahres-Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse von ≥10% (Grad B). Für Personen im Alter von 40–75 Jahren mit mindestens einem kardiovaskulären Risikofaktor, aber einem berechneten 10-Jahres-Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis zwischen 7,5 und 10%, wurde der Nutzen einer Statinbehandlung bisher nicht in randomisierten Studien untersucht (Grad C) [52]. In anderen Situationen werden nur Massnahmen zur Lebensweise empfohlen.
Für die AGLA sollte das Screening auf Dyslipidämie ab einem Alter von 40 Jahren erfolgen, wobei Personen mit einer persönlichen oder familiären Anamnese mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen frühzeitig individuell untersucht werden sollten. Die Einführung eines Statins erfolgt auf Grundlage des PROCAM-AGLA-Scores für kardiovaskuläre Risiken unter www.agla.ch.
Die Positionen der ESC, die von der AGLA 2020 aufgegriffen wurden, sind nach wie vor umstritten. Dies gilt besonders für die schwache Empfehlung, für die Primärprävention einen LDL-Cholesterin-Wert von 3 mmol/l anzustreben und jede Person mit einem LDL-Cholesterin von >5 mmol/l als Person mit hohem kardiovaskulärem Risiko zu betrachten, ohne das Risiko zu berechnen [53]. Die von der Mayo Clinic entwickelte und ins Französische übersetzte Entscheidungshilfe unterstützt eine gemeinsame Entscheidungsfindung, welche Behandlung in der Primärprävention eingeleitet werden soll [22, 54].
Abdominales Aortenaneurysma
Männern zwischen 65 und 75 Jahren, die rauchen oder früher geraucht haben, wird empfohlen, sich einem abdominalen Ultraschall-Screening auf ein abdominales Aortenaneurysma zu unterziehen und diese Untersuchung einmal zu wiederholen (Grad B). Dieses Screening ist bei Männern im Alter von 65 bis 75 Jahren, die nie geraucht haben (Grad C), individuell zu besprechen [55]. Demgegenüber liegen gegenwärtig keine ausreichenden Erkenntnisse dafür vor, ob bei Frauen im Alter von 65–75 Jahren, die rauchen oder früher geraucht haben, eine Untersuchung zu empfehlen ist oder nicht.
Andere kardiovaskuläre Screenings
Nicht empfohlen wird ein Screening auf Karotisstenose, koronare Herzkrankheit oder eine Arteriopathie der unteren Extremitäten, da diese Untersuchungen symptomatischen Personen vorbehalten sind.
Aspirin®
Die USPSTF empfiehlt eine niedrig dosierte Aspirin®-Therapie zur Primärprävention bei Erwachsenen im Alter von 50–59 Jahren mit einem Risiko ≥10%, in den nächsten zehn Jahren eine kardiovaskuläre Erkrankung zu entwickeln, wenn kein erhöhtes Blutungsrisiko besteht und die Lebenserwartung noch mindestens zehn Jahre beträgt (Grad B) [56].
Gross angelegte neuere klinische Studien haben jedoch keinen Nutzen einer solchen Behandlung in der Primärprävention sowie ein unterschätztes Blutungsrisiko aufgezeigt [57]. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Behandlung in der Primärprävention nicht routinemässig eingesetzt werden sollte, da es keine Evidenz für einen Nutzen gibt. Es ist jedoch zu beachten, dass die «American Heart Association» (AHA) 2019 empfohlen hat, eine niedrig dosierte Aspirin®-Therapie zur Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen nur bei Erwachsenen im Alter von 40–70 Jahren mit hohem kardiovaskulärem Risiko und ohne erhöhtes Blutungsrisiko in Betracht zu ziehen, und zwar nach gemeinsamer Entscheidungsfindung mit der Patientin / dem Patienten [58]. Die AGLA in der Schweiz und die ESC empfehlen eine solche Behandlung in der Primärprävention dagegen nicht mehr [59].
Schlussfolgerungen
Die 2021 aktualisierten EviPrev-Empfehlungen stellen wirksame Präventionsmassnahmen vor, die auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, internationalen Empfehlungen und dem Schweizer Kontext basieren. Im Rahmen des PEPra-Projekts werden sie jährlich überarbeitet und in die Internetplattform dieses neuen Programms aufgenommen, das die verschiedenen Schulungsangebote und Instrumente zur Umsetzung von Prävention und Gesundheitsförderung in der medizinischen Praxis koordiniert.
Das Wichtigste für die Praxis
• Rauchen, körperliche Aktivitäten, Ernährung sowie der Konsum von Alkohol und illegalen Drogen sind Lebensgewohnheiten, die bei allen Patientinnen und Patienten angesprochen werden sollten.
• Die Entscheidung, ob ein Screening auf bestimmte Krebsarten stattfinden sollte oder nicht, sollten Ärztin/Arzt und Patientin/Patient gemeinsam treffen. Dies gilt insbesondere bei PSA-Tests für das Prostatakarzinom und Low-Dose-CTs für das Lungenkarzinom bei Personen, die rauchen oder geraucht haben. Es sind Entscheidungshilfen verfügbar.
• Die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen basiert auf der Beratung zum Lebensstil sowie auf der Erkennung und Behandlung von Bluthochdruck und hohen Cholesterinwerten.
• Eine Ultraschalluntersuchung auf abdominales Aortenaneurysma wird bei Männern, die rauchen oder geraucht haben, ab dem 65. Lebensjahr empfohlen.
• Ein HIV-Screening sollte bei jeder sexuell aktiven Person bis zum Alter von 65 Jahren mindestens einmal stattfinden.
– 67/1000 Blut im Urin
– 45/1000 Schmerzen
– 19/1000 Fieber
– 1/1000 Hospitalisation
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Dr. med.
Isabelle Jacot Sadowski
Centre universitaire de médecine générale et santé publique
Unisanté
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