Ein Pickel auf der Klappe

Ein Pickel auf der Klappe

Fallberichte Online
Ausgabe
2022/00
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08823
Swiss Med Forum. 2022;22(00):

Publiziert am 01.01.2022

Ein 64-jähriger Patient wurde bei akut aufgetretenem Fieber bis 39,5° C, Schüttelfrost und Appetitlosigkeit auf der Notfallstation vorstellig. Er schilderte ansonsten keine Beschwerden, abgesehen von lumbalen Rückenschmerzen.

Ungewöhnliche Endokarditis-Ursache

Hintergrund

Die Inzidenz der infektiösen Endokarditis beträgt 2–6 pro 100 000 Personen pro Jahr [1]. Lag früher meist eine rheumatische Herzerkrankung zugrunde, sind in der westlichen Welt heutzutage häufig Risikofaktoren wie künstliche Herzklappen, intravenöser Drogenkonsum, Hämodialyse, Einsatz von intravaskulären Kathetern, implantierte Devices (Schrittmacher oder implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren [ICD]) oder degenerative Klappenveränderungen ursächlich.Vermutet werden sollte eine infektiöse Endokarditis bei Fieber und relevanten kardialen Risikofaktoren (Status nach infektiöser Endokarditis, vorbestehende valvuläre Herzkrankheit, künstliche Herzklappe oder implantierte Devices) [2]. Eine verzögerte Diagnosestellung und somit Therapie erhöhen das Komplikationsrisiko bezüglich Klappeninsuffizienz, Herzinsuffizienz, Embolien und Sepsis. Diagnostisch sollten drei Blutkulturpaare an verschiedenen Punktionsstellen im Abstand von 30 Minuten abgenommen werden, ehe eine empirische und nach Erregernachweis resistenzgerechte antibiotische Therapie eingeleitet wird. Ebenfalls sollte eine Echokardiographie erfolgen: ergibt eine transthorakale Echokardiographie keinen sicheren Hinweis auf eine Vegetation, soll bei weiter bestehendem, starkem klinischen Verdacht im nächsten Schritt eine transösophageale Echokardiographie angestrebt werden [3]. Cutibakterien sind langsam wachsende, anaerobe, grampositive Bakterien, die ubiquitär auf der Haut vorkommen [4]. Wenn sie in Blutkulturen wachsen, werden sie daher häufig als Kontamination interpretiert. Bei Patienten mit prothetischem Mate­rial (sowohl Gelenkprothesen als auch intravaskuläre Prothesen) treten nun aber zunehmend Fälle von schwerwiegenden Fremdkörper-assoziierten Infektionen mit Cutibacterium (früher Propionibacterium) acnes auf [5].

Fallbericht

Anamnese

Ein 64-jähriger Patient wurde bei gleichentags akut aufgetretenem Fieber bis 39,5 °C, Schüttelfrost und ­Appetitlosigkeit auf der Notfallstation vorstellig. Er schilderte ansonsten keine Beschwerden, abgesehen von seit drei Wochen bestehenden lumbalen Rückenschmerzen nach Anheben eines schweren Baumstammes. In der persönlichen Anamnese fanden sich eine biologische Mitralklappen-Prothese, die vor vier Jahren wegen einer Mitralklappeninsuffizienz eingelegt worden war, sowie eine Osteosynthese der Halswirbelsäule aufgrund einer Fraktur. Es bestand keine Immunsuppression.

