Ein vermeintliches schweres psychosomatisches Krankheitsbild
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit

Ein vermeintliches schweres psychosomatisches Krankheitsbild

Der besondere Fall
Ausgabe
2023/26
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09120
Swiss Med Forum. 2023;23(26):46-47

Affiliations
a Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Luzerner Kantonsspital, Luzern; b Fakultät Gesundheitswissenschaften und Medizin, Universität Luzern, Luzern

Besprochener Wirkstoff

Publiziert am 28.06.2023

Hintergrund

Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ist eine seltene Prionenerkrankung. Ihre Inzidenz betrug in der Schweiz in den Jahren 2011–2021 1,8–3,8 Fälle pro 1 Million Einwohnerinnen und Einwohner [1]. In den USA lag sie in den Jahren 2004 sowie 2006 bei 1,2 und im Jahr 2013 bei 1,4 Fällen pro Million Einwohnerinnen und Einwohner [2].
Bei den Prionen handelt es sich um normale Zellproteine, die durch die Änderung ihrer Konfiguration pathologische Eigenschaften entwickeln. Es sind drei Subtypen der Prionenerkrankung bekannt: die sporadische Variante, die rund 85% der Fälle ausmacht, die genetische und damit vererbbare Variante (rund 15% der Fälle) sowie die übertragbare Variante, die weniger als 1% der Fälle ausmacht [3]. Zu den vererbbaren, mit Prionen assoziierten Erkrankungen gehören die Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Erkrankung sowie die fatale familiäre Insomnie. Bei den übertragbaren Prionenerkrankungen sind insbesondere die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE), Kuru sowie die iatrogene Übertragung durch ungenügend sterilisierte chirurgische Instrumente erwähnenswert.
Im Folgenden berichten wir über eine 61-jährige Patientin, die mit einer Vorgeschichte von 2–3 Monaten unklarer Symptomatik mit Schwindel, Ataxie und vermeintlich psychosomatischen Beschwerden ins Spital eintrat.

Fallbericht

Anamnese

Eine 61-jährige Patientin stellte sich in Begleitung ihres Ehemannes auf Einweisung durch den behandelnden Neurologen stationär vor. Sie und ihr Ehemann berichteten von einem komplexen Beschwerdebild, das sich innerhalb der letzten zwei Monate entwickelt habe. Im Vordergrund stand eine Gangunsicherheit mit Schwindel, der teilweise als diffus, teilweise auch als Dreh- oder Schwankschwindel bezeichnet wurde. Zudem bestanden Probleme mit dem räumlichen Sehen und der Farbwahrnehmung, Wortfindungsstörungen und ein fremdanamnestisch eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis. Derzeit kam es zunehmend zu intermittierenden Sensibilitätsstörungen, Schmerzen und Dysästhesien der linken Gesichtshälfte und des linken Armes. Die Beschwerden wurden durch den Ehemann sehr detailliert dokumentiert, auffallend war eine grosse Abhängigkeit von der Tageszeit und von emotionalem Stress. Zudem wurde von einer bereits seit Monaten bis Jahren bestehenden Angstsymptomatik und inneren Unruhe berichtet mit im Rahmen der derzeitigen Beschwerden neu auftretenden Panikattacken.
Als besondere Ereignisse in letzter Zeit wurden Schicksalsschläge im engeren Verwandten- und Bekanntenkreis berichtet, die COVID-Impfungen waren ein respektive zwei Monate vor der Aufnahme erfolgt. Die restliche persönliche Anamnese war unauffällig; es bestanden keine relevanten Vorerkrankungen.

