Digitale Notfallmedizin: persönlicher, partizipativer, prädiktiv
Jubiläumsschlaglicht: Notfallmedizin

Digitale Notfallmedizin: persönlicher, partizipativer, prädiktiv

Medizinische Schlaglichter
Ausgabe
2022/1112
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09015
Swiss Med Forum. 2022;22(1112):180-181

Affiliations
a Universitäres Notfallzentrum, Inselspital, Universitätsspital Bern, Universität Bern, Bern; b Telenotfallmedizin, Universität Bern, Bern

Publiziert am 15.03.2022

Auf dem Weg in die digitale Zukunft der Notfallmedizin: Wie beeinflusst die Digitalisierung die Arbeit einer Notfallmedizinerin oder eines Notfallmediziners und die Zusammenarbeit mit den Betroffenen?

Die wichtigste Entwicklung in den letzten 20 Jahren

Notfallärztinnen und -ärzte, die im stillen Kämmerlein (oder im Einsatzfahrzeug) Diagnose und Therapie nachschlagen, sind (zum Glück?) schon lange Geschichte. Idealerweise – wenn es die Zeit erlaubt – findet die Arbeit des Notfallteams heute interdisziplinär und interprofessionell statt. Herrscht aber Zeitdruck, und das ist bei Notfällen ja in der Regel so, müssen mit manchmal unvollständigem Wissen (überlebens-)wichtige Entscheidungen getroffen werden. Aus diesem Grund hat die Notfallmedizin eine der höchsten Diagnosefehlerraten aller Disziplinen [1]. Hier spielen digitale Entscheidungshilfen eine zunehmend wichtigere Rolle – allerdings oft leider basierend auf unvollständiger Evidenz. Eine Vielzahl von Daten werden von den Menschen mittels immer kleiner werdender Messinstrumente erhoben; so tragen sie oft so genannte Wearables wie Fitnesstracker oder Smartwatches am Handgelenk. Ausserdem können aus diagnostischen Gründen Wearables in Form von Armbändern, dünnen Folien oder Pflastern am Körper angebracht werden. All diese so gesammelten Daten fliessen in Entscheidungen des medizinischen Fachpersonals ein.
Datensicherheit und von maschinellem Lernen unterstützte Datenverarbeitung sind dabei wichtige Themen, mit denen sich Patientinnen und Patienten sowie medizinische Fachleute auseinandersetzen müssen. Hierfür benötigt es umfassende digitale Kompetenzen und entsprechendes Wissen [2].

Vorteile der digitalen Notfallmedizin

Gelegentlich besteht die Sorge, dass diese digitalen Tools zwischen uns Ärztinnen und Ärzten sowie den Menschen, denen wir helfen wollen, stehen könnten. Ohne Zweifel: Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird sich dadurch verändern. Aber wie sieht die Zukunft der ­digitalen Notfallmedizin konkret aus? Die digitale ­Notfallmedizin wird …
persönlicher: Durch die Wearables, die im Alltag oft ständige Begleiter sind und teilweise rund um die Uhr am Körper getragen werden, kann die ­Notfallmedizin persönlicher werden. Diese ständige digitale Nähe bringt eine grosse Verantwortung im Hinblick auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte mit sich. Sie erlaubt aber auch ein individuelles Eingehen auf die jeweilige Person.
partizipativ: Durch die digitale Notfallmedizin ­haben wir eine einmalige Chance, die Betroffenen mit einzubeziehen und sie für die eigene Gesundheit mitverantwortlich zu machen. Entscheidungen und persönliche individuelle Gesundheitsziele könnten gemeinsam in einem «Shared Decision Making» verabredet werden.
prädiktiv: Diese individuelle Medizin zusammen mit maschinellem Lernen und mit der Hilfe von durch Künstliche Intelligenz (KI) unterstützter Verarbeitung der gewonnenen Daten kann die Notfallmedizin aus dem Spital zur betroffenen Person bringen. Es wird zunehmen möglich, Probleme frühzeitig zu erkennen und diese zusammen, also gemeinsam mit dem Betroffenen, anzugehen.

«Digital Students»

Die notwendigen digitalen Kompetenzen hierzu erlernen die jungen Medizinstudierenden mittlerweile immer öfter schon während ihrer Ausbildung [2]. Zum Beispiel lernen sie an der Universität Bern im curricular implementierten Modul «Digitale Notfallmedizin» über das ganze Studium verteilt die kritische Auseinandersetzung mit den digitalen Möglichkeiten der Akutmedizin. Auch die COVID-19-Pandemie hat sicher einen Beitrag dazu geleistet, die Aus- und Weiterbildung ins nächste Jahrzehnt mitzunehmen und neue Bildungsformate wie «Virtual Reality» und digitale Konferenztools im Alltag zu verankern [3, 4].

Digitalisierung bleibt grosse ­Herausforderung

Obwohl in aller Mund, ist die KI noch nicht in der der Notfallmedizin angekommen [5]. Im Gegensatz zu ­Fächern, die mit strukturierten Daten arbeiten wie die Radiologie, ist in der Notfallmedizin mit ihren immanent unvollständigen und teils widersprüchlichen ­Daten der Einsatz von maschinellem Lernen noch ­Zukunftsmusik. Diese Nutzung von KI in Zusammenspiel mit der grossen Anzahl der Daten wird aber die Zukunft der nächsten zehn Jahre auch in der digitalen Notfallmedizin prägen.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med. ­Thomas C. ­Sauter
Universitäres
Notfallzentrum
Inselspital
Universitätsspital Bern
Freiburgstrasse 11
CH-3010 Bern
thomas.sauter[at]insel.ch
1 Hautz WE, Kämmer JE, Hautz SC, Sauter TC, Zwaan L, Exadaktylos AK, et al. Diagnostic error increases mortality and length of hospital stay in patients presenting through the emergency room. Scand J Trauma Resusc Emerg Med. 2019;27,54. doi: 10.1186/s13049-019-0629-z.
2 Hautz SC, Hoffmann M, Exadaktylos AK, Hautz WE, Sauter TC. Digital competencies in medical education in Switzerland: an overview of the current situation. GMS J Med Educ. 2020;37(6):Doc62. doi: 10.3205/zma001355.
3 Birrenbach T, Zbinden J, Papagiannakis G, Exadaktylos AK, Müller M, Hautz WE, Sauter TC. Effectiveness and utility of virtual reality simulation as an educational tool for safe performance of COVID-19 diagnostics: prospective, randomized pilot trial. JMIR Serious Games. 2021 Oct; 8;9(4):e29586.
4 Smith R, Sounderajah V, Darzi A. Have international in-person medical meetings had their day? BMJ. 2021 Nov 10;375:n2345. doi: 10.1136/bmj.n2345 .
5 Panch T, Mattie H, Celi LA. The “inconvenient truth” about AI in healthcare. Npj Digit Med. 2019 Dec;2,1. doi: 10.1038/s41746-019-0155-4.