Status und Befunde

Der Patient präsentierte sich febril (39,4 °C), allseits orientiert und in gutem Allgemeinzustand mit unauffälligem allgemeininternistischen sowie neurologischen Status. Es bestanden keine Klopfdolenz über der Wirbelsäule, keine Herzgeräusche bei der Auskultation und keine Splenomegalie.
Im Labor zeigte sich ein bemerkenswert tiefes C-reak­tives Protein (CRP) mit 12,9 mg/l bei normwertiger Leuko­zytenzahl (8,7 Tsd/µl). Der Urinstatus war unauf­fällig, ebenso ein Röntgenbild des Thorax und eine Multiplex-Polymerase-Kettenreaktion für respiratorische Erreger inklusive Schnelltest auf Influenza. Es wurden 4 × 2 Blutkulturen (aerob und anaerob) seriell abgenommen, die nach 48 Stunden kein Wachstum aufwiesen. Bei biologischem Mitralklappenersatz und möglicher Endokarditis wurden sie verlängert bebrütet. Am fünften Tag zeigte sich ein Wachstum mit Cutibacterium acnes in vier von acht Blutkulturflaschen (drei aerobe und eine anaerobe Flasche). Eine transthorakale Echokardiographie zeigte eine 14 mm messende, flottierende Klappenvegetation (Abb. 1). Als mögliche Eintrittspforte fanden sich retroaurikulär beidseits psoriasiforme, juckende Läsionen, die der Patient rezidivierend blutig gekratzt hatte.Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) der Wirbelsäule zeigte eine Deckplattenimpressionsfraktur des elften Brustwirbelkörpers. Hinweise auf eine Spondylodiszitis fanden sich jedoch keine.
Abbildung 1:
Transösophagale Echokardiographie der Mitral­klappe vorhofseitig. LA: linkes Atrium. LV: linker Ventrikel. Pfeil = Vegetation (3 × 4 mm).

Diagnose

Gemäss Duke-Kriterien [6] waren nun zwei Haupt­kriterien erfüllt – zum einen durch den erbrachten ­Erregernachweis, zum anderen durch den echokardiographischen Nachweis einer Klappenvegetation –, zudem lagen zwei Nebenkriterien (Tab. 1) vor, nämlich Fieber über 38 °C und Status nach Mitralklappenersatz mit biologischer Mitralklappenprothese als prädisponierende Herzerkrankung. Somit konnte die Diagnose einer Mitralklappenprothesen-Endokarditis durch ­Cutibacterium acnes als Ursache des plötzlich aufgetretenen Fiebers gestellt werden.
Tabelle 1:
Minor-Kriterien.
prädisponierende Herzerkrankung oder injizierender Drogenkonsument (IDU)
Fieber >38°C
vaskuläre Phänomene wie• arterielle Embolie
• septischer Lungeninfarkt
• mykotisches Aneurysma
• intrakranielle Blutung
• konjunktivale Blutungen, Janeway-Läsionen
• zerebrale Embolien im zerebralen Magnetresonanztomogramm (Durchführung erwägen, falls nicht genügend Duke’s ­Kriterien vorliegen)
immunologische Phänomene wie• Glomerulonephritis
• Osler-Knoten
• Roth-Flecken
• positiver Rheumafaktor
mikrobiologischer Befund• positive Blutkultur, die die Major-Kriterien nicht erfüllt
• Serokonversion mit einem anderen typischen Erreger
Duke’s Kriterien (Quelle: https://ssi.guidelines.ch/guideline/575).

Therapie

Aufgrund des Erregernachweises und nach Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration konnte die initiale Breitspektrumtherapie mit Augmentin 2,2 g ­intravenös alle vier Stunden und Gentamycin 200 mg/Tag (gewichtsadaptiert mit 3 mg/kg Körpergewicht) auf Ceftriaxon 2 g/Tag intravenös und Rifampicin 2 × 450 mg/Tag umgestellt werden. Beide Antibiotika zeigen eine exzellente Aktivität gegen Cutibacterium acnes. Ceftriaxon hat den Vorteil einer einmaligen Gabe pro Tag, Rifampicin ist bakterizid und vermag Biofilme zu penetrieren. Klare Empfehlungen oder gar kontrollierte Studien existieren für die Behandlung der Endokarditis mit Cutibacterium acnes jedoch nicht.
Unter Rifampicin kontrollierten wir regelmässig Blutbild, Leber- und Nierenwerte. Die Entzündungswerte (Maximum am dritten Tag: CRP 189,8 mg/l) waren unter dieser Therapie gut rückläufig (sieben Tage später: CRP 52 mg/l). Die retroaurikulären Eintrittspforten wurden mittels einer Halometason-Triclosan Salbe ­behandelt, worunter sich eine gute Heilung zeigte.

