Wenn ein Lipom zur Notfallsituation führt
Dünndarmileus

Wenn ein Lipom zur Notfallsituation führt

Der besondere Fall
Ausgabe
2022/41
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09043
Swiss Med Forum. 2022;22(41):681-683

Affiliations
Klinik für Chirurgie, Spital Simmental-Thun-Saanenland (STS) AG, Spital Thun, Thun

Publiziert am 12.10.2022

Ein 77-jähriger Patient stellte sich auf der Notfallstation mit seit fünf Tagen zunehmenden diffusen Unterbauchschmerzen und persistierender Diarrhoe ohne Blutbeimengung vor.

Hintergrund

Der mechanische Ileus ist ein nicht seltenes Krankheitsbild im chirurgischen Alltag und ist Vorstellungsgrund bei 2–4% der Patientinnen und Patienten auf der Notfallstation [1]. Davon benötigen circa 20% eine operative Therapie [2]. Während beim Dickdarmileus dringend nach einem malignen Prozess zu suchen ist, wird der Dünndarmileus am häufigsten durch Adhäsionen verursacht [3]. Zu den anderen Ursachen eines Ileus bei Erwachsenen gehören Gallensteine sowie ein Volvulus und eine Invagination.

Fallbericht

Anamnese

Ein 77-jähriger Patient stellte sich auf der Notfallstation mit seit fünf Tagen zunehmenden diffusen Unterbauchschmerzen und persistierender Diarrhoe ohne Blutbeimengung vor. Zudem berichtete der Patient über eine anhaltende Nausea mit zweimaligem Erbrechen am Vortag. Fieber, Schüttelfrost oder Miktionsbeschwerden wurden verneint. In der Vorgeschichte gab es eine laparoskopische Appendektomie drei Jahren zuvor sowie 1969 eine Semicastratio links mit Resektion einer solitären Lungenmetastase bei unklarem Hodentumor. Diesbezüglich ist der Patient seit Jahren in Remission. Ausserdem ist eine Hyperthyreose bekannt, die medikamentös behandelt wird.

Status

Inspektorisch waren die Narbenverhältnisse bei Status nach Appendektomie reizlos. Die Darmgeräusche waren lebhaft und nicht hochgestellt. In der klinischen Untersuchung zeigte sich ein geblähtes Abdomen mit diffuser Druckdolenz mit Punctum maximum im linken Unterbauch, jedoch ohne Peritonismus. Umbilikal liess sich eine kleine reponible Umbilikalhernie palpieren.

Weitere Diagnostik

Laborchemisch zeigte sich eine leichte normochrome, normozytäre Anämie. Die Entzündungswerte sowie die abdominellen Parameter waren normwertig. Zudem fand sich ein erniedrigter TSH-(Thyreoidea-stimulierendes Hormon-)Wert bei bereits bekannter medikamentös therapierter Hyperthyreose. In einer orientierenden sonographischen Untersuchung zeigten sich dilatierte Dünndarmschlingen sowie der Verdacht einer Invagination im rechten Unterbauch. In der daraufhin durchgeführten Computertomographie (CT) des Abdomens (Abb. 1) liess sich die Verdachtsdiagnose eines mechanischen Ileus auf Basis einer enteroenterischen Invagination im Bereich der Ileozökalklappe bestätigen. Als strukturelle Ursache (sogenannter «Leading Point») der Invagination wurde der Verdacht auf ein Lipom im Mesenterium beziehungsweise intramural beschrieben.
Abbildung 1: Computertomographie Abdomen (sagittale Ebene). Der Pfeil zeigt die Invaginationsstellte.

