Das perforierte Jejunumdivertikel

Das perforierte Jejunumdivertikel

Fallberichte Online
Ausgabe
2022/00
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08882
Swiss Med Forum. 2022;22(00):

Publiziert am 01.01.2022

Wegen der Häufigkeit von Divertikeln im Dickdarm sind die Krankheitsbilder in der hausärztlichen Praxis sehr präsent. Divertikel in anderen Abschnitten des Darms sind hingegen weniger häufig und werden oftmals in ihrer klinischen Relevanz unterschätzt.

Hintergrund

Seltene Ursache des «Akuten Abdomens»
Wegen der Häufigkeit von Divertikeln im Dickdarm sind die Krankheitsbilder in der hausärztlichen Praxis sehr präsent. Divertikel in anderen Abschnitten des Darms sind hingegen weniger häufig und werden oftmals in ihrer klinischen Relevanz unterschätzt. Zu den Divertikeln im Dünndarm gehört das Meckel-Divertikel, ein echtes Divertikel, was sich durch Entzündungen und Darmblutungen bemerkbar macht. Deutlich seltener sind unechte Divertikel des Dünndarms, zu denen auch die proximalen Jejunumdivertikel gehören [1, 2]. Anders als das angeborene Meckel-Divertikel sind Jejunumdivertikel meist erworben. Der Hauptteil der Jejunumdivertikel ist asymptomatisch und wird zufällig bei einer CT-Untersuchung entdeckt. Gelegentlich verursachen sie intermittierende uncharakteristische Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Selten sind auch schwerwiegende Komplikationen wie Adhäsionsileus, intestinale Blutungen und Perforation möglich [2]. Insbesondere die Seltenheit dieser Erkrankung und die meist unspezifischen Symptome gefährden eine schnelle Diagnosestellung. Die zügige Bildgebung ist die entscheidende Massnahme für die zeitgerechte Operation [1].

Fallberichte

Fall 1

Eine 57-jährige Frau stellte sich mit seit einem Tag bestehenden, zunehmenden Bauchschmerzen im Notfall vor. Im Verlauf hatten sich zudem durchfallartige Stuhlentleerungen, Nausea und Erbrechen entwickelt. Nach einer Präsynkope wurde sie ins Spital gefahren. Bei Aufnahme waren die Schmerzen mittig im Abdomen lokalisiert, von krampfartigem Charakter und durch leichtes Schütteln verstärkt. Aus der medizinischen Vorgeschichte waren keine weiteren Erkrankungen bekannt. Die körperliche Untersuchung zeigte einen Druckschmerz im Mittelbauch und im linken unteren Quadranten bei faustgrosser Resistenz.

Diagnostik

Im Labor waren anfangs lediglich das C-reaktive Protein (CRP) auf 69 mg/l (Normwert <5 mg/l) erhöht bei normalen Leukozyten-Werten. Am nächsten Morgen stiegen das CRP auf 132 mg/l und die Leukozyten ebenfalls auf 10 300/µl mit 83% Neutrophilen an. In der computertomografischen Untersuchung (CT) des Abdomens fanden sich deutliche entzündliche Veränderungen im Bereich des Colon descendens und seiner benachbarter Jejunumschlingen (Abb. 1). Neben einem wandverdickten Segment war eine abgekapselte extramurale Luftblase mit einer Alteration des umgebenden Fettgewebes sichtbar. Kein Anhalt für eine Sigmadivertikulitis.
Abbildung 1:
Transversales Abdomen-CT mit oraler und intravenöser Kontrastmittelgabe von Fall 1: Blase mit Luft und Darminhalt neben dem Jejunum mit entzündlicher Alteration des umgebenden Fettgewebes (Pfeile).