Verlauf

Der Patient wurde engmaschig klinisch kontrolliert. Ein MRT des Schädels am zweiten Tag mit der Frage nach zerebralen septischen Embolien fiel unauffällig aus. Es folgten regelmässige klinische und speziell neurologische Untersuchungen, die stets bland ausfielen. Auch die Haut wurde fortlaufend auf Splinter-Blutungen oder Janeway-Läsionen untersucht, jedes Mal mit negativem Ergebnis. Die Nierenfunktion zeigte sich unverändert, das Sediment war normal. Der Patient erhielt wöchentlich eine transthorakale respektive transösophageale Echokardiographie, um keine Abszesse oder neu aufgetretenen Dehiszenzen der Klappen­prothese zu verpassen. Auch wurde er regelmässig aus­kultiert, um neu auftretende Herzgeräusche oder eine Bradykardie als Hinweis auf einen AV-Block auszuschliessen. Aufgrund der Grösse der Vegetation (>10 mm) wurde ein operatives Vorgehen erwogen, auf dieses konnte bei stets stabiler kardialer Funktion, Nachweis einer Grössenabnahme der Vegetation in der ­Verlaufs-Echokardiografie sowie bei fehlenden Embo­lien und gutem, raschem Ansprechen auf die Therapie ­verzichtet werden. Verlaufsblutkulturen nach drei ­Wochen blieben ohne Wachstum. Dem Patienten ging es unverändert gut, die antibiotische Therapie konnte nach kumulativ sechs Wochen beendet werden. Bezüglich der vermuteten Eintrittspforte wurde der Patient instruiert, auf eine gute Hautpflege zu achten.

Diskussion

Die infektiöse Endokarditis wird meist durch Staphylokokken oder Streptokokken verursacht [3, 7]. Cutibacterium acnes (früher Propionibacterium acnes) ist nur für ungefähr 0,3% der Endokarditiden verantwortlich [8]. Es ist daher wichtig, dass bei Patienten, bei denen eine Endokarditis vermutet wird, das Wachstum von Cutibacterium acnes nicht einfach als Kontamination gewertet wird. Dies gilt insbesondere für Patienten mit einer Klappenprothese, die Cutibacterium acnes typischerweise infiziert. Abgenommene Blutkulturen zeigen nach den standardmässigen fünf Tagen Bebrütungszeit meist noch kein Wachstum. Bei hohem klinischen Verdacht ist daher eine Inkubationszeit von bis zu vierzehn Tagen erforderlich, da langsam wachsende Keime sonst verpasst werden. Hier ist die explizite Angabe des Verdachts auf eine Endokarditis zuhanden der Mikrobiologie daher sehr wichtig. Gemäss einer Fallserie lag die Zeit bis zum positiven Befund von Cutibacterium acnes bei Endokarditis in den Blutkulturen im Median bei 7 Tagen (Spannweite: 3–9 Tage) [9]. Es existieren sehr wenige Daten bezüglich der Therapie einer infektiösen Endokarditis durch Cutibacterium acnes. Bei den bislang dokumentierten Fällen war meist eine operative Versorgung notwendig [8]. Eine solche muss in der Regel bei neuer respektive pro­gredienter Klappendysfunktion, bei Persistenz der Infektion (persistierendes Fieber oder persistierende Bakteriämie), bei lokaler Ausbreitung der Infektion mit Ausbildung von perivalvulären Abszessen, bei neu aufgetretenem atrioventrikulären Block, bei liegendem Schrittmacher oder ICD oder im Falle von septischen Embolien erfolgen [10]. Die Prognose ist grundsätzlich gut [8].