Therapie und Verlauf

Trotz relativ milder Befunde in der klinischen Untersuchung bestand aufgrund der bildgebenden Diagnostik die Indikation zur diagnostischen Laparoskopie. Dabei zeigte sich neben einzelnen Adhäsionen im rechten Unterbauch das typische Bild einer Invagination im Bereiche des terminalen Ileums, die über eine Strecke von 30 cm bis an die Ileozökalklappe heranreichte. Daneben fanden sich ausser einer minimalen Menge freier Flüssigkeit im Bauchraum keine pathologischen Befunde. Die Invagination konnte laparoskopisch nicht reponiert werden. Aufgrund dessen erfolgte die Konversion auf eine limitierte mediane Laparotomie. Unter sanftem anhaltendem Zug liess sich nun die Invagination problemlos reponieren (Abb. 2).
Abbildung 2: Invaginationsstelle nach erfolgter Laparotomie.
Insgesamt waren circa 60 cm Ileum betroffen. Dieser Darmabschnitt erholte sich nach Reposition gut und zeigte sich vital. Als «Leading Point» liess sich eine etwa 2 cm grosse kugelige Struktur endoluminal palpieren (Abb. 3).
Abbildung 3: Darstellung des Lipoms nach Enterotomie.
Die vollständige Dünndarmrevision zeigte keine weitere Pathologie. Im Dünndarmmesenterium im Bereich des betroffenen Abschnittes waren keine vergrösserten oder auffällig konfigurierten Lymphknoten zu erkennen. In Unkenntnis der histologischen Diagnose entschieden wir uns zur Durchführung einer Dünndarmsegmentresektion im Bereich der kugeligen Struktur mit 10 cm Sicherheitsabstand nach oral und aboral. Die Wiederherstellung der Darmkontinuität erfolgte als anisoperistaltische Seit-zu-Seit-Ileoileostomie mittels Linearstapler.
Der postoperative Verlauf war bis auf eine vorübergehende Passagestörung unauffällig. Die histologische Untersuchung des kugeligen Gebildes ergab ein submuköses Lipom mit segmentaler Einblutung.
Der Patient konnte am elften postoperativen Tag nach Hause entlassen werden. In der chirurgischen Verlaufskontrolle eine Woche nach Entlassung zeigte sich ein unauffälliger Heilungsverlauf.

Diskussion

Der Dünndarmileus ist ein Krankheitsbild, das für 15% der notfallmässigen Hospitalisationen sowie für 20% der Notfalloperationen bei vorliegenden abdominellen Schmerzen als Hauptsymptom [1] verantwortlich ist. In 90% der Fälle sind Briden oder Adhäsionen, gefolgt von Neoplasien und Hernien für die Beschwerden ursächlich [3].
Dünndarmneoplasien sind seltene Entitäten und stellen 3% aller gastrointestinalen Neoplasien dar [4]. Aufgrund der unspezifischen Symptomatik wird die Diagnose häufig verzögert gestellt. Das Verhältnis von malignen zu benignen Ursachen liegt hier bei 2:1. Dabei scheint die Lokalisation entlang des Dünndarmes einen Einfluss auf die histologische Entität der Tumoren zu haben. Im Duodenum finden sich am häufigsten Adenokarzinome und im Ileum neuroendokrine Tumoren [5, 6]. Die häufigsten benignen Dünndarmneoplasien sind Adenome. An zweiter Stelle liegen Lipome. Diese sind submukös gelegen und am häufigsten im Duodenum und Ileum lokalisiert. Seltene Neoplasien sind Hamartome, Leiomyome und Fibrome [7].
Zu den seltenen Ursachen des Ileus gehören Stenosen aufgrund eines Morbus Crohn (3–7% [3]), ein Volvulus (4–15% [8]), Gallensteine (0,5% [9]) sowie eine Invagination (1–5% [10]).
Die Invagination ist definiert als Einstülpung eines Darmsegments in einen nachfolgenden Darmabschnitt. Sie ist die häufigste Ursache für einen Dünndarmileus bei Kindern im Alter zwischen 6 und 36 Monaten [11]. Nur 5% aller Invaginationen betreffen Erwachsene [10]. Es gilt zwischen einer primären und einer sekundären Invagination zu unterscheiden. Bei ersterer (90% der Fälle bei Kindern, 8–20% der Fälle bei Erwachsenen) zeigt sich keine strukturelle Ursache beziehungsweise kein «Leading Point». Bei der sekundären Invagination, die beim Erwachsenen deutlich häufiger vorkommt als bei Kindern [12], besteht ein Hypomochlion im Sinne einer strukturellen Veränderung des Dünndarms. Hierfür kommen beispielsweise ein Meckel-Divertikel, ein benigner oder maligner Tumor, ein entzündlich verändertes Segment im Rahmen einer chronischen Darmerkrankung oder das Vorhandensein einer Ernährungsjejunostomie infrage.
Die Lokalisation der Invagination spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Es ist wichtig, zwischen enteroenterischer, kolokolischer, ileokolischer, kolorektaler und rektorektaler Invagination zu unterscheiden. Bei der kolokolischen Invagination ist in bis zu 60% der Fälle eine bösartige Neoplasie die Ursache. Bei den enteroenterischen Invaginationen liegt das Risiko einer malignen Neoplasie dagegen nur bei 25% [13].
Ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Invagination besteht bei AIDS-Erkrankten aufgrund der erhöhten Inzidenz von strukturellen Veränderungen des Darms bei bestehendem Kaposi-Sarkom, lymphoider Hyperplasie und Non-Hodgkin-Lymphom [14].
Das klinische Bild einer Invagination bei Erwachsenen ist unspezifisch. In der Regel präsentieren sich die Betroffenen mit diffusen abdominellen Schmerzen, begleitet von Symptomen einer Dünndarmobstruktion mit Nausea und Emesis.
Die Bildgebung der Wahl ist die CT. Dabei lassen sich dilatierte Darmschlingen sowie typischerweise ein «Target Sign» mit einer zweilumigen Struktur nachweisen [15]. Der Vorteil der CT gegenüber der Sonographie liegt darin, dass zusätzlich die Lokalisation der Invagination sowie potentiell maligne Ursachen besser beurteilt werden können.
Therapeutisch kann bei kleinen, im Kolon lokalisierten Tumoren eine endoskopische Entfaltung der Invagination versucht werden. Die alleinige endoskopische Reposition ist jedoch nur bei der primären Form indiziert und daher vor allem bei Kindern als Therapie der Wahl anzusehen. Bei Vorliegen einer sekundären Invagination ist nach allfälliger Reposition aufgrund des Risikos eines malignen Prozesses die Indikation zur Resektion gegeben. Dabei ist auf ein Vorgehen nach onkologischen Kriterien zu achten. Die Reposition des Darmes vor Tumorexstirpation mit dem Ziel, das Resektionsausmass zu reduzieren, wird aufgrund der Möglichkeit einer Tumoraussaat vor allem bei der kolokolischen Invaginationen kontrovers diskutiert.

