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Viele Krankheiten, die in den initialen Stadien keine, wenige oder nur gering ausgeprägte Symptome zeigen, sind leider in ihrem Verlauf umso heimtückischer und daher schwierig zu behandeln. Ein Überblick über die diabetische Retinopathie und aktuell empfohlene Vorsorge- und Behandlungs-Guidelines.
Einführung
Bei der diabetischen Retinopathie (DRP) entstehen in Abhängigkeit von der glykämischen Kontrolle des Diabetes mellitus weitreichende mikroangiopathische Schäden am retinalen Gefässsystem. Im Initialstadium klagt die Patientin oder der Patient oft nicht über Symptome, auch wenn in der Augenhintergrundspiegelung bereits eindeutige Zeichen der diabetischen Retinopathie erkennbar sind. Diese Diskrepanz zwischen subjektiver Symptomfreiheit und objektiv teils bereits fortgeschrittenen Befunden unterstreicht die Wichtigkeit einer Aufklärung der Betroffenen über die Erkrankung und deren Verlauf. In weit fortgeschrittenen Stadien stehen dagegen schwerwiegende Schäden im Vordergrund, die bis zur Erblindung führen können.
Die Therapie besteht in der optimierten Blutzucker- und Blutdruckeinstellung [1–3], was wiederum eine enge Zusammenarbeit zwischen Fachärztinnen und -ärzten für Ophthalmologie, Allgemeinmedizin und Diabetologie voraussetzt – gemeinsam mit der oder dem Betroffenen. Das ist, neben der generellen Prävention, der Grundbaustein für ein gutes Management dieser Erkrankung. In fortgeschrittenen Fällen mit Komplikationen, wie dem diabetischen Makulaödem oder Neovaskularisationen, muss auch eine invasive respektive interventionelle Therapie mit einem intravitrealen antivaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (Anti-VEGF) oder eine Photolaserkoagulation der ischämischen Netzhautareale durchgeführt werden, um eine weiter fortschreitende Visusreduktion zu vermeiden oder zumindest zu bremsen.
Epidemiologie
Die DRP ist eine der führenden Ursachen für eine Sehverschlechterung. Von schätzungsweise 285 Millionen Menschen, die an Diabetes mellitus leiden [2], weist etwa ein Drittel Zeichen der diabetischen Retinopathie auf und wiederum ein Drittel davon befindet sich in einem die Sehkraft bedrohenden Stadium [4, 5]. Aufgrund der zunehmenden Prävalenz von Diabetes und der ebenfalls zunehmenden Lebenserwartung ist davon auszugehen, dass immer mehr Menschen an einer DRP erkranken werden. Obwohl die DRP vor allem bei langjährig erkrankten Personen mit Diabetes mellitus häufig ist [6, 7], finden sich bereits bei neudiagnostizierten Patientinnen und Patienten Prävalenzraten von 3–30% [4]. Dies ist dadurch erklärbar, dass bei Betroffenen mit Typ-2-Diabetes, die etwa 90–95% aller an Diabetes Erkrankten ausmachen [8], die Diagnose mitunter verzögert gestellt wird.
Pathophysiologie
Beim Diabetes mellitus kommt es aufgrund der Schädigung der kleinen Blutgefässe (Mikroangiopathie) unter anderem zur Schädigung der Retina. Dies kann über verschiedenste Mechanismen stattfinden. Beispielsweise sind der Proteinkinase-C-, der Hexosamin- und der Polyol-Pfad sowie «advanced glycation end products» (AGE) beteiligt [9]. Bei anhaltender Hyperglykämie kommt es zur Dilatation und dadurch zu Strömungsveränderungen in den retinalen Gefässen [10]. Durch Apoptose von Perizyten der Gefässe entstehen charakteristische Mikroaneurysmen [11]. Weiters wird durch Schaden am Kapillarendothel die Blut-Retina-Schranke beeinträchtigt, was zur «Leckage» der Gefässe führen kann mit der Folge eines Austritts von Blutplasma und anderer Blutbestandteile zwischen die einzelnen Netzhautschichten. Es kommt zu Okklusionen und nachfolgend zu einer lokalen Ischämie [12]. Auch eine entzündliche Komponente scheint eine Rolle in der Pathogenese zu spielen [13]. Eine Leukostase kann zum Untergang von Endothelzellen führen und damit zum Gefässschaden beitragen [14, 15].
