Komplette Durchtrennung der Arteria femoralis superficialis sinistra
Perforationsverletzung beim Kind

Komplette Durchtrennung der Arteria femoralis superficialis sinistra

Der besondere Fall
Ausgabe
2023/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09081
Swiss Med Forum. 2023;23(18):42-44

Affiliations
Kantonsspital Winterthur, Winterthur: a Klinik für Interventionelle Radiologie und Gefässchirurgie, Departement Chirurgie; b Angiologie, Departement Medizin; c Institut für Radiologie und Nuklearmedizin

Besprochener Wirkstoff

Publiziert am 03.05.2023

Hintergrund

Traumatische Gefässverletzungen bei Kindern sind selten und treten in etwa 0,6% aller pädiatrischen Traumapatientinnen und -patienten [1, 2] auf. Sie haben gleichwohl das Potential, in der initialen Phase und im Langzeitverlauf gravierende Folgen zu haben, und benötigen eine konsequente Diagnostik und Therapie. Der vorliegende Fall beschreibt die initiale Präsentation, die Diagnostik und die konservative Therapie bei Verletzung einer grossen Extremitätenarterie im Kindesalter.

Fallbericht

Anamnese

Ein 12-jähriger Junge zog sich im Rahmen eines Fahrradsturzes eine penetrierende Verletzung mit stark spritzender Blutung des ventralen proximalen Oberschenkels circa 5 cm distal der Inguina zu, verursacht durch den Lenker seines Fahrrades, mutmasslich durch den Bremshebel. Eine der hinzukommenden Personen nahm eine direkte Kompression bei pulsierender Blutung vor. Durch den Rettungsdienst erfolgten die Erstversorgung und der Transport in den Schockraum unseres Spitals.

Status

Im Rahmen der Erstversorgung im Schockraum war der Patient kardiopulmonal bei normotonen Blutdruckwerten stabil. Der initiale Hämoglobinwert lag bei 10,1 g/dl. Im Rahmen der Wundinspektion zeigte sich eine 2 × 1 cm grosse, tiefe Wunde am linken ventralen Oberschenkel distal der Inguina ohne pulsierende Blutung. Distal fanden sich weder popliteal noch am Fuss palpierbare oder dopplerbare Pulse bei einer Rekapillarisationszeit von drei Sekunden. Gleichzeitig bestand eine deutlich eingeschränkte Sensibilität mit aufgehobener Zwei-Punkt-Diskrimination.

Befunde

Es wurde eine Sonographie der linken Leiste durchgeführt, die aufgrund des Weichteilemphysems in dem Bereich inkonklusiv blieb. Die weitere Diagnostik erfolgte dann mittels Angio-Computertomographie der Becken-Bein-Strombahn. Dabei zeigte sich eine Verletzung der proximalen Arteria (A.) femoralis superficialis sinistra mit langstreckig fehlender Kontrastierung, beginnend 3,5 cm distal der Femoralisbifurkation über eine Strecke von etwa 14 cm bis über den Adduktorenkanal hinausreichend. Ebenfalls abgebildet wurde sowohl ein Kollateralisationskreislauf über die A. profunda femoris mit retrograder Perfusion der distalen A. femoralis superficialis als auch eine Kollateralisation der popliteokruralen Gefässstrombahn über Kollateralen aus der A. profunda femoris (Abb.1 und 2).
Abbildung 1: Computertomographie, 3D-Rekonstruktion: 14 cm langer Verschluss der Arteria femoralis superficialis sinistra (weisse Pfeile). Femoralbifurkation (gelber Pfeil), Arteria poplitea (blauer Pfeil).
Abbildung 2: Computertomographie, Curved-Rekonstruktion: 14 cm langer Verschluss der Arteria femoralis superficialis sinistra (kurze weisse Pfeile) mit ausgedehntem Weichteilemphysem (roter Pfeil). Femoralbifurkation (gelber Pfeil), Arteria poplitea (blauer Pfeil).

Diagnose

Nach der Diagnostik wurde die erneute klinische Evaluation durch ein interdisziplinäres Team der Interventionellen Radiologie und Gefässchirurgie sowie der Traumatologie vorgenommen. Die Klinik des Patienten hatte sich in der kurzen Zeit seit Ankunft im Schockraum und Beginn der Diagnostik bereits signifikant gebessert: Die sensiblen und motorischen Ausfälle zeigten sich regredient und der Fuss war warm mit einer leicht verlängerten Rekapillarisationszeit. Unter Berücksichtigung der Bildgebung und der klinischen Befunde interpretierten wir die Verletzung als Lazeration der A. femoralis superficialis sinistra mit langstreckiger Dissektion bis über den Adduktorenkanal, jedoch ohne Zeichen einer kritischen Ischämie.