Diagnostik und Status

Bereits im Vorfeld der Hospitalisation waren ambulant mehrere Arztkonsultationen erfolgt. Eine otorhinolaryngologische Abklärung brachte keinen wegweisenden Befund. In zwei fachärztlichen neurologischen Untersuchungen konnte kein klarer reproduzierbarer Befund erhoben werden. Rund vier Wochen vor der stationären Einweisung wurden eine zerebrale Magnetresonanztomographie (MRT) und ein neurokranieller Ultraschall durchgeführt. Erstere ergab einzelne unspezifische Glia-Narben sowie Zeichen einer Sinusitis. Eine elektrophysiologische Untersuchung zeigte lediglich eine diskrete unspezifische Reizung des Nervus ulnaris links. Bei der Zuweisung wurde der Verdacht auf einen phobischen Schwindel geäussert und zur Ausschlussdiagnostik eine MRT des Plexus brachialis und eine Liquorpunktion empfohlen.
Bei der neurologischen Eintrittsuntersuchung war die Patientin wach und zu allen Qualitäten orientiert und kooperativ. Auffällig waren eine okuläre Impersistenz in der Prüfung der Blickfolge ohne Hinweis auf manifeste Blickparesen, ein dysmetrischer Finger-Nase- und Knie-Hacke-Versuch sowie ein unsicheres, ataktisches Gangbild. Die Symptomatik, insbesondere die Gangstörung, zeigte sich bei Ablenkung gebessert.
In der psychosomatischen Mitbeurteilung wurde eine starke Somatisierungstendenz festgestellt und der Verdacht auf eine schwere Konversionsstörung geäussert, sofern die umfangreiche neurologische Abklärung unauffällig bleibe. Allerdings zeigte die Patientin in den ersten drei Tagen der Hospitalisation eine unerwartete, rasche Verschlechterung. Es fand sich eine schwere Ataxie mit Aktionsmyoklonien, wobei die Patientin kaum noch fähig war, nach Gegenständen zu greifen. Es war ihr nicht mehr möglich, ohne Begleitung aufzustehen. Die Sprache verlor ihre Kohärenz im Sinn einer sensorischen Aphasie; sie bestand aus unvollständigen Sätzen und war nur noch im Kontext der jeweiligen Situation ansatzweise verständlich. Ausserdem erlitt die Patientin in der Nacht schwere Panikattacken.
Aufgrund der Unruhe der Patientin während der MRT und der klinischen Verschlechterung entschied sich der Neuroradiologe dazu, zusätzlich zur MRT des Plexus brachialis nochmals eine zerebrale MRT durchzuführen. Am Plexus brachialis waren keine Auffälligkeiten zu sehen; zerebral zeigte sich nun ein hochgradig pathologischer und zur Voruntersuchung neuer Befund mit in den diffusionsgewichteten Sequenzen kortikaler Hyperintensität bihemisphärisch sowie hyperintenser Signalstörung in den Basalganglien (Caput nuclei caudati beidseits). Aufgrund der bildmorphologischen Aspekte war der Verdacht auf eine prionenassoziierte Erkrankung naheliegend (Abb. 1), differentialdiagnostisch kam eine infektiöse oder autoimmun-entzündliche Enzephalitis infrage. Eine entsprechende Diagnostik wurde eingeleitet.
Abbildung 1: Zerebrales Magnetresonanztomogramm, diffusionsgewichtete (DWI-)Aufnahme: progrediente Signalstörungen linksbetont frontal, parietal, okzipital und im Nucleus caudatus beidseits (Pfeile).
In der Liquorpunktion lagen die Zellzahl, das Gesamtprotein und Laktat im Normbereich; die Glukose war minimal erhöht (4,2 mmol/l). Die Diagnostik hinsichtlich Enzephalitiserreger war negativ, eine Neurolues oder Neuroborreliose waren nicht nachweisbar. Es lagen keine oligoklonalen Banden vor. Zur Diagnostik einer Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung wurden die Analyse des 14-3-3-Proteins und der Nachweis nach der RT-QuIC-Methode («real-time quaking-induced conversion») in ein Speziallabor verschickt.
Elektroenzephalographisch wurden um 1–2/s generalisierte periodische Entladungen («generalized periodic discharges» [GPD]), Spikes, Sharpwaves und Slowwaves beschrieben. Der Befund war vereinbar mit dem klinischen Verdacht auf eine Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Ein non-konvulsiver Status epilepticus war jedoch nicht auszuschliessen.

Verlauf

Die nach der zerebralen MRT begonnene empirische Therapie mit Aciclovir wurde bei negativer PCR («polymerase chain reaction») auf Herpes-simplex-Virus im Liquor wieder abgesetzt. Es erfolgte die Gabe von Quetiapin sowie bei Bedarf Lorazepam, worunter sich die Unruhe und Halluzinationen deutlich besserten. Der kognitive Abbau sowie die Myoklonien und Gang- und Koordinationsstörungen waren weiter progredient.
Eine antikonvulsive Therapie mit Levetiracetam wurde begonnen. Zudem erfolgte ein symptomatischer Therapieversuch mit Pregabalin zur Behandlung von Dysästhesien.
In Zusammenschau des klinischen Verlaufs und der Diagnostik wurde bei noch ausstehender Liquordiagnostik die Diagnose einer sporadischen Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung gestellt. Die diesbezügliche Familienanamnese war bland.
Zur weiteren Versorgung wurde die Verlegung in ein Hospiz organisiert. Bei der Entlassung rund zwei Wochen nach der stationären Aufnahme war die Patientin bei der Mobilisierung auf den Rollstuhl sowie für Tätigkeiten des täglichen Lebens wie der Körperpflege auf Hilfe angewiesen. Eine Kommunikation war nur noch sehr eingeschränkt möglich (Ja-/Nein-Antworten).
Die Diagnose wurde nach der Entlassung durch die Liquorergebnisse mit positivem 14-3-3-Protein, RT-QuIC und deutlich erhöhtem TAU-Protein bestätigt.
Einen Monat nach der stationären Aufnahme und Diagnose und rund drei Monate nach Beschwerdebeginn verstarb die Patientin im Hospiz.

