Anhaltende Hyponatriämie bei einem 92-Jährigen
Eine klassische Ätiologie

Anhaltende Hyponatriämie bei einem 92-Jährigen

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2023/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09164
Swiss Med Forum. 2023;23(17):50-52

Affiliations
Centre hospitalier universitaire vaudois, Lausanne: a Service de médecine interne; b Service d’endocrinologie, diabétologie et métabolisme

Publiziert am 26.04.2023

Diese Version vom 8.5.2023 wurde nach dem Erscheinen der gedruckten Fassung korrigiert.
Die richtige Antwort bei Frage 2 ist Antwort a, nicht e; siehe auch Korrigendum in SMF 2023;23(19):1068.
Wir entschuldigen uns für die in der Printversion vorhandenen Druckfehler.

Fallbeschreibung

Ein 92-jähriger Mann wird hospitalisiert, nachdem er unter ungeklärten Umständen gestürzt ist. Bei der Anamnese beschreibt er starke Asthenie, Abdominalschmerzen und Obstipation, gegen die einen Monat zuvor eine abführende Behandlung begonnen wurde. Die Darmpassage hat sich zwischenzeitlich stabilisiert, es kommt sogar zu einigen flüssigen Stuhlgängen. Die Gewichtsanamnese ist aufgrund kognitiver Störungen unklar.
Bei der klinischen Untersuchung ist der Patient hämodynamisch stabil, aber dehydriert mit trockenen Schleimhäuten und orthostatischer Hypotonie. Der Body Mass Index (BMI) beträgt 19 kg/m2. Die übrige Untersuchung ergibt keine Auffälligkeiten, insbesondere keine Melanodermie.
Der Laborbefund zeigt vor allem eine hypoosmolare Hyponatriämie (120 mmol/l) und eine Kaliumkonzentration von 5,5 mmol/l. Die Untersuchung der Spontanurinprobe ergibt eine erhöhte Osmolalität (643 mmol/kg H2O) und erhöhte Natriurese (141 mmol/l) ohne Anwendung von Diuretika.
Welche Behandlung beginnen Sie angesichts einer echten Hyponatriämie mit Anzeichen von Hypovolämie?
Die Einschätzung der Volämie kann schwierig sein und erfordert die Berücksichtigung anamnestischer, klinischer und labormedizinischer Informationen. Diese Faktoren deuten bei unserem Patienten auf eine Hypovolämie hin. Die Zufuhr einer isotonischen Lösung ist die Behandlung der Wahl, um die Normovolämie wiederherzustellen. Sie unterdrückt die nicht osmotische Stimulierung von Vasopressin (ADH), die zur Hyponatriämie geführt hat, wobei allerdings das Risiko besteht, dass die Natriumkonzentration zu rasch korrigiert wird [1].
Die Zufuhr von reinem Wasser oder einer hypotonischen Lösung würde die Hyponatriämie verstärken und das intravaskuläre Volumen nur sehr wenig beeinflussen (nach Aufnahme von einem Liter Wasser finden sich im Intravasalraum lediglich rund 83 ml).
Eine Flüssigkeitsrestriktion würde die Verstärkung der Hyponatriämie begrenzen, allerdings den Natriummangel und die Hypovolämie bei unserem Patienten nicht korrigieren. Diuretika würden die Hypovolämie verstärken.
Durch die Zufuhr von 0,9-prozentiger NaCl-Lösung (1,5 l über 24 Stunden) kann bei unserem Patienten die Natriumkonzentration teilweise korrigiert werden, sie stabilisiert sich bei rund 125 mmol/l. Bei dem aktuell normovolämischen Patienten muss also ein anderer Stimulus für die ADH-Freisetzung vorliegen, die weiteren Untersuchungen auf der Suche nach der Ursache ergeben: Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH) 1,45 mE/l, Basalkortisol 188 nmol/l, dann 285 nmol/l nach Stimulierung durch Tetracosactid (Synacthen®).
Welche Massnahme ist angesichts dieser Ergebnisse angezeigt?
Die Diagnose der Nebenniereninsuffizienz beruht auf einer Verminderung des morgendlichen Kortisol-Werts (<80 nmol/l: Insuffizienz sehr wahrscheinlich, <275 nmol/l: Insuffizienz möglich, aber nicht sicher) sowie auf der unzureichenden Reaktion der Nebennieren auf die Stimulierung durch ACTH (Synacthen®-Test), die sich dadurch äussert, dass der Kortisol-Wert nach 30 Minuten und/oder 60 Minuten unter 500 nmol/l liegt.
Nach Bestätigung der Insuffizienz gilt es, durch Messung des morgendlichen ACTH-Spiegels festzustellen, ob eine primäre oder sekundäre Ursache vorliegt: Bei primärer Insuffizienz ist der ACTH-Wert erhöht, bei zentraler Insuffizienz dagegen zu niedrig. Durch Messung von Renin und Aldosteron lässt sich ein Aldosteron-Mangel erfassen, der bisweilen mit einer primären Insuffizienz einhergeht.
Abgesehen von schweren Akutsituationen und Situationen, in denen die orale Gabe aufgrund einer Operation oder Erkrankung im Verdauungstrakt nicht möglich ist, kann eine orale Behandlung begonnen werden, vorzugsweise nach Abnahme von Blutproben zur Ermittlung der Ätiologie. Eine Behandlung mit Aldosteron ist im Falle eines durch den Laborbefund bestätigten Mangels indiziert [2].
Welche bildgebende Untersuchung angezeigt ist, hängt von der Form der Insuffizienz ab: Computertomographie (CT) des Abdomens bei primärer respektive Magnetresonanztomographie (MRT) der Hypophyse bei sekundärer Insuffizienz.