Das Wichtigste für die Praxis

  • Eine Endokarditis kann sich bei jungen Patienten auch oligosymptomatisch und atypisch präsentieren. Bei entsprechenden Risikofaktoren wie einem Klappenersatz sollte bei Fieber ohne Fokus differenzialdiagnostisch daran gedacht werden.
  • Bei starkem klinischen Verdacht auf eine Endokarditis sollten Blutkulturen länger als die standardmässigen 5 Tage bebrütet werden (eher 10 bis 14 Tage), da langsamer wachsende Keime sonst verpasst werden.
  • Wird bei solchen Patienten die Gabe von Antibiotika erwogen, sollten in jedem Fall zuerst 3 × 2 Blutkulturen abgenommen werden.
  • Endokarditispatienten müssen engmaschig verlaufskontrolliert werden, da bei Komplikationen eine (dringende) operative Versorgung notwendig werden kann.
Prof. Beer meldet Zuschüsse des Schweizerischen Nationalfonds für die Wissenschaft und der Schweizerischen Herzstiftung. Die anderen Autorinnen und Autoren haben deklariert, keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
Dr. med. Michael Greiner
Infektiologie
Kantonsspital Baden
Im Ergel 1
CH–5404 Baden
mgreiner[at]imm.uzh.ch
1. Sonderegger B, Führer U, Portmann S, Zimmerli S. Infektiöse Endokarditis – Update. Teil 1. Swiss Med Forum 2012;12(3132):608–12.
2. Wang A, Holland TL. Overview of management of infective endocarditis in adults. UpToDate [Internet]. [accessed 2020 March 24]. Available from: https://www.uptodate.com/contents/overview-of-management-of-infective-endocarditis-in-adults
3. Habib G, Lancellotti P, Antunes MJ, Bongiorni MG, Casalta JP, Del Zotti F, et al. 2015 ESC guidelines for the management of infective endocarditis: the task force for the management of infective endocarditis of the European Society of Cardiology (ESC) endorsed by: European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS), the European Association of Nuclear Medicine (EANM). European Heart Journal 2015;36(44):3075–128.
4. Grice EA, Kong HH, Conlan S, Deming CB, Davis J, Young AC, et al. Topographical and temporal diversity of the human skin microbiome. Science. 2009;324(5931):1190–2.
5. Achermann Y, Goldstein EJ, Coenye T, Shirtliff ME. Propionibacterium acnes: from commensal to opportunistic biofilm-associated implant pathogen. Clin Microbiol Rev. 2014;27(3):419–40.
6. Li JS, Sexton DJ, Mick N, Nettles R, Fowler VG Jr, Ryan T, et al. Proposed modifications to the Duke criteria for the diagnosis of infective endocarditis. Clin Infect Dis. 2000;30(4):633–8.
7. Murdoch DR, Corey GR, Hoen B, Miró JM, Fowler VG Jr, Bayer AS, et al. Clinical presentation, etiology, and outcome of infective endocarditis in the 21st century: the International Collaboration on Endocarditis – Prospective Cohort Study. Arch Intern Med. 2009;169(5):463–73.
8. Lalani T, Person AK, Hedayati SS, Moore L, Murdoch DR, Hoen B, et al. Propionibacterium endocarditis: a case series from the International Collaboration on Endocarditis Merged Database and Prospective Cohort Study. Scand J Infect Dis. 2007;39(10):840–8.
9. Banzon JM, Rehm SJ, Gordon SM, Hussain ST, Pettersson GB, Shrestha NK. Propionibacterium acnes endocarditis: a case series. Clin Microbiol Infect. 2017;23(6):396–9.
10. Westphal N, Plicht B, Naber C. Endocarditis – prophylaxis, diagnostic criteria, and treatment. Dtsch Arztebl Int. 2009;106(28–29):481–9.