Kurz und bündig
Journal Club Fokus auf ... Auch noch aufgefallen

Kurz und bündig

Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2022/46
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09296
Swiss Med Forum. 2022;22(46):748-749

Affiliations
Redaktor Swiss Medical Forum

Publiziert am 16.11.2022

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Praxisrelevant

Hämodialyse und optimaler Zeitpunkt für chirurgischen Eingriff

Für viele Patientinnen und Patienten, die mit Hämodialyse dreimal pro Woche (Standard) als Nierenersatzverfahren behandelt werden, ist der siebte Tag (meist der Sonntag bei einem Montag-Mittwoch-Freitag-Rhythmus*) der in Bezug auf die Lebensqualität beste Tag. Müdigkeit und Leistungsintoleranz sind oft am Tag nach der Dialyse am störendsten. Die gute Form am Sonntag führt aber auch dazu, dass die Patientinnen und Patienten die strengen Diätvorschriften (Flüssigkeitszufuhr, eingeschränkter Salz- und Kaliumkonsum u.a.m.) vielleicht etwas liberaler interpretieren, dies noch vor dem Hintergrund, dass das Wochenende das längste dialysefreie Intervall der Woche ist.
Das hat Konsequenzen, denn die kardiovaskuläre Mortalität ist wohl wegen Hyperkaliämien, Hypervolämie und Blutdrucksteigerungen am Montag hochsignifikant am höchsten, nämlich in mehr als 20% der Fälle. Wäre die Mortalität über jeden Wochentag gleich verteilt, wäre eine Mortalität von gut 14% zu erwarten (p = 0,0005 [1]). Eine Studie findet, kompatibel mit dieser Beobachtung, dass die niedrigste postoperative Mortalität dann beobachtet wird, wenn der Eingriff gerade am Tag nach der letzten Dialyse vorgenommen wird [2]. Dies gilt auch für vergleichsweise banale Operationen wie Linsenersatz oder intraokuläre Injektionen.
Um die geringste Mortalität zu erreichen und gleichzeitig den angestammten Dialyserhythmus nicht zu stören, sollte man elektive Eingriffe also am ersten postdialytischen Tag einplanen. Da die Patientinnen und Patienten dann noch nicht in ihrer besten Form sind, braucht das Ansetzen des Eingriffes auf eben diesen Tag sicher entsprechende ärztliche Überzeugungsarbeit.
2 JAMA. 2022, doi.org/10.1001/jama.2022.19626.Verfasst am 04.11.2022.

Fibrate: Stecker gezogen?

Fibrate halten sich seit mehreren Dekaden in der Therapie der Hyperlipoproteinämien und der Senkung von kardiovaskulären Erkrankungen, allerdings waren einige Studien nicht konklusiv. Die konventionelle Weisheit ist, dass sie in einer Subgruppe von Individuen mit Hypertriglyzeridämie und tiefem HDL-Spiegel wirksam seien [1].
Leider nicht, denn in exakt einer solchen Population (mehr als 10 ​000 Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes, Hypertriglyzeridämie und tiefen HDL-Werten, zu mehr als 90% bereits unter einer Statintherapie) senkte ein potentes Fibrat (Pemafibrat) zwar die Triglyzerid- und VLDL-Spiegel und erhöhte die HDL-Konzentrationen, es vermochte aber bei einer Nachbeobachtung von knapp 3,5 Jahren den gemischt gewählten Endpunkt (kardiovaskuläre Mortalität, koronare Ereignisse, Schlaganfälle) nicht zu beeinflussen [2, 3]. Dies traf auf Individuen mit und ohne vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankungen zu.
Es könnte sein, dass die nicht signifikant veränderten Apolipoprotein-B-Konzentrationen, wozu es erst experimentelle Therapieansätze gibt, pathophysiologisch viel bedeutsamer als die Fibrateffekte sind. Apolipoprotein-B ist ein Initiations- und Progressionsfaktor nicht nur der Atheromatose, sondern auch der Aortenklappenverkalkungen respektive Aortenstenose.
1 Curr Atheroscler Rep. 2020, doi.org/10.1007/s11883-020-00846-8.
2 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2210645.
3 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMe2213208.
Verfasst am 05.11.2022.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Beste Strategie der Infektprophylaxe in der elektiven kolorektalen Chirurgie?

