Kurz und bündig
Journal Club

Kurz und bündig

Kurz und bündig
Ausgabe
2020/0910
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08479
Swiss Med Forum. 2020;20(0910):136-139

Publiziert am 25.02.2020

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Kardiovaskuläre Erkrankungen bei Fettleber

– Die nichtalkoholische Fettleber und Steatohepatitis (NAFLD und NASH) sind zu den häufigsten Lebererkrankungen in unseren Breitengraden ­geworden.
– Sie sind mit viszeraler Adipositas, Insulinresistenz und erhöhter systemischer Entzündungsaktivität verbunden.
– Kardial können erhöhte, entzündlich wirkende Adipozytokine (wie ­Leptin und TNF-alpha) das reichlich vorhandene epikardiale Fett entzündlich ­verändern.
– Auf nicht ganz geklärtem Weg kann es dann zu einer atrialen und ­ventrikulären Myopathie, beide charakterisiert durch Entzündung und ­Fibrosierung, kommen.
– Folgen sind Vorhofflimmern (atriale Myopathie) und Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (ventrikuläre Myopathie).
– Therapeutisch soll – unspezifisch zwar – die Grunderkrankung angegangen werden (Gewichtsreduktion, Insulinresistenz etc.).
– Neue Ansätze (Vitamin E, Thyromimetika, Gallensäureanaloga) sind vielversprechend.
Am J Med 2020, doi.org/10.1016/j.amjmed.2019.09.002. Verfasst am 27.01.2020.

Praxisrelevant

Eine willkommene Premiere: medikamentöse Senkung des Lipoprotein(a)

Dieses Molekül ist ein wichtiger Progressionsfaktor für die Arteriosklerose und – erst kürzlich realisiert – die valvuläre Aortenstenose [1], vor allem via seine atherogenen, proinflammatorischen und prokoagulatorischen Eigenschaften. Bis anhin gab es keine wirksame Therapie, mit der die Lipoprotein(a)-Spiegel hätten gesenkt werden können. Durch Einsatz eines sogenannten Anti-Sense-Oligonukleotids (ASO) kann die Boten-(«messenger»-)RNA des Lipoprotein(a) aber gehemmt werden. Das ASO wurde molekular so manipuliert, dass es hochspezifisch (etwa 30-mal) besser in die ­Hepatozyten, den Produktionsort des Lipoprotein(a), gelangt. Mittels Testung verschiedener Dosen und Dosisintervalle vermochte dieses parenteral applizierte ASO die Lipoprotein(a)-Spiegel im Plazebovergleich bei 286 Patient(inn)en mit erhöhtem Lipoprotein(a) und bekannten kardiovaskulären Erkrankungen (= Hoch­risikopopulation) auf etwa 20% des Ausgangswertes bei anscheinend sehr guter Toleranz (Nachbeobachtung bis 36 Wochen) zu senken [2]. Ein echter Fortschritt, wenn auch neue kardiovaskuläre Ereignisse verhindert und/oder die Progression der valvulären Aortenstenose verlangsamt werden können.
1 Swiss Med Forum. 2019, doi.org/10.4414/smf.2019.08408.
2 N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa1905239.
Verfasst am 31.01.2020.

Spontanpneumothorax: konservativ oder invasiv?

