Multiresistenz: Fälle aus dem klinischen Alltag
Die zunehmende Problematik multiresistenter Gram-negativer Bakterien

Multiresistenz: Fälle aus dem klinischen Alltag

Fallberichte
Édition
2018/46
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2018.03421
Forum Med Suisse. 2018;18(46):966-968

Affiliations
Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene, UniversitätsSpital Zürich

Publié le 14.11.2018

Seit ca. 5 Jahren wird eine stetige Zunahme multiresistenter Gram-negativer Erreger mit Nachweis von Carbapenemasen beobachtet. Die vorgestellten Fälle zeigen das breite Spektrum der klinischen Präsentation auf.

Hintergrund

Seit zirka fünf Jahren wird eine stetige Zunahme multiresistenter Gram-negativer Erreger mit Nachweis von Carbapenemasen beobachtet. Die nachfolgenden Fälle sollen das breite Spektrum der klinischen Präsentation aufzeigen – nicht immer ist eine Therapie indiziert. Bei einer Behandlungsindikation stösst man rasch an die Grenzen des Möglichen.

Fall 1: Kolonisation ohne Behandlungs­indikation

Ein 48-jähriger Patient wird nach einem schweren Verkehrsunfall auf dem afrikanischen Kontinent hospitalisiert und nach etwa drei Wochen dauernder Hospitalisation im Ausland auf die Normalstation repatriiert. Neben einem leichten Schädel-Hirn-Trauma und weiteren Verletzungen am Thorax, an der Wirbelsäule und am linken Fuss ist es auch zu einem Abdominaltrauma gekommen, das zu einer Sigmoidektomie und einer ­offenen Abdomenbehandlung geführt hat. Das Abdomen konnte unterdessen wieder verschlossen werden. Bei Eintritt bestand eine leichte Dehiszenz der abdominalen Wunde, die Faszie war intakt.
Aufgrund der Hospitalisation im Ausland wird der ­Patient kontaktisoliert und Abstriche werden entnommen. Dabei wächst im Rektalabstrich ein Citrobacter freundii, der neben einer Betalactamase vom Typ AmpC auch eine Carbapenemase vom Typ OXA-48 aufweist (Tab. 1). Eine ebenfalls detektierte Klebsiella pneumoniae ist Träger einer «Extended-Spectrum»-Betalaktamase (ESBL) und ebenfalls mehrfachresistent. Der Patient ist während der gesamten Hospitalisation kontaktisoliert und muss es auch für jede folgende Hospitalisation sein, sofern die Abstriche nicht negativ werden. Glücklicherweise besteht keine behandlungsbedürftige klinische Infektion.
Tabelle 1: Resistenztestung.
 Fall 1 
Citrobacter 
freundiiFall 2 
Klebsiella 
pneumoniaeFall 3
Enterobacter cloacae
Ampcillin RRR
Amoxicillin-ClavulansäureRRR
Piperacillin-TazobactamRRR
Cefuroxim parenteralRRR
CeftriaxonRRR
CeftazidimRndR
CefepimRRR
ErtapenemRRR
MeropenemSRI
GentamicinRSR
TobramycinRndR
AmikacinndndR
TigecyclinndndI
NorfloxacinndRR
CiprofloxacinSRR
LevofloxacinSRR
Sulfamthoxazol-TrimehoprimSRR
    
  MHK (mg/l)MHK (mg/l)
Aztreonamnd>256 R32 R
Ceftolozane-Tazobactamnd>256 Rnd
Ceftazidim-Avibactamnd3 Snd
Colistinnd0,38 S0,19 S
Tigecyclinnd1,5 I2 I
Fosfomycinnd>1024 R0,5 S
R: resistent; I: intermediär; S: empfindlich; nd: nicht durchgeführt; MHK: mittlere Hemmkonzentration