Therapie

Es erfolgte anschliessend die notfallmässige operative Revision. Hier zeigte sich eine Durchtrennung der A. femoralis superficialis sinistra circa 4 cm distal der Bifurkation mit Retraktion der Gefässstümpfe und einer Dehiszenz von circa 3 cm. Es lag keine aktive Blutung mehr vor. Die Vena (V.) femoralis und der Nervus (N.) femoralis wiesen keine Veränderungen auf. Nach distal hin zeigte sich eine langstreckige Dissektion des Gefässes. Eine direkte Anastomosierung und somit Rekonstruktion des Gefässes war nicht möglich. Die beiden Stümpfe wurden ligiert und übernäht. Intraoperativ zeigte sich das Bein weiterhin warm und mit guter Rekapillarisation, sodass wir uns gegen eine Bypassversorgung entschieden.

Verlauf

Postoperativ erfolgte eine therapeutische Antikoagulation mit Heparin, um ein weiteres Thrombosieren auf Höhe der Dissektion über die ersten Tage zu verhindern. Anschliessend wurde über drei Monate eine antiaggregatorische Therapie mit Acetylsalicylsäure 100 mg/Tag installiert.
Die angiologische Kontrolluntersuchung am dritten postoperativen Tag zeigte eine schwer eingeschränkte Ruheperfusion der linken unteren Extremität («ankle brachial index» [ABI], links 0,45 versus rechts 1,21), jedoch ohne klinische Zeichen einer kritischen Ischämie. Duplexsonographisch zeigte sich die A. femoralis superficialis im mittleren Abschnitt verschlossen bei offener A. profunda femoris mit Kollateralisation der popliteokruralen Strombahn über dieses Gefäss.
Am vierten posttraumatischen Tag wurde der Patient nach Hause entlassen. Lokal zeigte sich ein normales Hautkolorit mit normaler Rekapillarisierungszeit ohne palpable Fusspulse. Der Patient wurde ambulant durch die Physiotherapie betreut – sowohl zur Gangschulung als auch für ein regelmässiges Training zur Förderung der Kollateralisation.
Es erfolgten die regelmässigen klinischen und angiologischen Kontrollen. Dabei zeigte sich die Claudicatio-Symptomatik stets regredient. Im weiteren Verlauf konnte der Patient den Schulsport wieder aufnehmen und wieder Fussball spielen. Die klinischen Kontrollen zeigten unauffällige Weichteile bei warmem Bein, und die Untersuchung ergab eine intakte Motorik und eine wiederhergestellte Sensibilität. Die Fusspulse waren zwei Jahre posttraumatisch wieder palpabel. Sonographisch zeigte sich über den Kontrollzeitraum eine progrediente Kollateralisation über die A. profunda femoris mit entsprechender Anpassung der Gefässkaliber.
Der ABI zeigte sich in den angiologischen Untersuchungen seitendifferent und es fand sich direkt postoperativ eine schwere sowie drei Monate nach dem Trauma mittelschwere Einschränkung der Ruheperfusion. Im weiteren Verlauf konnte dann entsprechend dem klinischen Verlauf eine Verbesserung des ABI festgestellt werden. Fünf Jahre nach dem Trauma lag gemäss den Messungen formal noch eine leichtgradig eingeschränkte Ruheperfusion vor, klinisch war der Patient aber zu dem Zeitpunkt beschwerdefrei (Abb. 3). Gestört war er einzig durch eine hypertrophe Narbenbildung im Bereich der Perforationsstelle.
Abbildung 3: Messungen des «ankle brachial index» (ABI) über fünf Jahre nach Perforation der Arteria femoralis superficialis sinistra. Es zeigte sich postoperativ links (blaue Kurve) eine schwere sowie drei Monate nach dem Trauma eine mittelschwere Einschränkung der Ruheperfusion. Nach fünf Jahren lag formal noch eine leichtgradig eingeschränkte Ruheperfusion vor, klinisch war der Patient aber beschwerdefrei. Post-op: postperativ; mt: Monat; y: Jahr.
In der Literatur wird als mögliche Komplikation eine Beinlängendifferenz beschrieben. Drei Jahre posttraumatisch hatte sich bei unserem Patienten eine ausgeglichene Beinlänge im Orthoradiogramm gezeigt.