Ein primärer (also ohne vorbestehende Lungenerkrankung auftretender) Spontanpneumothorax tritt meist bei jüngeren Leuten und bis zum 50. Altersjahr auf und soll in der Schweiz etwa 800× pro Jahr vorkommen. Aus­ser bei kleinen Pneumothoraces («Mantelpneu») wird fast immer invasiv mit einem mehr oder weniger dicken Drainageschlauch evakuiert, wobei die Drainagedauer und Hospitalisationszeit häufig unterschätzt werden (im Schnitt doch 4–5 Tage). Diese Therapie ist bei sekundären Pneumothoraxformen, solchen mit Atemnot und selbstverständlich bei Spannungspneumothoraces fraglos indiziert. Bei den weniger symp­tomatischen Fällen ist aber auch hier anscheinend ­weniger mehr, sozusagen. Eine multizentrische Studie in Australien/Neuseeland untersuchte Patient(inn)en mit Verlust von mindestens ⅓ des Lungenvolumens entsprechend einer interpleuralen Distanz von mehr als 2 cm (siehe Kasten im Anschluss) und randomisierte gut 150 Patient(inn)en in die Drainage- und 162 in die konservative Gruppe. 23 (15%) der Patient(inn)en in der konservativen Gruppe erhielten doch eine In­tervention aufgrund vordefinierter Kriterien (Gründe im «supplemental material» der Arbeit) und 10 Pa­tient(inn)en (6,5%) in der Interventionsgruppe lehnten eine solche ab. Radiologisch waren nach 8 Wochen in beiden Gruppen fast alle (98,5%) Pneumothoraces resorbiert, allerdings bei der konservativen Gruppe ohne oder nach nur minimal kurzer Hospitalisation. Die Häufigkeit von Komplikationen (wie Schmerzen, Infekte, Spannungspneumothorax, Totalkollaps etc.) war jedoch in der konservativen Gruppe signifikant geringer und – aus nicht ganz geklärten Gründen – war die Rezidivrate nach 12 Monaten tiefer als bei der mit Drainage behandelten Patient(inn)en.
N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa1910775.
Verfasst am 29.01.2020.

Berechnung des Pneumothoraxvolumens


Man misst an drei Orten der Pneumothoraxseite den interpleuralen Abstand in Zentimetern. Die Messorte sind im seitlichen Strahlengang am Apex, im oberen und im unteren Thoraxdrittel. Man verwendet dann die Summe dieser Abstände in Zentimetern (in der vorliegenden Arbeit >6 cm) zur Berechnung des Volumens. Die Methode wurde mit Volumenberechnung im thorakalen Computertomogramm validiert.
Für rechnerische Details siehe: AJR Am J Roentgenol. 1995, doi.org/10.2214/ajr.165.5.7572489.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Wieder einmal: kristalloider oder kolloidaler Flüssigkeitsersatz?

Kurz und bündig begeben wir uns hier auf glitschiges Terrain. Für den Gebrauch kolloidaler Flüssigkeiten, im engeren Sinne Hydroxyethylstärke (HAES oder HES, ein sogenannt semisynthetisches Kolloid), gibt es Hinweise, dass bei Intensivpatient(inn)en die Mortalität und die Frequenz des Nierenversagens erhöht sein könnten. Die «European Medicine Agency» (EMA) schränkte den Gebrauch von HAES auf kritisch Kranke mit Blutvolumenverlusten ein.
Wie sieht es in der postoperativen Situation aus? Im Rahmen der FLASH-Studie aus Frankreich wurde der Volumenersatz bei 775 Patient(inn)en mit grösseren abdominellen Eingriffen randomisiert entweder mit HAES oder mit dem «Kristalloid» 0,9%ige Natriumchlorid-(NaCl-)Lösung durchgeführt. Der kombiniert gewählte Endpunkt (Mortalität und grössere Komplikationen inkl. Niereninsuffizienz) 14 Tage postoperativ war in beiden Gruppen gleich. Also eine gute und schlechte Botschaft für HAES: In dieser postoperativen Situation keine erhöhte Mortalität und Morbidität im Vergleich zu Kochsalzlösung, aber eben auch kein besserer Verlauf, der ein Argument wäre, das teurere und in anderen Situationen mit Unsicherheit behaftete HAES vorzuziehen. Nicht ganz klar ist, ob in dieser Studie eher ein perioperativer Volumenerhalt denn ein – nach entsprechenden Verlusten – postoperativer Volumenersatz untersucht wurde.
Postoperativer Volumenersatz: mittels kristalloider oder kolloidaler Flüssigkeit? (© Phacharawat Sub In | Dreamstime.com .)
Verfasst am 22.01.2020.

