Kurz und bündig

Praxisrelevant

Gefürchtete Antibiotika-assoziierte Haut- und Schleimhautnebenwirkungen

Das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und die toxische epidermale Nekrolyse (TEN) sind zwei Hauterkrankungen, die durch ein immunologisch-entzündliches Syndrom mit Ablösung von Haut und Schleimhautläsionen inklusive Keratokonjunktivitis gekennzeichnet sind. Ihre Entstehung ist assoziiert mit zahlreichen Medikamenten, der Verlauf kann lebensbedrohlich sein. In einer Metaanalyse von 38 Studien mit fast 3000 SJS/TEN- Betroffenen von fünf Kontinenten konnten Medikamente in 86% als Auslöser identifiziert werden. Bei rund einem Drittel davon handelte es sich um Antibiotika. In absteigender Häufigkeit wurde folgende Antibiotikaklassen erfasst: Sulfonamide (32%), Penicilline (22%), Cephalosporine (11%), Chinolone (4%) und Makrolide (2%). Die ersten Symptome traten 1–3 Wochen nach Beginn der Antibiotikabehandlung auf.
Diese gravierenden Nebenwirkungen sind zweifellos selten. Doch wenn man bedenkt, wie häufig Sulfonamide und Penicilline in der Praxis eingesetzt werden, sind die Informationen aus dieser Studie wertvoll. Sie erinnern daran, dass ein Hautausschlag während einer Trimethoprim-Sulfamethoxazol-(Cotrimoxazol-)Behandlung zum Beispiel sehr ernst zu nehmen ist und die Therapie sofort abgebrochen werden sollte.
Verfasst am 28.4.23_MK.

Diskushernie: Was bringt eine Operation?

Eine Diskushernie mit lumbaler Nervenwurzelkompression und Entzündung ist die häufigste Ursache für eine Ischialgie. Für die Therapie dieser überaus prävalenten Entität empfehlen die aktuellen Richtlinien ein sequentielles Vorgehen mit nicht pharmakologischen Massnahmen (körperliche Aktivität, Physiotherapie), medikamentösen Optionen (Analgesie, epidurale Steroidinjektionen) und – in refraktären Fällen – chirurgischer Intervention (meistens eine Diskektomie).
Eine grosse systematische Übersicht und Metaanalyse von insgesamt 24 randomisierten Studien hat jetzt Wirksamkeit und Sicherheit der Chirurgie denjenigen der nicht chirurgischen Optionen gegenübergestellt: Beinschmerzen und Einschränkung waren primäre Endpunkte, unerwünschte Ereignisse, Rückenschmerzen, Lebensqualität und Zufriedenheit mit den gewählten Therapieoptionen sekundäre Outcomes. Die Metaanalyse bestätigt: bei entsprechender Indikation (Klinik und radiologisches Korrelat!) führt der chirurgische Ansatz rascher zu Schmerzfreiheit und funktioneller Verbesserung als nicht chirurgische Massnahmen und Infiltrationen. Die Unterschiede nivellieren sich allerdings über die Zeit, nach einem Jahr bestehen sie nicht mehr. Die Autorinnen und Autoren der Studie bewerteten die Evidenzlage für ihre Konklusion mit «very low- and low-certainty evidence».
Verfasst am 1.5.23_HU.