Bei kolorektalen chirurgischen Wahleingriffen sind postoperative Wundinfekte immer noch ein Problem und treten in 25% der Fälle auf. Unbestritten ist der Wert einer intravenösen Prophylaxe, weniger einheitliche Daten bestehen zur mechanischen Darmreinigung vor dem Eingriff, ausser bei Rektumresektionen. Verbessert eine zusätzliche orale Antibiotikaprophylaxe die Verhinderung von Infekten, zum Beispiel durch partielle Dekontamination im Darminneren?
Ja, denn die orale Prophylaxe mit einem Analogon von Metronidazol (1 g Ornidazol mindestens 12 Stunden vor dem Eingriff) verminderte zusätzlich zur intravenösen Prophylaxe mit Cefoxitin (30 Minuten vor dem Hautschnitt) die Infektrate signifikant um fast die Hälfte (von 22% ohne zu 13% mit oraler Prophylaxe). Statistisch signifikant waren die Resultate in dieser relativ grossen Studie (je 463 auswertbare Fälle in beiden Gruppen) aber nur, wenn eine mechanischen Darmvorbereitung stattgefunden hatte.
Es scheint also, dass die Reduktion des kolonischen Keimreservoirs durch Abführen und im Darmlumen wirkende Antibiotika den grössten Effekt auf die Reduktion der Wundinfektrate ausübt.
Verfasst am 04.11.2022.