Therapie 

Die sofortige explorative Laparotomie über einen Mittellinienschnitt zeigte das Jejunum nach dorsal verklebt und von der Mesowurzel der linken Flexur und des Colon descendens abgedeckt. Beim Herauslösen entdeckelte sich eine eitrige lokale Peritonitis um ein einzelnes, etwa tischtennisballgrosses, gangränös-nekrotisches Jejunumdivertikel, welches zentral perforiert war und aus dem Darminhalt austrat. Das Divertikel-tragende Segment des Jejunums wurde reseziert und die entzündungsfreien Enden mit einem Endo-GIA zu einer Seit-zu-Seit-Anastomose gestapelt. Das Abdomen wurde im Anschluss nochmals ausgiebig gespült und nach Drainageneinlage fortlaufend mehrschichtig verschlossen.

Pathologie

In der makroskopischen Untersuchung zeigte sich ein 7,5 cm langes Dünndarmresektat mit einer divertikelartigen Ausstülpung von 2,2 × 3 cm Grösse. Die Oberfläche und die umgebene Serosa waren eingeblutet und weisslich belegt. Mikroskopisch zeigte sich ein Schleimhautdivertikel mit akuter ulzero-phlegmonöser, teils hämorrhagisch-nekrotisierender Entzündung und fibrinös eitriger Serositis.

Postoperativer Verlauf

Postoperativ war die Patientin kardiopulmonal stabil und ohne abdominelle Beschwerden. Der Kostaufbau wurde gut vertragen, sodass die Patientin am fünften postoperativen Tag mit primärer Wundheilung und fallenden Entzündungsparametern nach Hause entlassen werden konnte.

Fall 2

Ein 81-jähriger Mann stellte sich mit seit einer Woche bestehenden Bauchschmerzen im Notfall vor. Die Schmerzen waren von krampfartigem Charakter im rechten Unterbauch lokalisiert. Des Weiteren bestand Übelkeit mit mehrmaligem Erbrechen, aber kein Fieber. Zusätzlich beklagte er einen Stuhlverhalt von drei Tagen. Aus der medizinischen Vorgeschichte waren eine Hypothyreose, arterielle Hypertonie, ein Sick-Sinus-Syndrom und mehrmalige AV-Reentry-Tachykardien mit Herzschrittmacher-Versorgung bekannt. In der körperlichen Untersuchung zeigte sich das gesamte Abdomen schmerzempfindlich mit heftigem Druckschmerz im rechten Unterbauch und deutlicher Defense.

Diagnostik

Im Labor zeigten sich die Leukozyten auf 13 000/µl Blut mit 83% Neutrophilen erhöht. Pathologisch waren auch das CRP mit 194 mg/l und das Procalcitonin mit 4,5 µg/l (Normwert <0,1 µg/l). In der CT-Untersuchung des Abdomens mit oraler, rektaler und intravenöser Kontrastmittelgabe zeigte sich eine Distension des Magens und der proximalen und mittleren Dünndarmanteile bis etwa 3,5 cm. Der Kalibersprung lag zwischen dem mittleren und distalen Dünndarm. Zusätzlich fand sich eine gedeckte Perforation auf Höhe des proximalen/mittleren Dünndarmdrittels im linken Mittelbauch mit diffuser Alteration des umgebenden mesenterialen Fettgewebes (Abb. 2). Ausserdem war noch eine reizlose Pandivertikulose des Kolons zu sehen.
Abbildung 2:
Transversales Abdomen-CT mit oraler und intravenöser Kontrastmittelgabe von Fall 2: Divertikel im Jejunum (dünne Pfeile) mit extramuraler Luft und Umgebungsreaktion (dicker Pfeil).

