Kurz und bündig
Fokus auf … Journal Club Neues aus der Biologie

Kurz und bündig

Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2022/45
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09287
Swiss Med Forum. 2022;22(45):732-733

Affiliations
Redaktor Swiss Medical Forum
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Publiziert am 09.11.2022

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Praxisrelevant

Wie häufig sind Thrombozytopenien und Thrombosen nach COVID-19-Impfungen?

Es gibt in Europa im Wesentlichen vier COVID-19-Impfstoffe, die wir der Einfachheit halber ausnahmsweise mit den Herstellernamen aufführen: zwei Adenovirus-basierte (Oxford/AstraZeneca und Janssen/Johnson-Johnson) und zwei mRNA-basierte Vakzinen (Moderna und Pfizer/BioNTech). Adenovirus-basierte Impfstoffe wurden – vor allem bei Frauen unter 60 Jahren – mit Thrombozytopenie und Thromboembolien assoziiert.
Eine grosse internationale Kohortenstudie verglich das Risiko für Thrombozytopenien und Thromboembolien der Adenovirus-basierten mit einem mRNA-basierten Impfstoff (Pfizer/BioNTech). Die Thrombozytopenie-Inzidenz war insgesamt tief: etwa 0,6 Promille nach der Oxford/AstraZeneca- und knapp 0,2 Promille nach der Pfizer/BioNTech-Impfung. Sehr selten traten arterielle Thromboembolien nach der Oxford/AstraZeneca-Vakzine auf (0,25 Fälle auf 1000 Erstimpfungen, 0,25 Promille), aber signifikant mehr als nach derjenigen von Pfizer/BioNTech. Der Unterschied im venösen Thromboembolie-Risiko war nicht signifikant. Der Adenovirus-basierte Impfstoff von Janssen/Johnson-Johnson nahm in etwa eine Mittelstellung ein.
Auch wenn die Risiken insgesamt sehr klein sind, ist der Autorenschaft beizupflichten, dass diese Resultate bei der Auswahl der Impfstoffe für gewisse Zielgruppen (z.B. Frauen unter 60 Jahren) für die Impfkampagnen und in der Entwicklung weiterer Vakzinen berücksichtigt werden sollten.
Verfasst am 30.10.2022.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Schwierig interpretierbare Evidenzlage bei der Basilaristhrombose

Zunächst ein kurz und bündiges Coming-out: Rein chinesische Studien haben wir hier relativ zurückhaltend besprochen, weil sie weniger gut überprüfbar zu sein scheinen [1]. Auch die Verweigerungshaltung unter anderem in der Klärung des Ursprungs der COVID-19-Pandemie war nicht vertrauensbildend. Wir wollen aber den Autorinnen und Autoren selbst nicht Unrecht tun. Deshalb hier Hinweise auf zwei Studien zur Wirkung der Thrombektomie bei Verschlüssen der Arteria basilaris.
Basilaristhrombosen machen etwa 10% der ischämischen Schlaganfälle aus und weisen dabei die höchste Langzeitmortalität und -morbidität auf. Zwei frühere Studien hatten keinen konklusiven Nutzen der endovaskulärinvasiven Therapie im Vergleich zur medikamentösen Therapie (meist Thrombolyse) gezeigt [2, 3].
Zwei neue Studien zeigen nun aber eine deutliche Mortalitätssenkung sowie eine Verbesserung der neurologischen Funktionen (nach 90 Tagen [4, 5]). In einer Studie betrug die Latenz bis zur Revaskularisierung knapp 7 Stunden, in der anderen median gut 13 (!) Stunden. Auffällig war die sehr tiefe Rate an Thrombolysen (18 respektive 32%), was die Prognose in den Kontrollgruppen verschlechtert, die Intervention also in ein besseres Licht gestellt haben könnte. Absolute 5% mehr der Patientinnen und Patienten in der experimentellen Gruppe erlitten symptomatische intrakranielle Hämorrhagien.
Diese Resultate, vor allem angesichts der relativ langen Latenz bis zur Intervention, und die in den Vorläuferstudien inkonklusive Evidenz rufen nach einer adäquaten Klärung.
1 BMJ. 2016, doi.org/10.1136/bmj.i5396.
2 N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMoa2030297.
3 Lancet Neurol. 2020, doi.org/10.1016/S1474-4422(19)30395-3.
4 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2206317.
5 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2207576.
Verfasst am 29.10.2022.

Auch noch aufgefallen

Vielleicht ein Name, den man sich merken muss: «Burden of proof»-Studien

Die gegenwärtigen Methoden einer Analyse der Effekte eines Risikofaktors auf den Gesundheits- oder Krankheitsverlauf sind oft subjektiv geprägt und nehmen an, dass sich der Risikofaktor mit der Expositionszeit und der Expositionsdosis zunehmend manifestiert, wofür es nur limitierte Evidenz gibt. In der Tat haben nicht sehr viele Risikofaktoren (z.B. Kaffeekonsum) den Zahn der Zeit überstanden, zum Teil wurden sie sogar von negativen zu positiven «Risiko»faktoren umfunktioniert (ebenfalls Kaffee). Die «Burden of proof»-Studien verwenden eine neue Methodologie, die für diverse Nachteile der üblichen Risikofaktoranalysen korrigieren soll.
Ein Teil unserer Einsichten blieb durch die neue Methodologie unverändert (z.B. systolische Hypertonie ist mit Herzkrankheit assoziiert, Rauchen fördert die Lungenkarzinomentstehung und die Entwicklung einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung [COPD] sowie 26 weiterer Krankheiten). Allerdings fand die neue Analytik keine oder nur eine äusserst schwache Assoziation zwischen dem Konsum von «rotem» Fleisch und Krebsentstehung sowie Diabetes, koronarer Herzkrankheit und ischämischen und hämorrhagischen Schlaganfällen. Bezüglich einer vegetarisch geprägten Diät wurde eine nicht vegetarische Diät mit etwa (hohen) 350 Gramm vegetarischer Komponenten pro Tag verglichen. Es resultierte eine generell lediglich bescheidene relative Risikoreduktion (um 25%), die «nur» für das Schlaganfallrisiko und die Entstehung von Ösophaguskarzinomen, nicht aber für den Typ-2-Diabetes signifikant war.
Etwas ernüchternde Resultate, die aber Anstoss für eine Reanalyse, auch der neuen Methode selber, geben sollten.
Verfasst am 30.10.2022.