Das Wichtigste für die Praxis

Der mechanische Ileus ist ein häufiges Krankheitsbild. Davon benötigen 20% der Betroffenen eine operative Therapie.
Die Invagination ist verantwortlich für 5% der Ileussymptomatik-Fälle beim Erwachsenen. Es gilt zwischen primärer Invagination und sekundärer Invagination mit Vorhandensein einer strukturellen Ursache zu unterscheiden.
Bei primären Invaginationen ist häufig eine endoskopische Reposition ausreichend.
Bei den sekundären Invaginationen liegt eine strukturelle Veränderung des Darms vor. Je nach Lokalisation ist die Wahrscheinlichkeit einer maligen Entität hoch (im Kolon bis zu 60%). Dabei ist eine Resektion, je nach Befund und Lokalisation, gemäss onkologischen Kriterien empfohlen.
Dünndarmneoplasien sind seltene Tumoren. Die unspezifische Klinik führt häufig zur Verzögerung der Diagnosestellung. Bei zwei Dritteln der Fälle liegt ein maligner Tumor vor. Davon sind Adenokarzinome (meistens im Duodenum) und neuroendokrine Tumoren (vorwiegend im Ileum) am häufigsten zu finden. Lipome gehören nach Adenomen zu den zweithäufigsten benignen Raumforderungen des Dünndarms.
Dr. med. Guillaume Aeby
Klinik für Chirurgie, Spital Simmental-Thun-Saanenland AG, Thun
Dr. med. André Wyss, Chefarzt der Klinik für Radiologie, Spital STS AG, für die zur Verfügungstellung der radiologischen Bilder. Dr. med. Martin Schmid, Klinik für Anästhesie, Spital STS AG, für die intraoperativen Bilder
Ein schriftlicher Informed Consent zur Publikation liegt vor.
Dr. med. Guillaume Aeby
Klinik für Chirurgie
Spital Männedorf
Asylstrasse 10
CH-8708 Männedorf
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