access_time veröffentlicht 05.09.2019
Kurz und bündig Heft 37/38, Teil 2
Prof. Dr. med. Reto Krapf

Kurz und bündig Heft 37/38, Teil 2
05.09.2019
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Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Morbus Moschkowitz: kein «signum mali ominis» mehr
Die erworbenen, autoimmun bedingten, thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura werden ausgelöst durch Autoantiköper, die eine Protease (ADAMTS13) hemmen. Normalerweise baut diese die multimeren Von-Willebrand-Faktoren ab. Folgen der gehemmten Proteolyse sind dann plättchenreiche Mikrothromben mit (neben «peripherem» Thrombozytenverbrauch) mechanisch bedingter hämolytischer Anämie und ischämisch bedingten Organdysfunktionen. Folgende Therapieansätze haben die Prognose dieser ursprünglich fast einem Todesurteil gleichkommenden Diagnose (Mortalität >90%) massiv verbessert (heute Mortalität <20%):
1 Plasmapherese und Plasmainfusionen (resp. rekombinante ADAMTS13-Infusionen) zur Entfernung der Autoantikörper und Zufuhr funktioneller Proteasen;
2 Antikörper-Infusionen (Caplacizumab) zur Hemmung der Interaktionen zwischen Von-Willebrand-Multimeren und Thrombozyten (Ziel: Reduktion der Mikrothromben und Kontrolle von Exazerbationen);
3 Immunsuppression zur längerfristigen Unterdrückung der Produktion von Autoantikörpern.
Blood 2019, doi.org/10.1182/blood.2019000954
Verfasst am 04.08.2019.
© Sherry Young | Dreamstime.com
Das hat uns gefreut

Weisser Arztkittel und Krawatte im Vorteil
Kurz und bündig waren wir erfreut, dass im Gefolge früherer Untersuchungen an verschiedenen US-Spitälern [1] auch eine Studie aus dem UniversitätsSpital Zürich [2] findet, dass die Sorgfalt, mit der ein Arzt gekleidet ist, von den Patient(inn)en mit mehr Vertrauen und Gefühl der höheren ärztlichen Kompetenz beantwortet wird. Es werden eine Reihe von Nuancen beschrieben, nicht zuletzt auch Präferenzen in Abhängigkeit des Alters der Patient(inn)en. In der Tendenz sollte aber immer die konservativere Variante einer Bekleidung gewählt werden, bei Frauen empfiehlt es sich, allfällige äusserliche Vorzüge nicht überzubetonen. Die Pflege des Äusseren kann selbstredend natürlich ausstrahlendes Vertrauen nicht ersetzen, dieses aber signifikant verstärken. Die Studie dokumentiert neben anderem aber auch den generellen Respekt, den Ärztinnen und Ärzte ihren Patient(inn)en entgegenzubringen bereit sind.
1 BMJ open 2018, doi.org/10.1136/bmjopen-2017-021239
2 BMJ open 2019, doi.org/10.1136/bmjopen-2018-026009
Verfasst am 02.08.2019.
Das hat uns nicht gefreut

Alarmierende HIV-Resistenzen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtet, dass in 12 Ländern die HIV-Resistenzen gegen sogenannte Erstlinientherapien (Efavirenz, Nevirapin) auf über 10% gestiegen sind. Bei dieser Häufigkeit sind die Wirksamkeit und eine Epidemiekontrolle infrage gestellt. Die betroffenen Länder liegen in Mittelamerika, Afrika aber auch in Asien. Honduras ist mit 25% der traurige Spitzenreiter. Die WHO empfiehlt den Wechsel auf ein anderes Medikament (Doglutavir), was bei gleich bleibenden Defiziten in der Abgabe und Überwachung der Einnahme nur eine Verschiebung des Problems sein könnte.
Abbildung: HI-Viren (gelb) infizieren eine menschliche T-Zelle (blau). Credit: Seth Pincus, Elizabeth Fischer and Austin Athman, National Institute of Allergy and Infectious Diseases/National Institues of Health (NIH).
www.who.int/hiv/pub/drugresistance/hivdr-report-2019/en/
Verfasst am 31.07.2019.
Das hat uns auch nicht gefreut