Klinisch muss man zwischen der nicht proliferativen und der proliferativen DRP unterscheiden [16].
Nicht proliferative diabetische Retinopathie
Bei der nicht proliferativen Form der DRP, abgekürzt NPDRP, kommt es aufgrund der Gefässschäden zu fundoskopisch sichtbaren Mikroaneurysmen, dilatierten Venen, intraretinalen Blutungen und durch Ischämie zu Ödemen in der Nervenfaserschicht (Abb. 1). Bei fortschreitender Erkrankung kann es auch zu ausgeprägteren Ödemen kommen, was zu einer Verdickung der gesamten Netzhaut führt. Lipidbestandteile des Ödems verbleiben auch nach Resorption zwischen den Netzhautschichten und zeigen sich in der Opthalmoskopie als sogenannte «harte Exsudate» [17]. Kommt es zur Bildung von zystischen, also mit Flüssigkeit gefüllten Hohlräumen zwischen den einzelnen Netzhautschichten im Bereich der Makula, spricht man vom diabetischen Makulaödem, das, wenn es zentral im Bereich der Fovea (dem Punkt des schärfsten Sehens) liegt, die Sehkraft deutlich einschränken kann [18].
Proliferative diabetische Retinopathie
Die proliferative DRP (PDRP) ist die fortgeschrittene Form, bei der es bereits zur Neubildung von Blutgefässen gekommen ist. Eine präretinale Blutung respektive Glaskörperblutung ist ein indirektes Merkmal für eine Neovaskularisation und somit ebenfalls Kennzeichen einer PDRP. Die Neovaskularisationen entstehen aufgrund der Ausschüttung von «vascular endothelial growth factor» (VEGF). Dieser Botenstoff wird von ischämischen Netzhautarealen produziert, die aufgrund der fortgeschrittenen mikroangiopathischen Schäden mit Sauerstoff unterversorgt sind und somit ihren Mehrbedarf an Sauerstoff signalisieren. Im Rahmen einer PDRP kann es auch zur Ausbildung von fibrovaskulären Proliferationen kommen, die zu einer traktiven Netzhautablösung führen können. Ist die zentrale Netzhaut davon betroffen, hat dies verheerende Auswirkungen auf die Sehkraft. Diese ist dann meist auf Lichtperzeption und grobe Bewegungen reduziert [19].
Diagnostik
Die Diagnose einer DRP wird mittels Fundoskopie gestellt. Dabei wird das Ausmass der diabetischen Fundusveränderungen quantifiziert, wodurch die Retinopathie in verschiedene Stadien eingeteilt respektive mittels Charakterisierung der Gefässneubildung benannt werden kann.
Die NPDRP kann in drei Stadien eingeteilt werden: leicht, moderat und schwer. Teils spricht man auch von fünf Stadien (zusätzlich «sehr leicht» und «sehr schwer») [16]. Dies ist insofern hilfreich, da je höher oder schwerwiegender das Stadium, desto wahrscheinlicher ist der Übergang in eine proliferative Form und umso kürzer müssen die Kontrollintervalle gewählt werden (Tab. 1). Allenfalls müssen zusätzliche Untersuchungen wie eine Fluoreszenzangiographie durchgeführt werden [20].