Diskussion

Arterielle Gefässverletzungen bei Kindern sind eine seltene Entität, die in der Regel auf ein penetrierendes Trauma zurückzuführen sind. Nach initialer Stabilisierung ist die chirurgische Exploration angezeigt. Aufgrund der kleinen Kaliber der Gefässe und der erhöhten Spastizität sowie des zu berücksichtigenden Längenwachstums sind Rekonstruktionen operativ anspruchsvoller als beim Erwachsenen. Die aktuelle Literatur empfiehlt bei pädiatrischen Patientinnen und Patienten die Gefässrekonstruktion, um eine möglichst normale Perfusion zu gewährleisten [3]. Primär ist die Direktnaht anzustreben, alternativ ist die Versorgung mittels autologen Veneninterponats empfohlen [2–4].
Einzelne Fallberichte in der Literatur beschreiben ein konservatives Vorgehen. In einem Fall wird dies ebenfalls bei Verletzung der A. femoralis superficialis beschrieben [5]. Klare, evidenzbasierte Entscheidungskriterien für oder wider die Gefässrekonstruktion sind in der Literatur nicht zu finden.
In unserem Fall wäre eine Bypassversorgung bei langstreckiger Dissektion nötig gewesen – mit allen entsprechenden Risiken. Bei fehlenden Zeichen einer kritischen Ischämie und milder Klinik haben wir uns für ein Vorgehen ohne Gefässrekonstruktion entschieden.
Der weitere Verlauf war erfreulich – der Patient ist fünf Jahre nach seinem Fahrradunfall lediglich durch die Kosmetik der Narbe gestört. In seinem Alltag ist er beschwerdefrei und nicht eingeschränkt. Eine signifikante Wachstumsstörung ist nicht aufgetreten.
Eine generelle Empfehlung kann aus vorliegendem Fall nicht abgeleitet werden, jedoch ist bei pädiatrischen Patientinnen und Patienten aufgrund des Wachstumes ein grösseres Potential zur Kollateralisation vorhanden. Somit kann unter Berücksichtigung der Klinik im Einzelfall auf aufwendige Rekonstruktionen verzichtet werden.

Das Wichtigste für die Praxis

Traumatische Gefässverletzungen bei Kindern sind selten, können aber auch bei kleinen und nur wenig blutenden Wunden oder bei stumpfen Traumata vorliegen und mit nur milder Klinik einhergehen. Sie müssen bei Verdacht aktiv gesucht und mittels adäquater Bildgebung ausgeschlossen werden.
Gefässrekonstruktionen der Extremitäten bei Kindern sind aufgrund der kleinkalibrigen, spastischen Gefässe und des zu erwartenden Längenwachstums schwieriger als bei Erwachsenen.
Evidenzbasierte Richtlinien für diese Verletzungen fehlen in der Literatur, eine Rekonstruktion wird aber zur Normalisierung der Perfusion empfohlen.
Als Folge einer chronischen Ischämie kann ein vermindertes Längenwachstum auftreten.
Christina Graf
Klinik für Interventionelle Radiologie und Gefässchirurgie, Departement Chirurgie, Kantonsspital Winterthur, Winterthur
Die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Christina Graf
Notfallmanagerin/Oberärztin Notfallzentrum
Departement Chirurgie
Kantonsspital Winterthur
Brauerstrasse 15
CH-8400 Winterthur
christina.graf[at]ksw.ch
1 Barmparas G, Inaba K, Talving P, David JS, Lam L, Plurad D, et al. Pediatric vs adult vascular trauma: A National Trauma Data Bank review. J Ped Surg. 2010;45:1404–12.
2 Sciarretta JD, Macedo FIB, Chung EL, Otero CA, Pizano LR, Namias N. Management of lower extremity vascular injuries in pediatric trauma patients: A single Level I trauma center experience. J Trauma Acute Care Surg. 2014;76(6):1386–9.
3 Dalsing MC, Cikrit DF, Sawchuk AP. Open surgical repair of children less than 13 years old with lower extremity vascular injury. J Vasc Surg. 2005;41(6):983–7.
4 Kirkilas M, Notrica DM, Langlais CS, Muenzer JT, Zoldos J, Graziano K. Outcomes of arterial vascular extremity trauma in pediatric patients. J Pediatr Surg. 2016;51(11):1885–90.
5 Corneille MG, Gallup TM, Villa C, Richa JM, Wolf SE, Myers JG, et al. Pediatric vascular injuries: Acute management and early outcomes. J Trauma. 2011;70(4):823–8.

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