Fall 2: Von der Kolonisation zum Infekt

Ein 71-jähriger Patient mit einem Multiplen Myelom wird aus Spanien repatriiert, wo er aufgrund einer Meningokokken-Sepsis stationär behandelt worden war. Laut Austrittsbericht hat der Patient im Verlauf seiner Hospitalisation in Spanien Meropenem, Vancomycin, Ceftriaxon, Ampicillin und Cefotaxim erhalten. Bei Eintritt in der Schweiz ist die antiinfektive Therapie bereits abgeschlossen. Es bestehen noch ausgeprägte neurologische Residuen, unter anderem ist der Patient urin­inkontinent und trägt einen Dauerkatheter.
Aufgrund der Hospitalisation im Ausland wird der ­Patient kontaktisoliert und es werden Abstriche entnommen. Dabei wächst im Urin und im Inguinalabstrich eine Klebsiella pneumoniae, die eine Carbapenemase vom Typ OXA-48 aufweist (Tab. 1). Zu diesem Zeitpunkt besteht klinisch kein Hinweis auf eine Infektion. Es erfolgt jedoch bereits eine weitere Austestung des Bakte­rienstamms auf mögliche Reserveantibiotika, falls eine Therapie zu einem späteren Zeitpunkt notwendig wird.
Einige Tage nach Eintritt entwickelt der Patient abdominale Schmerzen, subfebrile Temperaturen und ist zunehmend tachykard und tachypnoisch. Als Ursache der klinischen Verschlechterung wird ein Harnwegsinfekt diagnostiziert, wobei sich im Urin die vorbekannte Klebsiella pneumoniae zeigt. Aufgrund der bereits vorliegenden erweiterten Resistenztestung erfolgte eine Therapie mittels Ceftazidim/Avibactam. Die Therapie kann bei gutem klinischen Verlauf nach fünf Tagen gestoppt werden. Sechs Wochen später tritt der Patient erneut wegen eines Harnwegsinfektes ein. Es wird der gleiche Klebsiella pneumoniae-Stammim Urin nachgewiesen. Der Patient erhält gemäss des bekannten Resistenzprofils eine zweite Therapie mittels Tigecyclin für 14 Tagen, wiederum mit gutem klinischen Ansprechen.

Fall 3: Kolonisation vor geplanter Transplantation

Aufgrund einer schweren ischämischen Herzinsuffizienz erhielt ein 64-jähriger Patient vor knapp einem Jahr eine Linksherzunterstützung (LVAD) implantiert mit dem langfristigen Ziel, eine Herztransplantation durchzuführen. Wegen Fieber und erhöhter Entzündungszeichen musste der Patient notfallmässig hospitalisiert werden. Ursächlich zeigte sich ein LVAD-assoziierter Infektmit Staphylococcus aureus. Unter resistenzgerechter, antiinfektiver Therapie mit Flucloxacillin und Rifampicin konnte der Patient rasch klinisch stabilisiert werden. Nach einer sechswöchigen intravenösen Therapie wurde auf eine Suppressionstherapie mit Trimethoprim/ Sulfamethoxazol bis zur Transplantation umgestellt.
Nebenbefundlich zeigten sich bei diesem Patienten während der Hospitalisation eine asymptomatische Bakteriurie sowie eine inguinale Kolonisation mit einem multiresistenten Enterobacter cloacae. Nebst der induzierbaren Betalactamase vom Typ AmpC und der Nalidixinsäureresistenz, besitzt der Erreger eine ESBL vom Typ SHV und CTX-M. Zusätzlich konnte eine Metallo-Carbapenemase vom Typ VIM nachgewiesen werden (Tab. 1).
Der Patient ist nicht gereist und es ist davon auszugehen, dass er den multiresistenten Keim im Spital ­akquiriert hat.
Die Kolonisierung stellt keine absolute Kontraindikation für die geplante Herztransplantation dar, jedoch ist das Risiko für einen komplikationsreichen Verlauf insgesamt erhöht. Obwohl die Multiresistenz nicht mit einer höheren Virulenz einhergeht, sind bei diesem Erreger die therapeutischen Optionen sehr eingeschränkt und häufig mit einer erheblichen zusätzlichen Toxizität verbunden, sollte es zu einem klinisch relevanten Infekt kommen. Therapeutische Optionen zur vorgängigen Dekolonisierung gibt es bei multiresistenten Gram-negativen Erregern nicht. Um für eine allfällige klinisch relevante Infektion mit dem multiresistenten Enterobacter cloacae vorbereitet zu sein, wurden weitere Reservesubstanzen getestet. Der Keim ist sensibel auf Colistin und Fosfomycin, jedoch ebenfalls resistent auf Tigecyclin, Aminoglykoside und Aztreonam. Eine durchgehende Kontaktisolation ist notwendig.