Tabelle 1: Stadieneinteilung und empfohlene Kontrollintervalle (nach [20]) | |||
Form | Schweregrad | Klinischer Befund | Empfohlenes Kontrollintervall |
Keine diabetische Retinopathie | – | keine Anhaltspunkte für eine diabetische Retinopathie | 12 Monate |
NPDRP | leicht moderat schwer | nur Mikroaneurysmen mehr als Mikroaneurysmen, aber weniger als bei der schweren NPDRP einer der folgenden Befunde (4-2-1-Regel): mehr als 20 intraretinale Blutungen in allen 4 Quadranten Perlschnurnerven in 2 oder mehr Quadranten prominente IRMA in 1 oder mehr Quadranten | 6–12 Monate nach ≈ 6 Monaten innerhalb von 4 Monaten |
PDRP | – | mindestens einer der folgenden Befunde: Neoer- oder vaskularisationen Glaskörppräretinale Blutungen | höchstens 2 Monate; je nach Ausmass sehr kurzfristige Behandlung indiziert |
IRMA: intraretinale mikrovaskuläre Anomalien; NPDRP: nicht proliferative diabetische Retinopathie; PDRP: proliferative diabetische Retinopathie. |
Bei der PDRP liegt aufgrund schwerwiegender Ischämien bereits eine Gefässneubildung vor. Die Gefässe lassen sich in der Regel fundoskopisch darstellen. Man kann dabei den Ursprungsort der Gefässe beschreiben (Neovaskularisation der «disc» [NVD] oder Papille und Neovaskularisationen «elsewhere» [NVE], die mindestens einen Papillendurchmesser von der Papille entfernt sind). In sehr fortgeschrittenen Fällen kann man auch Gefässneubildungen in der Iris beobachten (Neovaskularisationen in der Iris [NVI]), die meist zuerst am Pupillarsaum oder an der Irisbasis auftreten. Da diese neugebildeten Gefässe sehr unreif und fragil sind und meist in den Glaskörper wachsen, bluten sie oft spontan, was wiederum zu einer präretinalen Blutung oder einer Blutung in den Glaskörperraum, einer sogenannten Glaskörperblutung, führen kann [19]. Dies geht mit einer plötzlichen Sehverschlechterung bis zu einem Visus mit dem Erkennen von lediglich einer Handbewegung oder schlechter einher und stellt für die Betroffenen meist ein sehr belastendes Ereignis dar.
Bei einer schweren NPDRP oder Verdacht auf Neovaskularisationen, die fundoskopisch jedoch nicht darstellbar sind, sollte eine Fluoreszenzangiographie durchgeführt werden. Bei dieser Untersuchung wird Fluorescein, ein fluoreszierender Farbstoff, intravenös in die Zirkulation gespritzt und ab dem Injektionszeitpunkt Fundusphotographien mit einem speziellen Filter angefertigt, wodurch man den zeitlichen Verlauf der retinalen Zirkulation sowie den Zustand der Gefässe beurteilen kann. Anhand der mikroangiopathischen Schäden kann man dabei typische Gefässveränderungen (Mikroaneurysmen und intraretinale mikrovaskuläre Anomalien [IRMA]) gut erkennen und quantifizieren. Ebenfalls lassen sich nicht regelrecht perfundierte Netzhautareale darstellen [21]. Auch stellen sich dabei diejenigen Neovaskularisationen sehr gut dar, die aufgrund des unreifen Endothels eine ausgeprägte Leckage aufweisen (Abb. 2). Nebenwirkungen auf das verabreichte Fluorescein treten selten auf. Meistens handelt es sich dabei um unspezifische Symptome wie Übelkeit und Unwohlsein. Schwerere Nebenwirkungen treten bei etwa einem von 200.000 Fällen auf [22]; trotzdem sollte eine Fluoreszenzangiographie nicht ausgeschlossen werden. Das diabetische Makulaödem kann fundoskopisch diagnostiziert werden, die Diagnose wird jedoch seit der Einführung der optischen Kohärenztomographie (OCT) in der Regel mit diesem Verfahren gestellt. Die OCT ist eine nicht invasive Methode zur hochauflösenden Darstellung retinaler Gewebeschichten. Damit lassen sich intra- oder subretinale Flüssigkeitsansammlungen als Zeichen eines diabetischen Makulaödems sehr gut darstellen und quantifizieren (Abb. 3), was auch in der Therapiesteuerung Verwendung findet [23]. In den letzten Jahren wurde die optische Kohärenztomographie-Angiographie (OCTA) entwickelt, die es erlaubt, retinale Gefässe ohne Zuhilfenahme von Kontrastmittel darzustellen (Abb. 4). Da mit diesem Verfahren aber nur der Blutfluss in den Gefässen dargestellt wird und keine Gefässleckage erkennbar ist, ist sie zum Nachweis von Neovaskularisationen (noch) nicht geeignet [24].