Akademische Botschaften oder/und industrielles Marketing?
Im November findet wieder die Jahresversammlung der «American Society of Nephrology», die (bisher) wissenschaftlich weltweit mit Abstand tiefschürfendste und akademisch interessanteste Konferenz auf dem Gebiet der Nierenphysiologie und -pathologie, statt. Zwei der drei Hauptredner sind dieses Jahr zu 100% Industrievertreter (angestellt und Unternehmer).
Ein Schritt in die falsche Richtung! Wir werden uns das kurz und bündig anhören und dann berichten!
www.asn-online.org/education/kidneyweek/
Verfasst am 31.07.2019.
© Alex Grichenko | Dreamstime.com
Auch noch aufgefallen

Hat dieser Patient mit COPD nicht auch noch eine Osteoporose?
Osteoporotische Wirbelfrakturen haben einen langfristigen negativen Effekt auf die pulmonale Vitalkapazität. Systemische Entzündungsprozesse, eingeschränkter physikalischer Stress auf das Skelett und therapie-assoziierte Ursachen sind ätiologisch bei der mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) assoziierten Osteoporose wichtig.
Eine grosse Literaturanalyse findet, dass die Prävalenz einer Osteoporose bei COPD fast 40% beträgt respektive dass eine COPD die Wahrscheinlichkeit einer Osteoporose verdreifacht (Odds Ratio 2,83). Bei pulmonaler Kachexie wird die Sache noch schlimmer: Die Odds Ratios für einen Body-Mass-Index unter 18,5 beträgt 4,26 und für eine Sarkopenie 3,65.
Also: Osteoporose bei COPD als relevante Komorbidität früh suchen und erkennen!
Chest 2019, doi.org/10.1016/j.chest.2019.06.036
Verfasst am 01.08.2019.
© Andrii Yalanskyi | Dreamstime.com
Diagnosequiz: nicht so naheliegend wie vermutet

Eine 31-jährige Südamerikanerin mit Hypermenorrhoe (Uterusfibrome/-myome) und Depression beklagt diffuse Abdominalschmerzen, hin und wieder begleitet von Erbrechen. Die klinische und radiologische Abklärung der Bauchschmerzen ergeben keine Diagnose. Hämoglobin 9,5 g/dl, Hämatokrit 28%, MCV 69 fl, Retikulozyten 5,4% (ergäbe einen Retikulozytenindex von 1,8), mikroskopisch schwere Hypochromie und Mikrozytose. Die pandendoskopische Abklärung (oben und unten) war nicht diagnostisch. Die (spätere) Anamnese ergibt, dass die Patientin in ihrer Wohnung zwangshaft Wandfarbe und Verputz abkratzt und isst (sog. Pica). Die Geschichte zieht sich über zwei Jahre hin mit Besserungen und Rückfällen der Anämie und/oder der Bauchschmerzen. Die Patientin nahm teilweise Eisensulfat mit dokumentierter Besserung der Anämie zu sich.
Als Diagnose in Frage kommen (1–4 richtige Antworten möglich):
A Eisenmangelanämie bei Hypermenorrhoe mit Pica
B Thalassaemia minor
C Psychisch bedingtes «craving» nach Phosphat-haltigem Material (sekundär Bindung mit Eisen im Darm und Störung der Eisenresorption wie z.B. bei Zerealien)
D Bleivergiftung
© Andranik Hakobyan | Dreamstime.com
Die Hämoglobin-Elektrophorese war normal, im Wandmaterial gibt es kein Phosphat (oder nur gut gebunden an divalente Kationen wie Kalzium/Magnesium), obwohl die vorgeschlagene pathophysiologische Sequenz grundsätzlich richtig ist. Die Eisenmangelanämie und die sie primär verursachende Hypermenorrhoe sind klar, die daraus resultierenden aberrierenden Geschmacksveränderungen mit Pica ebenso. Und die Bauchschmerzen? Myombedingt oder nicht? Die Bleikonzentration im Blut war massiv erhöht, das freie Protoporphyrin in den Erythrozyten ebenfalls. Eine Analyse des Wandmaterials in der Wohnung identifizierte die Bleiquelle. Andere Zeichen der Bleivergiftung als Bauchschmerzen wie basophile Punktierungen und Bleisäume im Mund oder Knochen fehlten. Über den Blutdruck fehlen Angaben (!). Der Eisenmangel zusammen mit der psychischen Erkrankung (?) führte also zu Pica und dann zur Bleivergiftung. Bei Bleizufuhr werden die intestinale Eisenresorption und der Eiseneinbau ins Protoporphyrin und damit die Häm-Synthese gehemmt (Details in der Referenz).
Richtig sind also Diagnosen A und D.
NEJM 2019, doi.org/10.1056/NEJMcps1900774
Verfasst am 31.07.2019.

Prof. Dr. med. Reto Krapf
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