Diskussion

Aufgrund der initial unspezifischen Klinik und der für eine psychosomatische Erkrankung suggestiven Anamnese stellte die Situation der Patientin eine grosse differentialdiagnostische Herausforderung dar. Bei Positivzeichen für eine funktionelle neurologische Störung wie der Verbesserung der Symptomatik bei Ablenkung und Inkonsistenz der Untersuchungsergebnisse zu verschiedenen Zeitpunkten erschien nach ausführlicher psychiatrischer Befunderhebung und der unauffälligen apparativen Diagnostik die Diagnose einer Konversionsstörung durchaus plausibel.
Die auffallend rasche klinische Dynamik während des stationären Aufenthaltes und der spontane Entschluss des Neuroradiologen, die zerebrale Bildgebung zu wiederholen, wiesen den Weg zur richtigen Diagnose.
Der Verlauf bei der geschilderten Patientin stellt die besondere differentialdiagnostische Herausforderung von neuropsychiatrischen Beschwerdebildern in den Vordergrund. Vor der Festlegung auf eine psychiatrische Diagnose sollte auch bei geringen oder unspezifischen neurologischen Symptomen immer an eine neurologische Grunderkrankung gedacht werden. Hierbei kamen bei der vorliegenden Symptomatik differentialdiagnostisch neben der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung eine frontotemporale Demenz, eine Neuroborreliose oder Neurolues infrage. Des Weiteren können eine Epilepsie, neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Morbus Huntington, entzündliche neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose sowie Folgestörungen nach Schlaganfall oder Hirntumoren neuropsychiatrische Störungen hervorrufen. Diese Überlegungen erfordern bei entsprechendem Verdacht eine breite differentialdiagnostische und interdisziplinäre Aufarbeitung.

Das Wichtigste für die Praxis

Neuropsychiatrische Symptome erfordern besondere Aufmerksamkeit und eine interdisziplinäre differentialdiagnostische Herangehensweise.
Metabolische, autoimmune sowie infektiöse Erkrankungen des zentralen Nervensystems können initial unauffällige Befunde im zerebralen Magnetresonanztomogramm und den Routineparametern der Lumbalpunktion zeigen.
Die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung ist selten (laut dem Bundesamt für Gesundheit circa 10–15 Fälle pro Jahr in der Schweiz), aber aufgrund der diagnostischen Herausforderung und Bedeutung für die erkrankte Person wichtig im Bewusstsein zu behalten.
Das klinische Bild der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung ist sehr unterschiedlich, typisch sind eine progrediente Ataxie, Myoklonien und ein akinetischer Mutismus.
Die Therapie der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung erfolgt rein symptomatisch (antipsychotisch, anxiolytisch, antikonvulsiv, analgetisch); die Lebenserwartung ist stark eingeschränkt.
Dr. med. Philipp Kramer
Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Luzerner Kantonsspital, Luzern
Wir bedanken uns für die sehr gute Zusammenarbeit bei diesem Fall mit Herrn Prof. Dr. med. Martin Müller (Leiter stationäre Neurologie), Herrn Dr. med. Alexander von Hessling (Leitender Arzt, Sektion Neuroradiologie), Frau Dr. med. Daniela Lazzarini-Baur (Leitende Ärztin, Luzerner Psychiatrie) und Frau Zora Muff (Psychologin).
Ganz besonders danken wir dem Ehemann der Patientin für die Erlaubnis, den Fall veröffentlichen zu dürfen.
Die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Prof. Dr. med. Balthasar Hug
Klinik für Allgemeine Innere Medizin
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
CH-6000 Luzern
balthasar.hug[at]luks.ch
1 Bundesamt für Gesundheit (BAG). Zahlen–zu Infektionskrankheiten – Creutzfeldt-Jakob-Krankheit [Internet]. Letzter Zugriff am 13.09.2021. Abrufbar unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/zahlen-zu-infektionskrankheiten.html
2 Maddox RA, Person MK, Blevins JE, Abrams JY, Appleby BS, Schonberger LB, Belay ED. Prion disease incidence in the United States: 2003–2015. Neurology. 2020;94(2):e153–e157.
3 Kim MO, Geschwind MD. Clinical update of Jakob-Creutzfeldt disease. Curr Opin Neurol. 2015;28(3):302–10.

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