Auch noch aufgefallen

Entzündliche Darmerkrankungen und Häufung kardiovaskulärer Erkrankungen

Entzündliche Darmerkrankungen (im Wesentlichen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn) haben vor allem in der «westlichen» Welt (neu auch «high-income countries» genannt) eine beachtliche Prävalenz von 300−400 Fällen pro 100 ​000 Individuen einer Normalpopulation. Die koronare Herzkrankheit, Schlaganfälle, Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz sowie Vorhofflimmern treten gehäuft auf. Dabei ist vor allem die Risikoerhöhung für Herzinsuffizienz (namentlich bei Colitis ulcerosa) und Vorhofflimmern um je einen Faktor 2 auffällig.
Es kommen diverse Mechanismen für die kardiovaskulären Nebenwirkungen infrage: Entzündungsprozesse mit funktioneller/anatomischer Endothelschädigung, Thrombozytosen, Dylipidämien, Veränderung des intestinalen Mikrobioms und damit assoziierte zirkulierende Metaboliten sowie therapeutische Nebenwirkungen, zu denen vor allem − die heute aber immer differenzierter und kürzer angewendeten − Glukokortikoide zählen.
Fraglich, aber zu hoffen, ist, dass die immer effektiveren Therapeutika diese kardiovaskulären Nebenwirkungen im Langzeitverlauf unterdrücken können.
Verfasst am 29.10.2022.
Auch noch aufgefallen
Langzeitverläufe nach Aortendissektionen
Bei der Aortendissektion entsteht infolge eines Wandeinrisses ein Dissektionsraum zwischen Intima und Media, wobei in der Stanford-Klassifikation Typ-A- (Mitbeteiligung der Aorta ascendens) von Typ-B-Aneurysmen (Beginn beim Abgang der Arteria subclavia links) unterschieden werden. Wichtigste Komorbiditäten sind echte Aortenaneurysmen, Hypertonie und die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Folgen einer Dissektion sind – unter anderen und variierend je nach Typ – Herztamponade, Aortenklappeninsuffizienz, Blutungen und ischämische Organdysfunktionen, zum Beispiel akute Niereninsuffizienz.
Computertomogramm, Axialschnitt: Typ-A-Dissektion der Aorta (Case courtesy of Assoc. Prof. Frank Gaillard).
Radiopaedia.org, rID: 8886, https://doi.org/10.53347/rID-8886
In einer grossen dänischen Kohorte konnten insgesamt gut 3000 Fälle mit Typ-A- oder Typ-B-Aneurysmen analysiert werden. Die 30-Tage-Mortalität betrug beim Typ A 22%, beim Typ B knapp 14%. Die Mortalität war bei Frauen und Männern gleich und hatte sich über die Jahre leider nicht verbessert. Letzteres ist erstaunlich, da die Thorax-Herz-Chirurgie für Typ A und endovaskuläre Behandlungen für Typ B auch ihre allgemeinen Fortschritte dokumentieren können. Für jene Patientinnen und Patienten, welche die ersten 30 Tage überlebten, war die 5-Jahres-Mortalität beim Typ A dann aber tiefer und entsprach derjenigen einer hypertensiven Allgemeinbevölkerung. Beim Typ B war die Mortalität im Vergleich zur gleichen Population aber signifikant erhöht (40% Risikoerhöhung, p <0,001).
Die Autorinnen und Autoren schreiben wohl zu Recht, dass die Betreuung beim Typ B im Langzeitverlauf überprüft und intensiviert werden sollte. Mit einer liberaleren Indikation zur Revision nach Überleben der initialen Phase könnte man vielleicht auch die aortal bedingten Todesfälle (25% aller Fälle) beim Typ B senken.
Verfasst am 06.11.2022.
Das «Kurz und bündig» finden Sie auch als Podcast unter emh.ch/podcast oder in Ihrer Podcast-App unter «EMH Journal Club».
Fokus auf ...
Ambulante Therapie von COVID-19
Mehrere Medikamente können schwere Verläufe und Hospitalisierungen verhindern, wenn sie in den ersten fünf Krankheitstagen appliziert werden.
Eine korrekte Diagnose basierend auf kompatiblen klinischen Symptomen und positiven Antigen- und/oder PCR-Testen ist erforderlich.
Das einzige Kombinationspräparat mit oraler Applikation ist Nirmatrelvir/Ritonavir (Handelsname Paxlovid®) und es ist das Medikament der ersten Wahl für Frühbehandlungen bei Individuen mit Risiko für einen schweren Verlauf.
Wichtige Arzneimittelinteraktionen sind bei Nirmatrelvir/Ritonavir zu beachten und können unter https://www.covid19-druginteractions.org/checker geprüft werden. Eingeschränkte Nierenfunktion und/oder relevante Hepatopathien sind zu berücksichtigen (siehe Abb. S1 im Online-Appendix des Artikels).
Bei Kontraindikationen für Nirmatrelvir/Ritonavir könnte Remdesivir intravenös über drei Tage infrage kommen (200 mg Tag 1, je 100 mg an den Tagen 2 und 3).
Monoklonale Antikörpertherapien sollten mit Kolleginnen und Kollegen der Infektiologie besprochen werden, da die Wirksamkeit dieser Therapien von der (zu bestimmenden) Virusvariante abhängt und bald neue Antikörper eingeführt werden.
Infrage für eine frühzeitige Therapie kommen (alle Kriterien sind zu erfüllen): symptomatische, positiv getestete Individuen >12 Jahre mit einem Körpergewicht ≥40 kg; Behandlungsbeginn innerhalb von fünf Tagen nach Auftreten der Symptome, bei Immunsupprimierten allenfalls später; bei Vorliegen einer Hochrisikosituation (HIV-Infekt mit CD4-Zahl <200 /µl; kongenitale Immunabwehrstörungen; Individuen unter Therapie mit Anti-CD20- und Anti-CD19-Antikörpern; hämatologische, maligne Erkrankungen; Organtransplantierte; Sichelzellanämie).
Verfasst am 05.11.2022. Fokus: Online-Appendix auf https://doi.org/10.4414/smf.2022.09296.
Das «Kurz und bündig» finden Sie auch als Podcast unter emh.ch/podcast oder in Ihrer Podcast-App unter «EMH Journal Club».