Therapie

Es erfolgte die Notfall-Laparotomie über einen Mittellinienschnitt. Beim Öffnen des Abdomens entleerte sich trübe Flüssigkeit aus allen vier Quadranten. Die abziehbaren Fibrinbeläge deuteten auf eine frische Peritonitis <24 Stunden hin. Eine breite Bride zog das proximale Ileum spitzwinklig in den rechten Oberbauch und verursachte einen proximalen Aufstau. Die Bride wurde gelöst und der Dünndarm nach distal ausgestrichen. Das proximale Jejunum war konglomeratartig verklebt und wurde vorsichtig hervorgehoben. Dahinter fand sich reichlich trübe Flüssigkeit. Zu sehen waren nun drei mandarinengrosse, mesenterialseitig gelegene Jejunumdivertikel. Das mittlere Divertikel war geplatzt und entleerte über diese Öffnung reichlich Darminhalt. Nach Resektion des Divertikel-tragenden Dünndarmsegments wurden die gut durchbluteten Darmenden über eine End-zu-End-Anastomose mit einer Handnaht verbunden. Das Abdomen wurde anschliessend ausgiebig gespült und schichtweise verschlossen. Es wurden mehrere Drainagen eingelegt.

Pathologie

Die makroskopische Untersuchung zeigte ein 35 cm langes und im Durchmesser etwa 5 cm messendes Jejunumresektat mit 6 cm Mesenterium und fibrinösen Belägen. Im Resektat lagen mehrere entzündliche Divertikel: Eines davon (mit etwa drei Zentimeter Durchmesser) war massiv entzündet, fibrinös belegt und punktförmig perforiert. Mikroskopisch zeigte sich eine akute ulzero-phlegmonöse und perforierte Divertikulitis mit fibrinös-eitriger, teils kotiger Serositis.

Postoperativer Verlauf

Postoperativ war der Patient kardiopulmonal stabil. Ein mehrtägiges septisches Delir verzögerte den Kostaufbau deutlich. Der betagte Patient wurde schliesslich am 14. postoperativen Tag nach Hause entlassen. Ein begrenzter subkutaner Infekt liess die Wunde sekundär verheilen.

Diskussion

Divertikel des Darms, insbesondere des Kolons, sind in der westlichen Welt sehr weit verbreitet. Jejunumdivertikel wurden erstmals durch den Anatomen Samuel Thomas von Soemmerring in seiner Mainzer Zeit (1794) und wenig später durch Sir Astley Paston Cooper am St. Thomas Hospital in London beschrieben (1809). Die Jejunumdivertikel sind eher selten. Ihre Prävalenz wird mittels CT-Bildgebung auf 0,3–2,3% geschätzt [1–3].
Mit Ausnahme des Meckel-Divertikels sind Dünndarmdivertikel typischerweise Pseudodivertikel, bei denen sich lediglich die Mukosa mit Submukosa ausstülpt. Dies bestätigt sich auch bei unseren Fällen. Der exakte Entstehungsmechanismus ist nicht geklärt, allerdings wird ein erhöhter intraluminaler Druck mit konsekutivem Ausstülpen der Wandschichten vermutet [4]. Die Jejunumdivertikel liegen meist zur Mesenterialseite hin und weniger häufig nach antimesenterial [1]. Auch in unseren beiden Fällen beulten sich die Divertikel in Richtung der Mesenterialwurzel aus (Abb. 3, 4).
Abbildung 3:
Intraoperatives Bild der proximalen Jejunumschlinge von Fall 1: Ein partiell nekrotisches, zum Mesenterium hin gelegenes Divertikel mit punktförmiger Perforation (Pfeil).
Abbildung 4:
Intraoperatives Bild des proximalen Jejunums von Fall 2: Von den drei mesenterialseitigen Divertikeln (dünne Pfeile) ist das mittlere phlegmonös mit Fibrinauflagerungen und Peritonitis (links). Am aufgeschnittenen Jejunumresektat ist der Divertikelhals sondiert (rechts). Der dicke Pfeil zeigt auf die punktförmige Perforation (rechts).
Wie bei den Divertikeln im Kolon steigt die Häufigkeit von Jejunumdivertikeln mit dem Alter an. Symptomatische Divertikel treten typischerweise bei über 50-jährigen Patient/innen auf mit einem Häufigkeitsgipfel im neunten Dezennium [2, 3]. Unsere beiden Fälle bestätigen die grosse Spannbreite des Alters bei Beschwerdebeginn. Bei dem 81-jährigen Mann ist davon auszugehen, dass die Divertikel schon lange vorbestanden und asymptomatisch waren. Bei der 57-jährigen Frau lässt die Anamnese keine Rückschlüsse auf das tatsächliche Alter der Divertikel zu.
Die klinische Präsentation von Jejunumdivertikeln ist breit gefächert. Die Mehrzahl an Patientinnen und Patienten ist asymptomatisch und erfährt nur durch Zufall von der Erkrankung [3]. Bis heute gibt es keine individuellen Prognosekriterien, sodass das asymptomatische Stadium keine Operationsindikation darstellt. Die klinischen Befunde der Divertikelperforation sind die eines unklaren oder akuten Abdomens, was, wie in unserem Fall des betagten Mannes, die Diagnose verzögern kann. Als bestmögliches diagnostisches Verfahren hat sich die CT-Untersuchung mit Kontrastmittel etabliert [1, 2]. Dabei können die Divertikel und die Komplikationen wie freie Luft, Entzündungsreaktion des Peritoneums und freie Flüssigkeit sicher nachgewiesen werden. Andere Pathologien eines akuten Abdomens können damit differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden.
Bei unseren Patienten wurde die Laparotomie einer laparoskopischen Operation aus pragmatischen Gründen vorgezogen, wie es auch in den meisten Fällen der Literatur durchgeführt wurde [1–4]. Allerdings kann die Laparoskopie durch erfahrene Operateure eine minimal-invasive Alternative zur Laparotomie sein. Die notfallmässige Lavage der Bauchhöhle und sparsame Resektion des Divertikel-tragenden Darmsegments entsprechen den Standardregeln der Notfallchirurgie. Die primäre Anastomose kann im proximalen Dünndarm, wie bei unseren Fällen, auch bei Peritonitis praktisch immer konstruiert werden. Dieses schnelle und radikale chirurgische Vorgehen flankiert von systemischer Sepsistherapie ist aufgrund der hohen Letalität von bis zu 30% besonders wichtig [1, 2]. Die Todesfälle lassen sich vor allem auf die verzögerte Diagnosestellung zurückführen. Unsere Patienten konnten trotz Verzögerung erfolgreich und ohne weitere schwere Komplikationen – bis auf die passagere septische Enzephalopathie – behandelt und nach Hause entlassen werden.