Das hat uns nicht gefreut

Nachlese zu «Wie entsteht Mutterliebe?»

Wir hatten hier über Experimente aus den Neurowissenschaften mit Makaken/Rhesusaffen berichtet [1], die nahelegen, dass der wichtigste initiale Stimulus zum Aufbau einer bindenden Beziehung zwischen Mutter und Kind über Berührungssensationen (Muttertier) ausgelöst werden.
Leider müssen wir deshalb auch berichten, dass das entsprechende Labor an der Harvard-University nun gerade ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist [2]. Die Experimente werden von einem Teil der Expertenschaft als nicht ethisch betrachtet, weil sie auch den Effekt temporärer Trennungen des Kindes von der Mutter untersuchten. Andere Expertinnen und Experten finden, dass solche Resultate nicht anders erhoben hätten werden können.
Die Resultate einer eingeleiteten Untersuchung stehen noch aus, wie immer bei solchen Fragen sind – auch zum Teil verständlich – sehr emotionale und polarisierende Meinungen zu hören und zu lesen.
1 Swiss Med Forum. 2022, doi.org/10.4414/smf.2022.09272.
Verfasst am 29.10.2022.
Neues aus der Biologie
«Süsses Blut» oder warum werden gewisse Menschen durch Mücken mehr geplagt?
Unter den Mückenarten ist Aedes aegypti bemerkenswert, weil diese Art Gelbfieber-, Chikungunya-, Dengue- und Zika-Viren überträgt. Sie hat sich dabei exklusiv auf den Menschen spezialisiert und so gelernt, ihren Fortbestand zu optimieren. Für einmal sind es die Weibchen, die uns Sorgen und nicht wie öfter üblich Freude bereiten: Nur Weibchen stechen in ihrer etwa einmonatigen Lebenszeit Menschen und wenn immer möglich multipel und gleich mehrere Individuen.
Es sind nicht Körpergerüche, sondern geruchsneutrale Karbonsäuren in der Haut, die über die Anziehungskraft auf Mücken entscheiden.
© Pongmoji / Dreamstime
Nun gibt es, eine Laienweisheit, Menschen unter uns, die ganz klar und anhaltend den Mückenstichen überdurchschnittlich ausgeliefert sind. Warum?
Es sind nicht die Körpergerüche (die Ausschaltung olfaktorisch wichtiger Gene bei den Mücken hob die Selektivität für einzelne Individuen nicht auf), sondern die geruchsneutralen Karbonsäuren, deren Konzentration in der menschlichen Haut darüber entscheidet, ob ein Individuum zum Mückenmagneten wird oder nicht. Karbonsäuren entstehen durch Oxidation von gewissen Kohlewasserstoffen.
Die Arbeit ist bedeutsam, weil sie eine Tür zu einer neuen Gruppe von sogenannten Repellents öffnen könnte.
Verfasst am 29.10.2022.
Fokus auf …
Milder traumatischer Hirnschädigung
Die traumatische Hirnschädigung* ist die wichtigste Ursache von unfallbedingter Mortalität und persistierender funktioneller Einschränkung.
Mindestens 1/3 der hospitalisierten, älteren Individuen (>65 Jahre) entwickelt eine traumatische Hirnschädigung nach Stürzen, wobei Alkoholkonsum und geriatrische Fragilität die wichtigsten Ursachen sind.
Mehr als 90% der Patientinnen und Patienten weisen eine milde traumatische Hirnschädigung auf (arbiträr definiert als Glasgow Coma «Scale» oder besser «Summenscore» [GCS], auf der Notfallstation von 13−15).
Etwa 50% dieser Individuen schaffen es in Bezug auf Gesundheit und Wohlbefinden innerhalb von sechs Monaten nicht, den Zustand vor dem Trauma wieder zu erreichen. «Mild» erscheint also ziemlich relativ.
Im Gegensatz zur schweren und mittelschweren traumatischen Hirnschädigung sind klinische Prognosemodelle, die eine rehabilitative Intervention leiten könnten, für die «milde» Form leider nicht validiert.
Eine Reihe von im Plasma messbaren Biomarkern erbringen vielversprechende diagnostische und prognostische Informationen. Je «milder» das Trauma, desto variabler sind aber die Veränderungen.
Für die initiale Triage ist eine Schädel-Computertomographie wichtig.
Bei «milder» traumatischer Hirnschädigung sind die Befunde aber bei etwa 90% der Fälle in Bezug auf Traumafolgen normal.
Also: Viel Spielraum für Verbesserung der Diagnostik und Prognostik!
* Im deutschsprachigen Raum wird die traumatische Hirnschädigung auch einfach als Schädel-Hirn-Trauma bezeichnet. Leicht, mittelschwer und schwer erhalten dann je nach Usanz eine numerische Graduierung, Grad 1, Grad 2 und Grad 3.
Lancet Neurol. 2022, doi.org/10.1016/S1474-4422(22)00309-X. Verfasst am 29.10.2022.