Neues aus der Biologie

Pathophysiologie und Therapie (?) der ­alkoholischen Steatohepatitis

Die alkoholische Steatohepatitis (siehe Kasten am Schluss des Artikels) ist die – zumindest akut ge­sehen – gefährlichste Manifestation einer Alkohol­krankheit mit rapportierten Mortalitätsraten von bis zu 40%. Ein ­Alkoholüberkonsum führt durch noch ungenügend charakterisierte Mechanismen zu einem durch­lässigen Darmepithel. Die Durchlässigkeit wird bei Vorliegen einer Leberzirrhose (portale Hypertonie) mutmasslich weiter gesteigert. In dieser durch Alkoholkonsum induzierten intestinalen Umgebung fühlt sich Enterococcus (E.) faecalis offensichtlich sehr wohl, denn er wird im Schnitt bei Alkoholkranken viel ­häufiger (1000-fach) gefunden. Ein Exotoxin von E. faecalis, das Cytolysin, hat dokumentiert (in vitro und in vivo) hepatotoxische Eigenschaften. Solche ­Cytolysin produzierenden E.-faecalis-Stämme sind bei der alkoholischen Steatohepatitis signifikant häufiger nachweisbar. Und: Nicht Cytolysin exprimierende E. faecalis bei Alkohol konsumierenden Mäusen und Cytolosin exprimierende E. faecalis bei abstinenten Mäusen führen nicht zur Steatohepatitis. Die letztere Beobachtung unterstreicht die Bedeutung der alkoholinduzierten erhöhten intestinalen Permeabilität, die erst die Resorption der E. faecalis und/oder des ­Cytolysins ermöglichen dürfte. Die orale Applikation von Bakteriophagen, die E. faecalis attackieren (und auch im Kampf gegen multiresistente E. faecalis evaluiert werden), vermochte eine murine alkoholische Steatohepatitis zu verhindern. Die Bakteriophagen wurden aus (Fäkalien enthaltenden) Abwasseranlagen isoliert ...
Verfasst am 01.02.2020.

Alkoholische Steatohepatitis: ANI-Score


Zur Identifikation einer alkoholischen Ätiologie der Steatohepa­titis gibt es eine Reihe gut validierter Scores, siehe z.B. http://­alchepscores.com/. Der sogenannte ANI-Score (alkoholischer zu nichtalkoholischer Index) verwendet die Transaminasen, das mittlere Erythrozytenvolumen (MCV), den Body-Mass-­Index (BMI) und das Geschlecht und hat sich in der Differentialdia­gnose alkoho­lische versus nichtalkoholische Steatohepatitis als speziell gut ­erwiesen:
ANI = –58,5 + 0,637 (MCV) + 3,91 (AST/ALT) – 0,406 (BMI) + 6,35 für Männer.
Werte über 0 sprechen für eine alkoholische Steatohepatitis, Werte unter 0 für eine nichtalkoholische Genese (Gastroenterology 2006, doi.org/10.1053/j.gastro.2006.08.020).

Das hat uns gefreut

Mikrobiomforschung – kritische Lektüre ist gefragt

Auf der kurz und bündigen Literatursafari trifft man unweigerlich auf eine Vielzahl von Meldungen zur Mikrobiomforschung, die alles – anscheinend – kristallklar zu erklären wissen. Ein schwieriger Selektionsprozess, worauf man das Korn und dann den Schuss, der hoffentlich ins Schwarze trifft, fokussieren will! Mit Unbehagen spüren wir, dass wir uns in der aufsteigenden Kurve des in allen Wissenschaftsbereichen bestens bekannten «Gartner-Hype-Zyklus» befinden, dass also Enttäuschungen und Korrekturen nicht ausbleiben werden (siehe Abbildung). Eine sehr lesenswerte, grundsätzlich aber wohlwollende Kritik wurde eben im für Publikationen rigoroser Grundlagenforschung geschätzten Journal Cell publiziert. Die Hauptkritik richtet sich an die Praxis, durch Transfer veränderter («dysbiotischer» oder phänotypisch pathologischer) menschlicher Mikrobiota in Nagermodelle pathophysiologische Mechanismen zu «beweisen». Bei systematisch analysierten Artikeln fiel in 36 von 38 Fällen (95%) auf, dass die Beobachtungen bei den Nagetieren so ­extrapoliert wurden, dass affirmativ kausale Aussagen über die menschliche Pathologie gemacht wurden!
Der Gartner-Hype-Zyklus (image by Jeremykemp at English Wikipedia [CC BY-SA ­(https://creativecommons.org/licenses/­by-sa/3.0 )] via https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gartner_Hype_Cycle.svg , underlying concept conceived by Garnter, Inc. ­ https://www.gartner.com ).
Verfasst am 01.02.2020.

