Mit grossem Interesse haben wir die Kasuistik einer Epstein-Barr-Virus-(EBV-)assoziierten Hepatitis und -Pankreatitis von Cavagna et al. gelesen.
Die postulierte Diagnose einer primären EBV-Infektion als Ursache für die Hepatitis/Pankreatitis scheint uns im vorliegenden Fall jedoch nicht gesichert. Die Autorinnen und Autoren erwähnen, dass die serologische Konstellation untypisch sei, argumentieren aber mit dem frühzeitigen Verschwinden der IgM-Antikörper. Die Diagnose einer primären EBV-Infektion sollte allerdings mit weiteren Befunden untermauert werden, vor allem im Kontext einer bisher nur selten beschriebenen Manifestation wie der Pankreatitis. Vielleicht kann unsere kürzlich publizierte Zusammenstellung von 125 Patientinnen und Patienten mit primärer EBV-Infektion helfen [1]. Bei einer primären EBV-Infektion besteht fast immer eine Lymphozytose mit einer Erhöhung des Anteils an atypischen Lymphozyten. Atypische Lymphozyten werden in der mikroskopischen Beurteilung des Blutbildes gesehen. Allerdings liefert bereits die Präsenz von «large unstained cells» (LUC) im maschinellen Differentialblutbild Hinweise auf das Vorhandensein von atypischen Lymphozyten. In unserem Kollektiv wies die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten (85%) neben den typischen Symptomen (zervikale Lymphadenopathie mit Tonsilitis, Hals- und Schluckschmerzen) eine Lymphozytose und eine Erhöhung der LUC auf. Bei allen Patientinnen und Patienten, bei denen ein mikroskopisches Blutbild durchgeführt wurde (n = 95), wurden atypische Lymphozyten beschrieben. Die Lymphozyten- und LUC-Zahlen und das Vorhandensein atypischer Lymphozyten werden im vorliegenden Fall nicht erwähnt. Last but not least wäre ein Nachweis des EBV-Genoms mittels PCR aus Plasma oder Biopsiematerial möglich, auch wenn dieser für sich genommen eine primäre Infektion nicht von einer Reaktivierung unterscheiden kann.
Wir möchten zudem darauf aufmerksam machen, dass eine starke Erhöhung (>15-Fache des Normwertes, siehe Tabelle 1 im Artikel von Cavagna et al.) der Transaminasen bei einer primären EBV-Infektion selten ist. In der Regel wird eine 3- bis 5-fache Erhöhung dieser Enzyme beobachtet [2, 3].
Bei den von uns untersuchten Patientinnen und Patienten konnte eine Transaminasenerhöhung in 84% der Fälle beobachtet werden, im Median auf das 3-Fache des Normwertes. Nur bei 5 (4%) Personen wurde eine Aspartat-Aminotransferase (ASAT) >500 U/l und bei 15 (12%) eine Alanin-Aminotransferase (ALAT) >500 U/l gefunden.
Der von Cavagna et al. geschilderte Fallbericht entspricht, wie die Autorinnen und Autoren bemerken, nicht dem typischen Bild einer primären EBV-Infektion. Umso wichtiger ist aus unserer Sicht die Bestätigung der Diagnose.
Dr. med. Samuel Etienne,
Prof. Dr. med. Hans H. Hirsch,
Dr. med. Karoline Leuzinger,
Universitätsspital Basel;
Prof. Dr. med. Michael Osthoff,
Kantonsspital Winterthur
1 Etienne S, Leuzinger K, Hirsch HH, Osthoff M. Challenges of Primary Care Medicine in a Tertiary Care Setting - The Case of Primary CMV Infection Compared to Primary EBV Infection: A Retrospective Cohort Study. Front Med (Lausanne). 2022;9:880610.
2 Batalla AS, Benito D, Baumard S, Brodard V, Servettaz A, Jaussaud R, Strady C. [Epstein-Barr virus and cytomegalovirus primary infections: a comparative study in 52 immunocompetent adults]. Med Mal Infect. 2011;41:14–9. French.
3 Ishii T, Sasaki Y, Maeda T, Komatsu F, Suzuki T, Urita Y. Clinical differentiation of infectious mononucleosis that is caused by Epstein-Barr virus or cytomegalovirus: A single-center case-control study in Japan. J Infect Chemother. 2019;25:431–6.