Bei unserem Patienten ergibt die Messung des morgendlichen ACTH-Spiegels einen erhöhten Wert (153 ng/l). Der Aldosteron-Wert ist stark vermindert und der Renin-Wert ebenfalls niedrig (möglicherweise infolge der vorangegangenen Flüssigkeitssubstitution oder einer erhöhten Natriumzufuhr vor der Messung der Plasmaaktivität). Diese Ergebnisse bestätigen eine primäre Nebenniereninsuffizienz.
Welcher Schritt ist besonders wichtig, um die Diagnose voranzubringen?
Die MRT der Hypophyse ist bei primärer Nebenniereninsuffizienz nicht angezeigt, allerdings ist der Anteil der an der Hypophyse festgestellten Inzidentalome nicht vernachlässigbar (rund 10%).
Der nächste Schritt ist die Messung der 21-Hydroxylase-Antikörper, da eine Autoimmunerkrankung hierzulande die häufigste Ursache ist und die Antikörper-Positivitätsrate bei rund 90% liegt [2, 3]. Die Insuffizienz kann mit anderen Autoimmunerkrankungen assoziiert sein, auf die bei der Diagnose systematisch getestet wird [2]. Die Nebennieren-CT liefert strukturelle (Infiltration, Hämorrhagie oder Raumforderung) und chronologische Hinweise (beidseitige Verdickung bei subakuter Erkrankung, atrophe und eventuell kalzifizierte Nebennieren bei chronischer Erkrankung [im Allgemeinen seit über 2 Jahren]). Da die Kalzifikation der Nebennieren bei einer Autoimmunerkrankung weniger häufig ist, weist sie eher auf eine andere Ätiologie hin (Tuberkulose, andere systemische Infektion, frühere Hämorrhagie) [4]. Die autoimmune Nebenniereninsuffizienz tritt eher bei Frauen im mittleren Alter (40–50 Jahre) auf und ist bei über 90-jährigen Männern seltener.
Die Erhöhung des 17-Hydroxyprogesteron-Blutwerts infolge des Mangels an 21β-Hydroxylase (Mutation des CYP21A2-Gens) wird üblicherweise gleich nach der Geburt festgestellt und ist bei unserem Patienten darum sehr unwahrscheinlich [2].
Ein HIV-Test ist je nach Risikofaktoren und klinischem Kontext indiziert, allerdings nicht in erster Linie.
Die Nebennierenbiopsie ist im Rahmen des Stagings eines bekannten Karzinoms oder seltener zur Beurteilung einer Raumforderung angesichts nicht eindeutiger Bildgebung indiziert.
Die Messung der Autoantikörper gegen die Nebennierenrinde verläuft bei unserem Patienten negativ. Eine Abdomen-CT zeigt Kalzifikationen an der rechten Nebenniere (Abb. 1).
Abbildung 1: Das Abdomen-Computertomogramm (Axialschnitt) zeigt eine kalzifizierte rechte Nebenniere (Pfeil).
Welcher Erreger ist am häufigsten für eine Nebenniereninsuffizienz verantwortlich?
Primäre Nebenniereninsuffizienz kann im Verlauf einer chronischen disseminierten Histoplasmose auftreten, oftmals im Rahmen einer HIV-Infektion. Die klinischen, radiologischen und pathologischen Anzeichen der Krankheit können mit jenen der Tuberkulose verwechselt werden, die in den Entwicklungsländern die häufigste Ursache ist. Darum ist die Diagnose schwierig und bisweilen eine Gewebeprobe nötig, um die Diagnose zu bestätigen. In Europa ist die Krankheit selten nachzuweisen, ausser in importierten Fällen.
Die Zytomegalievirus-Infektion zählt zu den häufigen Ursachen von Nebenniereninsuffizienz, oftmals in Verbindung mit einer HIV-Infektion.
Die Kryptokokkose mit Nebennierenschädigung tritt im Allgemeinen infolge einer Immunsuppression auf. Im Gegensatz zur Histoplasmose und Tuberkulose erholt sich tendenziell die Nebennierenfunktion im Laufe der Behandlung [6].
Primäre Nebenniereninsuffizienz im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion kann auf mehreren Mechanismen beruhen: Infektion durch HIV und/oder opportunistische Erreger (Mykobakterien, Zytomegalievirus), Tumoren (Lymphome, Kaposi-Sarkom) sowie antimikrobielle Wirkstoffe (Ketoconazol, Rifampicin).
Bei unserem Patienten verlaufen der QuantiFERON®-Test positiv und der HIV-Test negativ. Eine Nebennierentuberkulose wird vermutet und ist umso wahrscheinlicher, als die zusätzliche Thorax-Bildgebung auf der rechten Seite teilweise kalzifizierte, subpleurale Mikronoduli zeigt. Durch Substituierung kann eine Verbesserung der klinischen Symptome und die völlige Korrektur der Hyponatriämie erzielt werden. Aufgrund des Alters des Patienten und des Fehlens einer Immunsuppression wird die latente Tuberkulose bei unserem Patienten letztlich nicht behandelt.
Worauf wäre im Falle einer antituberkulösen Behandlung dieses Patienten zu achten?
Ungeachtet einer sorgfältigen Behandlung der Tuberkulose erholt sich die Nebennierenfunktion üblicherweise nicht [5, 6].
Die Substituierung der Glukokortikoide in physiologischer Dosis hat keine spürbare immunsupprimierende Wirkung.
Im Rahmen der Behandlung mit Rifampicin ist aufgrund des Katabolismus der Steroide mittels Enzyminduktion eventuell die Erhöhung der Steroidhormon-Dosen nötig.
Die Überwachung der Behandlung mit Glukokortikoid-Hormonen beruht vor allem auf den klinischen Symptomen und Anzeichen. Bei der Gabe von Mineralokortikoiden können weitere Labormessungen nötig sein [2, 7].