Auch noch aufgefallen

Statine und Gedächtnisverlust: Ist da etwas dran?

Nein, laut einer australischen Beobachtungsstudie sind die da und dort gehörten Befürchtungen nicht begründet. Mehr als 1000 zuhause lebende ältere Personen (70–90 Jahre) wurden zweijährlich mit neuro­psychologischen Tests und in einer prädefinierten Subgruppe von gut 500 Teilnehmer(inn)en auch mittels Magnetresonanztomographie untersucht. Dabei fand sich kein schnellerer Gedächtnisverlust (und kein schnellerer Volumenverlust des Hippocampus) unter Statinen nach durchschnittlich sechs Jahren.
J Am Coll Cardiol. 2020, doi.org/10.1016/j.jacc.2019.09.041.
Verfasst am 22.01.2020.

Konversion des Vorhofflimmerns auf der Notfallstation

Was wir wussten: Sowohl medikamentöse als auch «elektrische» Konversionsversuche sind beim neu aufgetretenen Vorhofflimmern sehr wirksam und können häufig ambulant (nach Intervention auf Notfall- oder Intensivstation) durchgeführt werden. Spätere Hospitalisationen sind eher die Ausnahme.
Was neu ist: 50% der primär medikamentösen Kon­versionsversuche sind erfolgreich und sparen die für elektrische Konversionen erhöht erforderlichen Ressourcen.
Verfasst am 01.02.2020.

Maserninfekte supprimieren vorbestehende Immunitäten: nochmals ein Argument für die Impfung

77 ungeimpfte Kinder konnten vor und nach einer ­natürlichen Maserninfektion mit einem aufwendigen Analysesystem untersucht werden. Diese Methode ist in der Lage, das Antikörper-Repertoire gegenüber im wörtlichen Sinne Tausenden von Epitopen (Antigen-­Erkennungs-Sequenzen) infektiöser Agenzien zu messen. Eine Maserninfektion führte zu einem breit ge­fächerten und quantitativ eindrücklichen Verlust dieser humoralen Antikörper respektive des immunologischen Gedächtnisses.
Wichtig: Nach Masern-/Mumps-/Röteln-Impfungen (MMR) war ein solcher «bona fide» immunsupprimierender Effekt nicht nachweisbar.
Verfasst am 01.02.2020, auf Hinweis von Herrn PD Dr. A. Jehle, Luzern.

Welche ist Ihre Diagnose?

Bei der abgebildeten Hauteruption ­handelt sich um (eine Antwort ist richtig):
A Herpes simplex Typ 2
B Pockeneffloreszenzen
C Varizella-Zoster-Infekt
D Mollusca contagiosa
E Verbrennungsblasen
Wir danken Herrn Professor Dr. med. Dr. sc. nat. A. Navarini, Chefarzt der ­Dermatologischen Klinik am Universitätsspital Basel, für die Erlaubnis, dieses Bild zu publizieren.

Antwort:


Richtig ist Antwort D. Das Molluscum contagiosum wird durch das gleichnamige Virus verursacht. ­Typisch sind kuppelförmige, transparent erscheinende Papeln mit zentraler Einziehung, allenfalls auch mit Entzündung mit Pruritus und Ekzematisierung. Die Übertragung erfolgt durch engen Körperkontakt (auch bei Sexualkontakten) und durch Kratzen/Reiben oder kräftigen Gebrauch von Badetüchern (sog. Autoinokulation). Das Molluscum contagiosum heilt meist spontan über Monate ab. Es gibt keine bekannte Beteiligung innerer Organe.
Prophylaxe/Therapie: Topisches Hydrocortison für 1–2 Wochen bei Ekzem/starkem Pruritus. Kein Rasieren befallener Stellen, Badetücher nur alleine benutzen, Haut-zu-Haut-Kontakte nach Möglichkeit meiden.
AMA Dermatol. 2016, doi.org/10.1001/jamadermatol.2016.2367. 
Verfasst am 22.01.2020.
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