Screening- und Kontrolluntersuchungen
In den frühen Stadien der NPDRP weisen die Patientinnen und Patienten oft keine Symptome auf. Regelmässige Screening-Untersuchungen sind daher umso wichtiger. Es muss ihnen erklärt werden, dass sie bereits an der Krankheit leiden können, auch wenn sie im Moment keinen Visusabfall haben und dass sie die Kontrollen unbedingt einhalten müssen. Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes reicht es, die erste Kontrolluntersuchung des Augenhintergrunds fünf Jahre nach Diagnose des Diabetes zu planen [6, 25]. Bei Typ-2-Diabetes sollte die erste Augenuntersuchung umgehend nach der Diabetes-Diagnosestellung in die Wege geleitet werden, da es möglich ist, dass die Diabeteserkrankung unerkannt schon länger besteht. Danach erfolgen bei allen Diabetes-Typen in der Regel jährliche Kontrollen. Je nach den Befunden in der ophthalmologischen Nachuntersuchung müssen auch kürzere Kontrollintervalle eingeplant werden [26, 27].
Beim Schwangerschaftsdiabetes muss keine Kontrolle bezüglich der Retinopathie während der Schwangerschaft erfolgen, jedoch ist eine Kontrolluntersuchung postpartal ratsam [28]. Bei Diabetikerinnen mit Schwangerschaftswunsch oder neuer Schwangerschaft sollte eine Kontrolle vor Eintreten der Schwangerschaft respektive im ersten Trimester erfolgen, da allein durch die physiologischen Veränderungen während der Gravidität eine Verschlechterung einer etwaigen bereits bestehenden diabetischen Retinopathie erfolgen kann [29]. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Screening-Empfehlungen bei Diabetes mellitus.
Tabelle 2: Ophthalmologische Screening-Empfehlungen bei Diabetes mellitus (nach [20]) | ||
Diabetes-Typ | Empfohlener Zeitpunkt für die erste Untersuchung | Übliches Kontrollintervall |
Typ-1-Diabetes | 5 Jahre nach Erstdiagnose | jährlich |
Typ-2-Diabetes | sofort nach Erstdiagnose | jährlich |
Typ-1-/Typ-2-Diabetes bei Schwangeren | möglichst früh im 1. Trimester | keine Retinopathie oder milde/moderate NPDRP: alle 3–12 Monate schwere NPDRP oder PDRP: alle 1–3 Monate |
Gestationsdiabetes | keine Kontrolluntersuchung während der Schwangerschaft notwendig | Kontrolluntersuchung postpartal |
NPDRP: nicht proliferative diabetische Retinopathie; PDRP: proliferative diabetische Retinopathie. |
Therapie
In den frühen Stadien der NPDRP besteht die beste Therapie in der optimierten Blutzucker- und Blutdruckeinstellung [30–32]. Der HbA1c-Wert sollte so niedrig wie möglich eingestellt werden, ohne jedoch die Gesundheit anderweitig zu gefährden [31]. Die Einstellung des Blutdruckes ist wichtig, da ein Bluthochdruck (genauer: ein dauerhaft erhöhter systolischer Wert) zu einer Progression der DRP führen kann [33]. Eine Optimierung der Blutfettwerte ist ebenfalls wichtig und bedarf einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit [34]. Eine gute Kommunikation zwischen den behandelnden Parteien ist essenziell; dabei sollten auch Lifestyle-Veränderungen mit der Patientin oder dem Patienten besprochen werden. Infolge einer optimierten Blutzuckereinstellung ist in den frühen Stadien auch eine Verbesserung der fundoskopisch erhobenen Befunde möglich. In dem Fall sollten die ophthalmologischen Kontrollen trotzdem weiterhin jährlich erfolgen.