Das Wichtigste für die Praxis

Das Jejunumdivertikel ist eine seltene Diagnose und stellt bei Beschwerdefreiheit keine Operationsindikation dar.
Bei akutem oder unklarem Abdomen sollten insbesondere bei älteren Patient/innen Dünndarmdivertikel als Ursache der Beschwerden in Betracht gezogen werden.
Die schnelle Diagnosestellung ist der kritische Schlüssel zum Erfolg. Das CT ist der Sonografie bei weitem überlegen.
Die sofortige Operation, Peritonitis-Behandlung und kontinuitätserhaltende Dünndarmsegmentresektion sind die Voraussetzungen zum Therapieerfolg.
Die Autoren haben deklariert, keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Norbert Runkel
Chefarzt Chirurgie/Leiter Klinik für Chirurgie
Ameos Spital Einsiedeln
Spitalstrasse 28
Postfach 462
CH–8840 Einsiedeln
Norbert.Runkel[at]spital-einsiedeln.ch
1. . Perforated jejunal diverticulitis: a rare but important differential in the acute abdomen. Surg Case Rep. 2020 Jul;6(1):162. http://dx.doi.org/  PubMed  
2. . Perforated Jejunal Diverticulitis. Case Rep Gastroenterol. 2019 Dec;13(3):521–5. http://dx.doi.org/  PubMed  
3. . Complicated jejunal diverticulitis with unusual presentation. Radiol Case Rep. 2017 Nov;13(1):58–64. http://dx.doi.org/  PubMed  
4. . Acute Abdomen in a 91-Year-Old Male due to Perforated Jejunal Diverticulitis. Case Rep Gastroenterol. 2020 Nov;14(3):598–603. http://dx.doi.org/  PubMed