Diskussion

Bei Tuberkulose mit Beteiligung der Nebennieren ist letztere durch die hämatogene Dissemination einer Tuberkulose ausserhalb der Nebennieren bedingt. Die Diagnose kann um über zehn Jahre verzögert sein, da die Insuffizienz erst auftritt, wenn mehr als 90% des Parenchyms zerstört sind. Seltener ist die Läsion auf die Nebennieren beschränkt, die Diagnose ist dann aufgrund des Fehlens anderer klinischer Hinweise auf Tuberkulose schwieriger [6]. In den Entwicklungsländern ist die Tuberkulose weiterhin eine häufige Ursache von Nebenniereninsuffizienz (20% der Fälle primärer Nebenniereninsuffizienz).
Das radiologische Bild hängt von der Dauer der Erkrankung ab. Kalzifikationen sind nicht spezifisch für die Infektion mit Mycobacterium tuberculosis, ihr Nachweis sollte jedoch dazu Anlass geben, nach anderen Ursachen als einer Autoimmunerkrankung zu suchen.
Die Behandlung ähnelt jener anderer Formen von Nebenniereninsuffizienz, allerdings muss die Nebennierenfunktion während der Behandlung überwacht werden.
Es gilt zu unterstreichen, dass die Hyponatriämie im Zusammenhang mit primärer Nebenniereninsuffizienz das Ergebnis zweier unterschiedlicher Stimuli für die ADH-Freisetzung ist, was die Wiederherstellung der Normovolämie und die Substituierung der Nebennierenhormone erfordert.
Frage 1: a. Frage 2: a. Frage 3: b. Frage 4: b. Frage 5: c.
Dr. med. Karim Cruchon
Service de médecine interne,
Centre hospitalier universitaire vaudois, Lausanne
Wir danken Dr. Clarisse Dromain und Dr. Ana Carolina Rocha von der Radiologie-Abteilung des Centre hospitalier universitaire vaudois für das CT-Bild.
Dr. med. Karim Cruchon
Service de médecine interne
Centre hospitalier universitaire vaudois
Rue du Bugnon 46
CH-1011 Lausanne
karim.cruchon[at]chuv.ch
1 Spasovski G, Vanholder R, Allolio B, Annane D, Ball S, Bichet D, et al.; Hyponatraemia Guideline Development Group. Clinical practice guideline on diagnosis and treatment of hyponatraemia. Eur J Endocrinol. 2014 Feb 25;170(3):G1–47.
2 Bornstein SR, Allolio B, Arlt W, Barthel A, Don-Wauchope A, Hammer GD, Husebye ES, et al. Diagnosis and Treatment of Primary Adrenal Insufficiency: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline. J Clin Endocrinol Metab. 2016;101(2):364–89.
3 Kelestimur F. The endocrinology of adrenal tuberculosis: the effects of tuberculosis on the hypothalamo-pituitary-adrenal axis and adrenocortical function. J Endocrinol Invest. 2004;27(4):380–6.
4 Peretianu D. Incidental diagnostic of a rim-like adrenal calcification without tuberculosis or adrenal insufficiency. Acta Endocrinologica (Buc). 2007;III(2):215–21.
5 Bhatia E, Jain SK, Gupta RK, Pandey R. Tuberculous Addison’s disease: lack of normalization of adrenocortical function after anti-tuberculous chemotherapy. Clin Endocrinol (Oxf). 1998;48(3):355–9.
6 Upadhyay J, Sudhindra P, Abraham G, Trivedi N. Tuberculosis of the adrenal gland: a case report and review of the literature of infections of the adrenal gland. Int J Endocrinol. 2014;2014:876037.
7 Fischli S. Insuffisance surrénalienne. Forum Med Suisse. 2016;16(46):993–1003.