In den fortgeschrittenen und komplikationsreicheren Stadien der schweren NPDRP und der PDRP sind bereits grössere Teile der Retina ischämisch und sezernieren VEGF. Dies führt zu vermehrten retinalen Ödemen, klassischerweise in der Makula, oder zu Gefässneubildungen an der Papille oder in der mittleren Netzhautperipherie. Bei der PDRP erfolgt therapeutisch eine gezielte Zerstörung der ischämischen Netzhautareale mittels Laser (in der Regel einem frequenzverdoppelten Festkörperlaser mit einer Wellenlänge von 532 nm), die sogenannte panretinale Photolaserkoagulation. Dadurch lässt sich die Menge an freigesetztem VEGF signifikant reduzieren, und auch bereits vorhandene Neovaskularisationen können sich zurückbilden. Damit kann die Inzidenz für eine starke Visusminderung durch eine Glaskörperblutung oder eine traktive Netzhautablösung signifikant reduziert werden [35]. Dieses Verfahren wird seit 1949 eingesetzt [36]. Als Komplikation dieser Behandlung kann eine Einschränkung des peripheren Gesichtsfelds auftreten.
Beim diabetischen Makulaödem kann eine fokale Laserbehandlung von Mikroaneurysmen erfolgen, um das Ödem zu reduzieren und den Visus zu stabilisieren. Damit wird das Risiko eines moderaten Visusabfalls um etwa 50% reduziert [37]. Aufgrund der anatomischen Nähe zur Fovea geht diese Behandlung jedoch mit einigen Risiken einher. Bei Laserapplikation zu nahe an der Fovea oder in deren Zentrum können störende Zentralskotome resultieren. In den letzten zehn Jahren hat sich die Therapie mit der Verfügbarkeit von Anti-VEGF-Medikamenten grundlegend verändert und ist heute die Therapie der Wahl bei diabetischem Makulaödem. Die Anti-VEGF-Therapie führt in der Regel zu einer Verbesserung des Visus [38, 39]. Eine Studie (RIDE) ergab, dass sich nach 24 Monaten der Baseline-«letter»-Visus um ≥15 verbessert hatte, und zwar bei 46% der mit Ranibizumab behandelten Probandinnen und Probanden gegenüber 12% der mit Placebo behandelten Betroffenen [16].
Bei den Anti-VEGF-Substanzen handelt es sich um Moleküle, die den freigesetzten VEGF binden und damit funktionslos machen. In der Schweiz werden hierfür vor allem Aflibercept (EYLA®) und Ranibizumab (Lucentis®) verwendet, die für die intravitreale Injektion zugelassen sind. Beide stehen auch auf der Spezialitätenliste. Für die bilaterale Behandlung des diabetischen Makulaödems benötigt man eine Kostengutsprache. Das Krebsmedikament Bevacizumab (Avastin®) ist nicht für die intravitreale Anwendung bei Makuladegeneration zugelassen und kann nur «off-label» verwendet werden. Alle Anti-VEGF-Medikamente müssen also direkt in das Auge injiziert werden. Die Behandlung muss in regelmässigen Abständen wiederholt werden, oft über viele Jahre. Eine schwerwiegende, jedoch seltene Komplikation (Inzidenzrate 0,05%) dieser Behandlung stellt die Endophthalmie, eine bakterielle Infektion des Glaskörpers, dar. Die Injektion sollte daher in einem möglichst sterilen Umfeld durchgeführt werden [40]. Bei fehlendem Ansprechen auf Anti-VEGF-Medikamente oder auch als Ersttherapie kann ein intravitreales Steroid verabreicht werden. In der Schweiz steht hierzu OZURDEX® (Dexamethason) zur Verfügung. Dieses ist für die intravitreale Injektion bei diabetischem Makulaödem in der Spezialitätenliste aufgeführt. Mit der MOZART-Studie wurde eine signifikante Verminderung der zentralen Netzhautdicke und eine Verbesserung des Visus um ≥15% in 27% der über sechs Monate mit OZURDEX® behandelten Patientinnen und Patienten belegt [41]. Intravitreale Steroide weisen ein erhöhtes okuläres Nebenwirkungsprofil auf (steroidinduzierte Glaukome und Katarakt) im Vergleich zu anderen Applikationswegen. Wegen der bestehenden Möglichkeit einer steroidinduzierten Steigerung des Augeninnendrucks müssen regelmässige Druckkontrollen durchgeführt werden; falls nötig, muss der Augeninnendruck medikamentös oder in einzelnen Fällen chirurgisch gesenkt werden [42].