Aus der Biologie

Braunbären und das Thrombose-Paradox

Bären verbringen den Winter im Tiefschlaf. Herz- und Atemfrequenz sind tief und die Tiere bleiben für mehrere Wochen regungslos in ihrem Versteck liegen. Weshalb während dieser Immobilität keine Thromboembolien auftreten, hat eine Münchner Forschergruppe interessiert. Sie ist einer Schar Braunbären in Schweden gefolgt und hat Blutproben – in Kurznarkose entnommen – aus dem Winter und Sommer verglichen. Von 80 Proteinen, die im Winterschlaf herunterreguliert wurden, zeigte das Hitzeschockprotein 47 (HSP47) mit einer 55-fachen Reduktion den stärksten Abfall [1]. HSP47 vermittelt an der Oberfläche von Thrombozyten die Interaktion mit Kollagen und trägt dabei wesentlich zur Thrombosebildung bei [2]. Andere Interaktionen mit Entzündungszellen scheinen dabei auch eine Rolle zu spielen. Fehlt HSP47, wird die Thromboseneigung stark reduziert.
Das Aufregende an dieser Entdeckung ist, dass der Mechanismus artenübergreifend ist: Versuchspersonen, die eine längere Zeit immobil im Bett verbrachten, reduzierten HSP47 innerhalb von vier Wochen drastisch. Auch querschnittgelähmte Menschen regulieren HSP47 herunter, was wohl das Thrombose-Paradox erklärt: Trotz Immobilität ist ihre Thrombosegefahr sehr klein.
Vielleicht lässt sich die Braunbären-Erfahrung in Zukunft auch beim Menschen einsetzen: Wenn es gelänge, HSP47 pharmakologisch zu reduzieren, könnte dadurch möglicherweise die Thromboseneigung nach Operationen und bei internistischen Erkrankungen verhindert werden.
Auch noch aufgefallen
Koloskopie versus CT-Kolographie: eine Twitter-Analyse
Für die Vorsorge kolorektaler Tumoren bietet die CT-Kolographie eine mögliche Alternative zur klassischen Koloskopie.
In dieser Studie wurden anhand von Twitter-Daten die öffentliche Wahrnehmung dieser beiden Modalitäten und ihr Spiegelbild in den sozialen Medien untersucht. In einem definierten Zeitraum von sechs Jahren wurde fast eine halbe Million Tweets identifiziert. Diese wurden dann nach «positiven», «neutralen» und «negativen» Emotionen eingeteilt. Die Menge der Tweets im Zusammenhang mit Koloskopien war dabei rund 100-mal grösser als diejenige der Kommentare zur CT-Kolographie. In Anbetracht der ähnlich gelagerten Untersuchungsvolumina erstaunt dies nicht wirklich. Auch die 32% negativ konnotierten Tweets im Zusammenhang einer Koloskopie (gegenüber 10% im Rahmen einer CT-Kolographie) sind vermutlich durch die Untersuchungsmodalität per se und die damit verbundenen Emotionen (Angst, Peinlichkeit) erklärt.
CT-Kolographie mit den entsprechenden Ansichten im Vergleich. Oben: virtuelle Koloskopie (endoluminale 3D-Ansicht) und transparente 3D-Ansicht. Unten: axiale, sagittale und koronare 2D-Ansichten.
© Mr.suphachai Praserdumrongchai / Dreamstime
Ob es umgekehrt sinnvoll ist, die mehrheitlich positiv gefärbten Kommentare zur virtuellen Koloskopie zu nutzen, um diese Modalität bekannter zu machen? Man darf Zweifel anbringen: Die virtuelle Koloskopie ist ja nach wie vor keine kassenpflichtige Leistung für die reguläre Darmkrebsvorsorge. Zudem führen computertomographisch detektierte Irregularitäten in einem zweiten Schritt dann eben doch zu einer endoskopischen Untersuchung …
Am J Radiol. 2023, doi.org/10.1016/j.jacr.2023.03.011.Verfasst am 1.5.23_HU.
2 J Thromb Haemost. 2018, doi.org/10.1111/jth.13998.
Verfasst am 26.4.23_MK, auf Hinweis von Prof. Dr. med. Mike Recher (Basel).
Fokus auf …
Raucherentwöhnung
In der Schweiz rauchen circa 2 Millionen Menschen Tabakzigaretten. Pro Tag sterben 26 Menschen vorzeitig an den Folgen des Rauchens [1]. Der Tabakkonsum gehört zu den grössten Gesundheitsproblemen der Schweiz und zahlreicher anderer Länder weltweit.
Rund die Hälfte der Raucherinnen und Raucher hat einmal versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. Die Erfolgsrate bleibt dabei unter 10% [2].
Im Rahmen der Präventionsberatung gehört es zu den ärztlichen Aufgaben, über die Gesundheitsrisiken des Rauchens zu informieren, zum Rauchstopp zu ermutigen, nach dem Rauchstopp zu begleiten und bei Rückfällen erneut zu motivieren.
Die Begleitung umfasst Anleitungen zu Verhaltensänderungen, unterstützende pharmakologische Mittel und die Zusammenarbeit mit anderen Tabakstopp-Stellen und -Institutionen (zum Beispiel Lungenliga).
Ein Rauchstopp führt zu Entzugserscheinungen: Ruhelosigkeit und Nervosität, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und starkem Verlangen nach Zigaretten. Diese Symptome sind in den ersten 3–10 Tagen am stärksten. Individuell bestehen sehr unterschiedliche Verläufe.
Nikotinersatzprodukte lindern die Entzugsbeschwerden. Hierzu gibt es zahlreiche Varianten: Kaugummi, Lutschtabletten, Pflaster, Inhalatoren, Mundspray und Tabletten. Diese Präparate sind nicht rezeptpflichtig. Wenn das Verlangen nach Zigaretten abklingt, sollte die Nikotindosis der Ersatzprodukte reduziert und schliesslich sistiert werden.
Vareniclin (Champix®) ist ein rezeptpflichtiges Medikament, das als partieller Agonist an den nikotinergen Rezeptoren die Raucherentwöhnung unterstützt. Auf Anweisung von Swissmedic hat die Herstellerfirma das Medikament wegen potentieller Nitrosamin-Verunreinigungen zurückgezogen. Es ist zurzeit nicht lieferbar.
Bupropion (Zyban®), ebenfalls rezeptpflichtig, bewirkt über eine Hemmung der Dopamin- und Noradrenalin-Aufnahme eine Reduktion des Rauchverlangens und lindert die Entzugserscheinungen. Es ist zu Beginn der Rauchentwöhnung weniger unterstützend als Vareniclin.
Akupunktur und Hypnose haben in Studien keinen überzeugenden Rauchstopp-Effekt gezeigt. Von anekdotischen Erfolgserfahrungen aber wird immer wieder berichtet.
E-Zigaretten werden zur Raucherentwöhnung nicht empfohlen. Ihre Sicherheit und ihr Krebspotential sind noch zu wenig untersucht. Ihr Gebrauch (und Genuss) ist – gerade auch bei Jugendlichen – beunruhigend angestiegen und kommt einer neuartigen Raucher-(Vaper-)Epidemie gleich [3].
2 N Engl J Med. 2023, doi.org/10.1056/NEJMp2301700.
3 Swiss Med Forum. 2019, doi.org/10.4414/smf.2019.08361.
Verfasst am 28.4.23_MK.

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