Diskussion

Multiresistente Gram-negative Erreger waren in der Schweiz lange auf bestimmte typische klinische Situationen beschränkt. Die wohl bekannteste Erkrankung war die zystische Fibrose, mit dem, bedingt durch repetitive Antibiotikatherapien, multiresistenten Pseudomonas aeruginosa als Hauptvertreter. Die im klinischen Alltag häufigen Erreger wie Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae waren dadurch nicht betroffen. Ab dem Jahr 2000 wurden zunehmend ESBL und chromosomal- oder plasmid-vermittelte AmpC produzierende Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae nachgewiesen. Die therapeutischen Herausforderungen ergeben sich auf der einen Seite durch den Umstand, dass Erreger mit einer AmpC- oder ESBL-vermittelten Resistenz häufig auch gegenüber peroralen Antibiotika weiterer Klassen, so zum Beispiel der Chinolone, resistent sind, da die Resistenzmechanismen durch die gleichen Plasmide übertragen werden. Auf der anderen Seite stellen im stationären Bereich bei diesen Erregern Carbapeneme (Ertapenem, Imipenem und Meropenem) in kritischen Umständen die Therapie der ersten Wahl dar. Eine Ausnahme sind Cephalosporine der 4. Generation (Cefepim), die bei AmpC-produzierenden Bakterien eingesetzt werden dürfen, nicht aber bei ESBL-produzierenden Erregern. Zusammen resultierte dies in einem zunehmenden Gebrauch von Carbpenemen und hat ­damit zu einem erheblichen Selektionsdruck geführt. Carbapenemase-produzierende Erreger wurden vereinzelt seit zirka 2010 in der Schweiz beobachtet.
Um die Situation in der Schweiz besser beurteilen zu können, schlossen sich unter der Federführung der Schweizerischen Gesellschaft für Mikrobiologie und dem Schweizerischen Zentrum für Antibiotikaresistenzen «anresis» Expertenlabors zusammen, um die Ausbreitung und Charakterisierung von Carbapenemase-produzierenden Erregern zu studieren.
Bereits 2013 konnten schweizweit 69 Isolate identifiziert werden, 2017 war diese Zahl auf über 100 gestiegen. Die meisten waren importiert, aber in Einzelfällen konnten diese Erreger auch bei Patienten ohne Reiseanamnese isoliert werden. Das Reserveantibiotikum Colistin, eine schon lange bekannte, aber wegen der erheblichen Nephrotoxität selten eingesetzte Sub­stanz, hat sich zu einem wichtigen Pfeiler der Therapie entwickelt. In unserem Nachbarland Italien treten diese Erreger epidemisch auf, weshalb sogar die empirische Therapie bei kritisch kranken Patienten Colistin beinhaltet. Kürzlich wurden nun die ersten Colistin-­resistenten Erreger beschrieben, was kaum noch Therapieoptionen übrig lässt. Die fehlenden oder sehr ­toxischen therapeutischen Alternativen zwingen zu einem äusserst zurückhaltenden Gebrauch von Antibiotika, wenn immer möglich, sollte chirurgisch debridiert werden. Neuere Antibiotika sind nicht immer wirksam, wie unsere Beispiele zeigen.
Die beschriebenen Fälle sollen der Sensibilisierung dienen und aufzeigen, dass wir auch in der Schweiz ­zunehmend mit solchen Erregern rechnen müssen. Auf eine vertiefte Diskussion der therapeutischen und spitalhygienischen Aspekte wurde bewusst verzichtet. Eine interdisziplinäre Betreuung dieser Patienten ist entscheidend für den therapeutischen Erfolg, aber auch für Kontrolle der lokalen Übertragung. Wir alle können einen Beitrag leisten, indem wir Antibiotika gezielt und zurückhaltend einsetzen. Auf der nationalen Ebene sind im Rahmen der Nationalen Strategie ­gegen Antibiotikaresistenzen (StAR) Ziele definiert worden, die mithilfe verschiedenster Massnahmen das Problem der Antibiotikaresistenzen angehen. Der ganzheitliche Ansatz umfasst alle wichtigen Einsatzgebiete inklusive Veterinärmedizin. Ob es gelingt, die weitere Ausbreitung von multiresistenten Erregern einzudämmen, hängt von vielen Faktoren ab. Sicherlich bedarf es einer grossen Anstrengung aller!

Das Wichtigste für die Praxis

• Die meisten multiresistenten Gram-negativen Erreger mit einer Carbapenemase sind aus dem Ausland importiert, aber selten werden diese auch bei Patienten ohne Reiseanamnese beobachtet.
• Die therapeutischen Limitationen zwingen zu einem zurückhaltenden ­Gebrauch von neuen Antibiotika. Eine Kolonisation sollte keinesfalls ­behandelt werden.
• Die Besiedelung mit einem multiresistenten Erreger erhöht das Risiko für eine komplizierte postinterventionelle oder postoperative Phase.
• Der spitalhygienische Aufwand ist erheblich und trägt zu erhöhten ­Kosten bei.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med. Nicolas Müller
Leitender Arzt
Klinik für Infektiologie
und Spitalhygiene
UniversitätsSpital Zürich
RAE U 70
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
Nicolas.Mueller[at]usz.ch
www.anresis.ch: Schweizerisches Zentrum für Antibiotikaresistenzen
www.swissnoso.ch: Nationales Zentrum für Infektprävention
www.star.admin.ch/star/de/home.html: Strategie Antibiotikaresistenzen
https://ssi.guidelines.ch/: Richtlinien für den Einsatz von Antibiotika
www.infect.info: Tabellarische Darstellung der Antibiotikaresistenz in der Schweiz, mit Such- und Filterfunktionen für Bakterien, Antibiotika und Regionen