Kommt es bei der DRP zu einer dichten Glaskörperblutung, die sich – nach Ausschluss eines Netzhautrisses mittels Sonographie – im Spontanverlauf nicht bessert, muss eine Vitrektomie erwogen werden. Dabei wird der den Bulbus ausfüllende Glaskörper inklusive des Bluts chirurgisch entfernt. Anschliessend kann eine Endolaserversorgung im Sinne einer panretinalen Photokoagulation noch im selben Eingriff durchgeführt werden. Das Auge wird anschliessend mit Luft tonisiert. Liegt eine Netzhautablösung aufgrund einer PDRP vor, die das Zentrum betrifft, ist ebenfalls eine Vitrektomie indiziert. Aufgrund der traktiven Komponente ist hier meist eine Füllung des Auges mit Silikonöl nötig. Dieses kann je nach Ausmass der Traktionen und abhängig vom visuellen Potential (und je nachdem, ob das Öl im Verlauf vertragen wird) wieder entfernt werden [43].
Das Wichtigste für die Praxis
Die frühen Stadien der nicht proliferativen diabetischen Retinopathie sind meist symptomlos. Sie werden daher oft zu wenig ernst genommen. Regelmässige Screening- und Kontrolluntersuchungen sowie die Aufklärung bei an Diabetes Erkrankten stellen den Grundbaustein dar, um weitreichende Spätkomplikationen zu vermeiden.
Die wichtigste Therapiemassnahme ist nach wie vor die optimale an den jeweiligen Betroffenen angepasste Blutzuckereinstellung, dicht gefolgt von der Minimierung der weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren.
Sollte dennoch eine Progression der Erkrankung stattfinden, ist mittels frühzeitiger Laserkoagulation und Anti-VEGF-Injektionen diese meist noch brems- und beherrschbar. Eine schnelle Einleitung einer ophthalmologischen Beurteilung und Betreuung sollte in so einem Fall angestrebt werden.
Schwerwiegende Komplikationen der diabetischen Retinopathie, wie Erblindung und Invalidität, sind aufgrund der Fortschritte in der Früherkennung und Behandlung meist verhinderbar.
Universitätsklinik für Augenheilkunde
Inselspital
MZ hat angegeben, von Bayer und Novartis Beratungshonorare sowie von Bayer, Novartis und Roche Honorare für Vorträge erhalten zu haben. Ferner war er für die Überwachung der Datensicherheit bei Bayer, Novartis und Roche zuständig und hatte eine leitende/treuhänderische Funktion bei der «European Society of Retina Specialists» (EURETINA) inne. MZ hat ferner deklariert, Aktien oder Wertpapieranteile von Novartis zu besitzen. Ferner habe er Geräte, Materialien, Medikamente, medizinische Schriften, Geschenke oder andere Dienstleistungen von Heidelberg Engineering entgegengenommen. JL und ML haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Kopfbild: Bildmaterial der Autoren
Dr. med. Joel Lincke
Universitätsklinik für Augenheilkunde
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